Warum immer hoch hinausklettern, wenn das Gute doch so nahe liegt? Warum immer siebenhundert Höhenmeter bergwärts schwitzen, wenn der Block doch in der blumigen Wiese am Talboden liegt?
Beim Bouldern geht es nicht um Wandhöhe und Absicherungstechniken, sondern um das maximale Klettervergnügen bei minimalem Aufwand. Bouldern bedeutet Klettern in Absprunghöhe, als Sicherung wird eine Bouldermatte (ein sogenanntes Crashpad) unter den Felsblock gelegt. Diese eignet sich außerdem hervorragend als Sitzkissen für den Genuss eines Espressos zwischen den Versuchen am Fels, denn Boulderer*innen besitzen neben gestählten Fingern vor allem auch eines: einen gemütlich-chilligen Lifestyle.
Das ist Klettern in Reinform, könnten Leute, die Sportklettern als ihre Lieblingsdiziplin bezeichnen, behaupten. Für die Fortbewegung in der Vertikalen werden ausschließlich die natürlichen Griffe und Tritte im Fels verwendet, und für die Absicherung im Falle eines Sturzes wird alle paar Meter ein solider Bohrhaken geklippt. Denn nur mit ausreichender Sicherheit können auch die Grenzen des Menschlichen ausgelotet werden. Wer nie ins Seil stürzt, klettert nicht am Limit.
Die Vertikalarena ist der Klettergarten, ein Stück Fels mit einer gewissen Anzahl von Routen in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Von ganz leicht bis sackschwer, von überschaubar kurz bis endlos lang, von Granit bis Sandstein: Klettergärten sind maximal unterschiedlich, und das ist das Geniale daran: Die Abwechslung, denn keine Route gleicht der anderen!
Das richtige Abenteuer fängt für die Menschen, die gerne ganz hoch in den Wänden hängen, erst ab zweieinhalb Stunden Zustieg an. Alles darunter zählt wenig. Für sie zählt nur die Wand, Walter Pauses „In extremen Fels“ ist ihre Bibel. Und Bohrhaken, verwerflich, die braucht doch wirklich kein Mensch! Geht doch nichts über einen wohlgeschlagenen „Nagel“, einen guten alten Schlaghaken, wie ihn schon der Emilio Comici und der Riccardo Cassin geschlagen hat. Oh, unvergessene Helden!
Einmal ist’s zu kalt für die Finger, dann wieder zu heiß für den Kopf, oder der Fels ist überhaupt gleich nass und der Wandfuß schlammig: Wen man klettert kann einem da draußen so einiges widerfahren. Der Hallenkletterer nimmt’s pragmatisch und schätzt den sicheren Komfort der Halle, da weiß man eben immer, was man bekommt. Die Kunstharzgriffe sind schön farbig und gut griffig, die Hakenabsicherung normgerecht. Zudem gibt’s das kühle Belohnungs-Bier keine zehn Schritte entfernt in der Cafeteria, ach, was will man mehr?
Die Kletterhalle ist der Ort, an dem die meisten Menschen ihre ersten Vertikalmeter machen. Und das mit gutem Grund, hier lassen sich die notwendigen Techniken sicher erlernen und die nötige Körperspannung aufbauen. Der Schritt an den Fels ist dann meistens ein großer, eine „Umschulung“ durch erfahrene Kollegen oder Kolleginnen oder einen fundierten Kletterkurs ist essentiell!
Eine 15 Meter lange 6b+-Route in unter 6 Sekunden klettern? Klingt undenkbar, ist es aber nicht! Speedklettern gilt als die Sprintdisziplin des Weltcupzirkus. Geklettert wird eine immer gleiche, genormte Route, bei der die Zeit im Hundertstelbereich gemessen wird – ähnlich wie beim Skirennen. Die einzige Devise: so schnell wie möglich die Wand hochschießen! Für die meisten Kletternden anderer Disziplinen bleibt dieses Format unerreichbar, doch das Zuschauen ist umso faszinierender. Die meisten Menschen würden für dieselbe Strecke in der Horizontalen wohl länger brauchen als diese Athleten und Athletinnen in der Vertikalen.