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Schlussakkord

Aktualisiert am 09.03.2018 in Magazin

Fotos: Paul Kranzler

Wenn in Innervillgraten ein Mensch stirbt, rückt die Musikkapelle aus. Und begleitet den Toten und seine Angehörigen auf dem letzten Weg. Wir sprachen mit den Kapellmeistern Manuela Lusser und Hannes Schett.

schlussakkord

Wie oft spielen Sie eigentlich auf Beerdigungen?
Hannes Schett: Das kommt etwa einmal im Monat vor. Wir spielen auf fast jeder Beerdigung. Die Angehörigen des Verstorbenen rufen unseren Obmann an. Den Andreas Mair, der die große Tuba spielt. Wir fragen dann in die Runde, wer Zeit hat. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es einmal nicht geklappt hätte.

Wie viele Musikanten braucht es?
HS: Mindestens 25. Gut geht es, wenn wir knapp über 30 sind. Die Hauptstimmen müssen besetzt werden, und die Begleitung muss natürlich sattelfest sein. Damit auch ein Nachhall entsteht.

Das bedeutet, dass sich viele Leute spontan Zeit nehmen müssen.
HS: Das stimmt. Es sind viele Schüler dabei. Und Landwirte. Aber die Angestellten brauchen immer einen halben Tag Urlaub.

Ist der Tod im Villgratental eigentlich präsenter als anderswo?
Manuela Lusser: Ich denke schon. Hier war ja jeder Jugendliche schon auf ganz vielen Beerdigungen. Das gehört bei uns einfach dazu.
HS: Es beginnt ja schon mit der Aufbahrung. Der Tote wird zu Hause in der Stube im Festtagsgewand aufgebahrt. Die Leute kommen dann zum Beten und um ihr Beileid auszusprechen. Es werden den ganzen Tag Rosenkränze gebetet. Das ist schon ein starker Trost, wenn in zwei Tagen 500 Leute durch deine Haustür gehen. ML: Man redet ja auch mit den Angehörigen. Nach dem Beten geht man meistens in die Küche. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Man trinkt Kaffee, isst Kuchen oder manchmal auch etwas Deftiges. Leben und Tod sind da ganz nah beieinander.

Wann genau spielt denn die Kapelle?
ML: Meistens ist der Tote zwei Tage zu Hause aufgebahrt, und am dritten Tag folgt die Beerdigung. Zuerst schwenken die Sargträger den Raum mit Weihrauch aus. Dann setzt sich der Trauerzug mit dem Sarg und dem Vorbeter in Bewegung. Wir marschieren dem Trauerzug mit der Kapelle entgegen.
ML: Außer, wenn die Leute nah an der Kirche wohnen. Dann gehen wir direkt zum Haus.
HS: Die Kapelle reiht sich vor den Trauerzug, dann schlägt die große Trommel ein, und es geht weiter Richtung Kirche. Wenn der Trauermarsch vorbei ist, fängt der Vorbeter wieder an zu beten. Danach spielen wir den zweiten Trauermarsch.
ML: Vor der Kirche treten wir ab, und die meisten Musikanten gehen auch zur Messe. Nach dem Requiem spielen wir wieder einen Trauermarsch. Ein weiteres Stück spielen wir bei der Einsegnung des Sarges. Wenn der Tote ein Mitglied der Kapelle, einer vom Schützenverein oder ein Kriegsveteran war, spielen wir noch „Ich hatte einen Kameraden“. Nach dem Segen wird der letzte Trauermarsch gespielt.

Wer wählt die Märsche aus?
HS: Manchmal die Angehörigen, wenn die Personen etwas mit Musik zu tun hatten. Schlussendlich müssen aber wir entscheiden, ob es spielbar ist. Je nach Besetzung und Witterung. Wenn es sehr kalt ist, sind anspruchsvolle Stücke schwierig, schon weil die Lippen so steif sind. Vor allem die älteren Instrumente haben Ventile, die bei großer Kälte im Winter anfällig sind.

Die Höfe in Innervillgraten liegen ja zum Teil Hunderte von Metern über dem Talboden. Wie kommt der Sarg da eigentlich zur Kirche und auf den Friedhof?
HS: Ich kann mich an ein einziges Mal erinnern, als der Sarg mit dem Auto gebracht wurde. Aber auch da ist der Trauerzug zu Fuß marschiert. Normalerweise wird der Sarg immer über die Serpentinensteige getragen. Zu viert. Manchmal müssen die Träger fünf-, sechsmal rasten, weil er einfach zu schwer ist.

Wie groß ist das Repertoire?
ML: Wir spielen etwa 40 Stücke. Es gibt solche, die gut zum Marschieren passen. Die komplizierteren mit größeren Tonumfängen spielt man besser am Friedhof.

Was zeichnet einen Trauermarsch musikalisch aus?
ML: Die Begleitung ist sehr statisch. Es gibt selten Verzierungen. Die Phrasen sind gleichmäßig lang, sehr gerade und schlicht. Es stimmt aber nicht, dass alle Trauermärsche durchgehend in Moll gehalten sind. Es gibt Trauermärsche, die laut und majestätisch sind. Oder dramatisch. Andere klingen sehr berührend.
HS: Oder düster.

 

MANUELA LUSSER

ist 22 Jahre alt und Kapellmeisterin für weltliche Musik. Lusser studiert in Innsbruck Musik und Religion auf Lehramt.

HANNES SCHETT

ist 49 Jahre alt und Kapellmeister für geistliche Werke. Sein Geld verdient Schett beim Baubezirksamt, er ist zuständig für die Straßenerhaltung.

