Schneekönige
Fotos: Roderick Aichinger
Zum Schneeschöpfen – wie die Tiroler zum Schneeschippen sagen – entwickeln die Menschen eine Hassliebe. Einerseits ist es anstrengend. Andererseits sieht man bei kaum einer anderen Arbeit so schnell, was man geleistet hat. Zehn Tiroler erzählen.
Joseph Heidegger, 77, Hirte
„Zwölf Jahre wird die Schaufel schon alt sein. Bei Pulver geht sie noch gut, bei hartem, altem Schnee ist es schwierig, aber da habe ich ja noch die normalen Schaufeln. Ich habe bereits auf dem Dach und hinter der Hütte geschöpft. Das hat zwei Stunden gedauert. Der Stall stammt aus dem Jahr 1783. Sieben Ziegen und ein paar Schafe stehen heute da drin. Früher waren es mal 30 Ziegen. Die Nachbarn haben Motorfräsen. Für mich ist das zu teuer. Und ich habe vor Maschinen Respekt.“
Philipp Hofmann, 26, Ausbildung zum Krankenpfleger
„Dieser Schneefall war so extrem. Bis die große Fräse kommt, kann es noch dauern. Deswegen halte ich mit ein paar Burschen aus dem Dorf die Wege zwischen den Häusern frei. Am Anfang macht das Räumen schon Spaß, aber ich bin jetzt seit acht Stunden draußen, und irgendwann hast du genug Schnee gesehen. Du musst konzentriert sein und aufpassen, dass du dich mit dem Mähtraktor nicht eingräbst. So eine Situation bringt uns ja auch zusammen. Wir reden und arbeiten miteinander, ziehen an einem Strang. Jeder hilft, sogar die Gäste packen mit an.“
Kati Früh, 35, Wirtin Olpererblick
„Das Wichtigste ist natürlich, dass ich den Eingangsbereich freischöpfe. Damit die Gäste ins Wirtshaus kommen, Bier trinken, etwas essen können. Gerade im Winter ist ja das Gasthaus ein soziales Zentrum. Wir haben hier eine bunte Mischung aus Alt und Jung, aus Einheimischen und Gästen, zum Beispiel Tourengeher und Langläufer. Ich selbst muss heute keinen Sport mehr machen, ich habe ja geschöpft, ein besseres Workout gibt es nicht.“
Traudl Praxmarer, 78, Bäuerin
„Mein Mann ist schon sehr früh gestorben. Ich habe sechs Kinder und musste vieles auf dem Hof allein machen. Eine harte Zeit. Ich habe schon viel Schnee geschöpft in meinem Leben. Aber das ist schon in Ordnung. Wie ja überhaupt die viele Arbeit auch dazu geführt hat, dass ich noch gesund und kräftig bin. Ich gehe viel in die Berge und im Winter zum Langlaufen.“
Helmut Schafferer, 48, Winterdienst des Landes Tirol
„Ich kann nur ganz kurz reden, weil ich die Schneeketten schnell draufmachen und dann räumen muss. Man sieht ja, was da herunterkommt. Wir sind heutzutage schon gut auf solche Schneefälle vorbereitet, weil der Wetterbericht meist zutrifft. Ich räume als Nächstes die Landesstraße zum Brenner hoch. Fünf Tonnen Streusalz habe ich gerade aus dem Silo geladen. Eigentlich wäre ich um 19.30 Uhr mit der Arbeit fertig, aber heute Abend wird es viel länger dauern.“
Thomas Puellacher, 53, Winterdienstleiter Flughafen Innsbruck
„Unser Kehrblasgerät, der Øveraasen RS 400, hat eine Gesamtlänge von 12,7 Metern, die Gebläseleistung beträgt 40.000 Kubikmeter pro Stunde, der Tank fasst 1.000 Liter. Vorne ist der Pflug mit einer Räumbreite von 5,50 Metern, dann kommt die rotierende Bürste, und dahinter befindet sich ein Gebläse, das die feinen Schneereste wegbläst. Ich könnte noch ewig solche Fakten aufzählen. Die normale Räummannschaft hier am Flughafen besteht aus zwölf Mann und ist jeweils zwölf Stunden im Einsatz. Ich mach das jetzt seit 18 Jahren, und wir hatten in dieser Zeit keinen einzigen Flugzeugausfall wegen der Schneelage.“
Sophie Kneringer, 5, Kindergartenkind
„Der Kindergarten fällt heute aus, weil es so arg geschneit hat. Deshalb bin ich mit meiner Schwester und meinen Freundinnen den ganzen Tag draußen. Ich habe schon öfter mit meinem Papa den Hof geräumt. Seit ich vier bin, helfe ich ihm. Der Papa muss die Fräse bloß holen und mir beim Wenden helfen. Mir ist eigentlich nie kalt. Klar fahren wir Ski. Abfahrt und Langlauf. Aber jetzt muss ich den Papa erst mal mit Schneebällen beschmeißen.“
Patrick Stadlwieser-Höllriegl, 40, Landwirt
„Bei so einem Schneefall wie heute musst du zwei- oder dreimal schöpfen. Mir macht das nichts aus, ich bin entspannt und ich mag den Schnee. Immerhin war ich 20 Jahre lang in der Skischule tätig, bin selber begeisterter Skifahrer. Jetzt trainiere ich meinen Sohn. Der Fabian ist ein echtes Talent im Slalom. Ein zweiter Marcel Hirscher. Deshalb gehen wir jetzt erst mal ins Haus, Weltcupslalom schauen, und später machen wir hier weiter.“
Ulrich Lentsch, 50, Angestellter Kaunertaler Gletscherbahnen
„Die Einfahrten habe ich gerade freigeräumt. Vielleicht ist als Nächstes das Dach vom Carport dran. Auch beruflich beschäftige ich mich mit dem Schnee. Ich bin bei den Kaunertaler Gletscherbahnen beschäftigt: Pistenrettung, Streckeninstandhaltung, Sprengungen. Man lebt im Gebirge mit der Natur. Wenn eine Lawine herunterkommt, sieht man auch mal wieder, wie klein man ist. Ich habe früher einen Lawinenhund geführt, war jahrelang auf der Einsatzliste. Zum Ernstfall kam es zum Glück nie. Schnee ist schön. Schnee ist aber auch gefährlich.“
Alexander Mader, 9, Schüler
„Ich schöpfe den ganzen Winter durch. Mir macht das total Spaß. Ich räume vor unseren Garagen und die ganze Gasse runter. Da drüben wohnt der Pfarrer. Man kann beim Schneeschöpfen anderen Leuten helfen. Das gefällt mir. Wenn es richtig schneit, bin ich am Wochenende den ganzen Tag am Räumen. Manchmal hilft mir der Clemens, mein Freund. Mir gefällt das Schneeschöpfen eigentlich sogar mehr als das Skifahren.“