Alles kommt in die Mitte
Während viele Spitzenköche versuchen, das alpine Menü neu zu erfinden, schwören Martin Huber und seine Schwester auf die Rezepte ihrer Großmutter, das Handwerk ihres Vaters, des stadtbekannten Huber-Metzgers, und auf alte Konservierungsmethoden. So verbindet das „Mocking“ eine fast vergessene Tiroler Küche mit visionären Menüs. Am Wirtshaustisch darf es dafür gerne etwas lockerer zugehen.
Direkt am Zielraum der Abfahrtsstrecke Kitzbüheler Streif steht ein Wirtshaus, das fast an eine Skihütte erinnert. Nähert man sich der Glasfront, sieht man junge Menschen in einer großen, offenen Küche hantieren. In breiten Küchenstahlwannen schwimmen geschälte Äpfel in Zitronenwasser, Berge von Teig werden mit routinierten Händen durchgeknetet. Die Beiköche blicken nur kurz auf, als Martin Huber uns herzlich begrüßt.
Martin, was wird aus dem Teig dort drüben?
Wisst ihr, so schaut im Optimalfall der Tisch bei uns aus: Alles kommt in die Mitte, und jeder kann sich nehmen, worauf er oder sie Lust hat. Und am Anfang steht bei uns immer das Brot. Unser Stolz ist unser Weizensauerteigbrot mit 78-prozentiger Hydration, Mehl von der Wiesdorfer Mühle in St. Johann. 48 Stunden Teigführung.
Sharing is caring: Diese „Happen“ teilt man sich am besten mit Freunden oder der Familie: Metzgerschinken, Forellenkaviar, Specköl, Kimchi, Artischocken, Forellenmatjes, Kresse und Butter.
Und was steht noch zum ersten Gang auf dem Tisch? Möglichst verrückte Amuse-Gueule-Ideen?
Übertrieben kreative Kombinationen interessieren mich eigentlich nicht. Ich finde es viel spannender, Dinge so zuzubereiten, wie man es immer schon gemacht hat. Da gibt es für mich viel mehr zu entdecken. Und dann kann man die alten Rezepte ein bisschen frischer, moderner denken.
Martin, spindeldürr, hochgeschossener Typ mit wirrem Haar und hellwachen, offenen Augen läuft vorbei an einer Art Glaskasten, der als Büro dient, zu mehreren begehbaren Speise und Kühlkammern. In der ersten: unzählige, per Hand beschriftete Einweckgläser. Es erinnert an das Archiv eines pflanzenkundlichen Museums: Bärlauch, Kapuzinerkresse, Hanföl, Holunder …
Chef’s Table: Martin Huber checkt die „Happen“, bevor sich die Gäste darüber hermachen dürfen.
Warum gibt es so viele unterschiedliche Holundergläser?
Beim Holunder zum Beispiel haben wir die Blüte, in Essig eingelegt, die Knospe vor der Blüte, süß-sauer, die Hollerkapern, also quasi die grünen Beeren. Und dann auch noch Holundermark. Wir haben verschiedene Zutaten mit unterschiedlichen Reifungsstadien, Methoden und Geschmäckern. Bei den Erdbeeren unterscheiden wir zum Beispiel die weibliche und die männliche Erdbeere. Die männlichen Blüten geben wir gerne on top auf die vollreifen Erdbeeren.
Mit Verlaub: Was hat das mit Gerichten zu tun, die schon immer so zubereitet wurden?
Meine Großmutter hat genau auf diese Weise ihre Zutaten getrocknet und fermentiert. Sie lebt nimmer, leider. Aber wir haben viel von ihr gelernt. Das da drüben ist übrigens eine Sellerieknolle: In Salzteig gegart, komplett getrocknet, dann leicht geräuchert. Oder der schwarze Knoblauch da, den lassen wir fünf bis sechs Wochen in dieser Truhe, wenn du dran riechst, da kommt trotzdem ein bisschen Duft durchs Glas. Wir haben auch eine eigene Süßwasserfischsauce in einem Fermentationsbottich. Aber den mach ich jetzt nicht auf, sonst können wir das Haus evakuieren. Fermentation ist eine uralte Methode, die ursprünglich vor allem der Konservierung diente.
Ewige Äpfel: Wer im Sommer vorsorgt, hat im Winter Gutes auf der Karte: Alte Konservierungstechniken werden im Mocking zur Tugend erhoben.
Gibt es noch andere Techniken, die ihr für eure Küche wiederentdeckt?
Zum Beispiel der Forellenkaviar. Wir kriegen den Rogen oft direkt in der Blase, von einem Lieferanten aus Salzburg. Die kratzen wir dann aus und salzen die Fischeier in einer 2,5-prozentigen Lösung ein. Präsentiert wird das auf einem 140 Jahre alten Zinnteller der Familie Huber. Und wir fermentieren nicht nur Gemüse: Wir machen auch selbst Forelle Matjes-Art.
Zutaten aus der Gegend, selbst zubereitet, beinahe vom Feld auf den Teller: Entsteht so eine neue und gleichzeitig alte Regionalküche?
So ungefähr. Wobei wir auch nicht dogmatisch sind. In den Gläsern da hinten gibt es Kimchi. Die Gäste wundern sich oft: Ihr seid so regional, warum macht ihr Kimchi? Ich sag dann immer: keine Ahnung. Der Kohl kommt natürlich von hier, klar. Aber Ingwer, da wird’s dann schwierig. Aber mir schmeckt’s einfach.
Martin Huber steht jetzt im Gastraum, der mit der Holzvertäfelung und den bäuerlichen Gerätschaften an den Wänden skihüttiger wirkt als die Küche, und spricht über die weiteren Happen, die in der Tischmitte landen werden: vom Kasplatzl der Hüttenkäse, von der Sennerei in Westendorf Sauerrahmbutter, selbst gezogene Gartenkresse, mit Schere dazu. Zur Forelle MatjesArt: Minierdäpfel vom Rauchberger, BoskopÄpfel. TheuringerArtischocken, gegrillt, bissl Zitrone drauf. Und natürlich: der Metzgerschinken vom Huber, aus dem väterlichen Betrieb, der das Mocking mit bestem Fleisch aus der Gegend versorgt.
Martin Huber:
Gemeinsam mit seiner Schwester Andrea Posch führt der gelernte Koch das Wirtshaus „Mocking“, das direkt am Fuß der Kitzbüheler Streif-Abfahrt gelegen ist.
Mehr Informationen unter www.mocking-kitzbuehel.at
Hättest du gedacht, dass du mal den Familienbetrieb in die Zukunft führen würdest, als du als Bub in der Metzgerei deines Vaters standest?
Ich hatte schon auch andere Träume. Fußballprofi, da war ich auf einem guten Weg. Aber dann kam eine Verletzung dazwischen. Irgendwann sagte der Papa: Jetzt bis du 14, Junge, da muss man wissen, was man tut. Mach mal eine gescheite Ausbildung. Dann hast du wenigstens was. An der Tourismusschule kam dann die Begeisterung fürs Kochen.
Wahrscheinlich lernt man da etwas anderes als die zeitgenössische Variation der Brotzeitplatte. Anfangs haben wir alle von Molekularküche geträumt, ganz was anderes, nur Textur, Hauptsache Show. Ich war dann auch in der Ausbildung in sehr guten Häusern. Drei, vier Hauben, Deutschland, Schweiz, Österreich. Je älter ich wurde, desto mehr wollte ich zum Ursprung zurück.
Was interessiert dich persönlich an der Tiroler Küche?
Vom Geschmack ist das einfach reine Emotion für mich. Erinnerungen an die Kindheit. Und natürlich schmeckt’s einfach. Aber der Bezug macht den Unterschied. Welcher Bezug? Der Bezug zu meiner Oma. Zu ihrer Zeit war es unüblich, dass Männer gekocht haben. Aber die Oma hat das auch uns Jungs nähergebracht, schon als wir noch ganz klein waren. Und die Mutter hat es dann fortgesetzt. Bei manchen Gerichten möchte ich, dass sie genauso schmecken wie früher bei uns, am besten noch in derselben alten Pfanne von der Oma zubereitet. Das ist für mich pure Emotion.
Ob Schwarte oder weiße Schokolade: Die Toppings im Wirtshaus an der Streif sind alle hausgemacht.
Stört es dich, dass die populären Gastroführer dich noch nicht in ihren Listen führen?
Wir wollen gar nicht unbedingt da rein. Einerseits ist es gute Werbung. Andererseits verliert man die Offenheit, wenn man jedes Jahr auf die Wertung hin kocht. Das habe ich in anderen Häusern erlebt. Ich bleib mir lieber selber treu, koche in erster Linie für mich selber, dann für den Gast. Und wenn es mir schmeckt, dann schmeckt es meist auch den Gästen.
Wo zeigt sich diese Offenheit im weiteren Menü?
Eine Suppe zum Beispiel mit pochiertem Knochenmark, eine klassische Suppeneinlage, aus der wir ein neues Gericht gemacht haben. Das wäre für ein Haubenrestaurant wahrscheinlich zu derb. Das Mark erinnert ein bisschen an eine Jakobsmuschel. Oder unser Signature-Dish: ausgelöste Räucherforelle, die idealerweise im Ganzen ohne Gräte auf den Tisch kommt. Wir lösen den Grätenstrang mit der Pinzette auf chirurgische Weise und ziehen ihn in einem raus. Letztens haben wir 120 Räucherforellen für eine Veranstaltung zubereitet, da waren wir zu zweit fünf Stunden beschäftigt.
Ein traditionelles Gericht neu interpretiert: Suppe mit pochiertem Knochenmark.
Von ausgelöster Räucherforelle bis hin zu traditionellen Daumnidei nach Omas Rezept. Die Vielfalt der Gerichte ist groß.
Was ist dein Lieblingsgericht aus dem Mocking?
Die Daumnidei. Nur mehlige Kartoffeln, Mehl, keine Eier! Wenn man die heute noch bekommt, sind oft Eier drin. Aber da kommen im Original keine Eier rein! Damals wurde in meiner Familie so einfach wie möglich gekocht, Eier waren Luxusprodukte. Dazu Sauerkraut und ein Apfelkompott. Eher unüblich, aber bei uns war und ist es halt so. Das schmeckt dann wirklich ganz genau wie bei der Oma.