 

Sie haben auf dem Wiener Label „col legno“ eine CD mit Ihren Trauermärschen veröffentlicht. Wie haben Sie die Auswahl getroffen?
ML: Wir wollten die ganze Bandbreite zeigen. Außerdem war es für uns ganz wichtig, dass die Märsche vom Steidl Josef auf der CD drauf sind. Der war von 1892 bis 1934 Kapellmeister hier in Innervillgraten, von 1934 bis 1979 übernahm dann sein Sohn. Es ist unbegreiflich, wie gekonnt seine Melodiefolgen sind. Und das, obwohl er keine klassische musikalische Ausbildung hatte. Seine Modulationen und Akkorde sind überraschend und dabei ganz stimmig. Besonders beeindruckend sind die letzten Takte von „Mein Trost in Tränen“. Es herrscht da eine ungeheure Spannung. Bis zum letzten Atemzug. Man kann sich richtig vorstellen, wie das Leben endet.
HS: Wir haben kein schwierigeres Stück als dieses Grablied.

Was macht eine gute Trauerkapelle aus?
HS: Natürlich kann jede Blaskapelle beim Marschieren spielen. Aber was dabei herauskommt, unterscheidet sich sehr stark. Wir proben und spielen sehr oft zusammen.
ML: Gerade weil viele Trauermärsche sehr langsam sind, hört man sofort jeden Fehler. Da kann man nichts verstecken. Je langsamer man etwas spielt, desto schwieriger wird es, aber umso stärker wirkt die Musik. In manchen Gemeinden werden die Trauermärsche deshalb flotter gespielt. Da ist die Wirkung ganz eine andere. HS: Wichtig ist auch, dass der Trauermarsch mit der Stille davor beginnt. Erst muss es ganz ruhig sein. Dann kannst du spielen. Und er endet auch nicht mit dem letzten Ton, sondern mit dem Klang der Stille danach.

Warum hören die Menschen gern Trauermärsche?
ML: Man braucht für einen Marsch keine musikalische Vorbildung. Er ist schön in seiner Schlichtheit.
HS: Am Anfang, als der Vorschlag kam, eine CD mit lauter Trauermärschen zu machen, haben wir gedacht: Wer will denn das horchen, besteht Bedarf für diese Musik? Mittlerweile finden wir, dass diese Tradition hinaus in die Welt getragen werden sollte. Weil sie erhaltenswert und ein schöner Brauch ist. ML: Es ist eine beruhigende, wunderschöne Musik. HS: Wir waren sechs Buben daheim, vier von uns sind bei der Musik gewesen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir sogar beim Kartenspielen manchmal Trauermärsche gepfiffen oder gesummt haben. „Teure Mutter“ oder „Nachklänge“. Das ist einfach schön ins Ohr gegangen.

Wie ist denn die CD angekommen?
HS: Viele Leute waren sehr überrascht, dass so eine professionelle CD aus einem Dorf am Talschluss kommt.
ML: Aber hinten im Tal bleiben die Traditionen eben auch besonders gut erhalten. HS: Und der Zusammenhalt ist ein ganz besonderer. Viel mehr als in einer Durchzugsgemeinde. Im Winter sind wir hier ja manchmal ganz auf uns gestellt. Wenn es viel schneit. Wenn die Schranke runtergeht und die Straße gesperrt ist. Dann gibt es auch mal zwei Tage keinen Strom, und das Gasthaus ist bumsvoll, weil die ein Notstromaggregat haben. Wir feiern dann einfach.

Ist es eigentlich etwas Besonderes, dass die Stelle des Kapellmeisters bei Ihnen geteilt wird?
HS: Das hat viele überrascht. Manuela ist für die weltliche Musik zuständig, und ich mach die kirchlichen Stücke. Ganz ohne Konkurrenzkampf. Vor 20 Jahren hätte man sich nie vorstellen können, dass eine Frau bei uns Kapellmeister wird.
ML: Es ist offener geworden.

Kommt es eigentlich auch vor, dass jemand keine Musik an seinem Grab will?
HS: Ein alter Herr hat mal gesagt, von dem Pöbel der Musikkapelle würde er sich nicht in den Rücken spielen lassen wollen. Und wie das Leben so spielt, ist an seinem Sterbetag auch die Frau vom Kapellmeister gestorben. Ein Doppelbegräbnis. Natürlich ist dann die Musikkapelle ausgerückt, hat gespielt, und der Herr hat sich nicht wehren können.

Haben Sie Fälle erlebt, bei denen Sie selbst so betroffen waren, dass Sie Schwierigkeiten hatten zu spielen?
ML: Ja, die gibt es. Aber wenn ich mit meiner Flöte da steh und nur weinen muss, bringt das niemandem etwas.
HS: Ich schau oft zu einem Bergkreuz hinauf, um mich konzentrieren zu können.
ML: Wenn mir ein Fall sehr nahegeht, blicke ich strikt in meine Noten. Sobald ich zu den Angehörigen schauen würde, könnte ich nicht mehr spielen.
HS: 2014 verunglückte mein Schwiegervater bei einem Lawinenabgang. Er war 14 Jahre Kapellmeister bei unserer Kapelle! Das Dirigieren der Trauermärsche konnte ich mir an diesem Tag nicht vorstellen. Aber das Spielen ist mir nicht schwergefallen. Es ist eben auch eine Ehre, für jemanden spielen zu können, den man geliebt hat.

FÜR ZUHAUSE

 

Ein musikethnologisches Dokument, das gleichzeitig wunderschön anzuhören ist: Die CD „Nachklänge“ der Musikkapelle Innervillgraten mit 16 selten gespielten Trauermärschen ist beim Wiener Label „col legno“ erschienen, das auch zeitgenössische Komponisten, Jazz- Avantgardisten und Kammermusik veröffentlicht.

 

 

Je öfter Gero Günther nach Tirol fährt, desto mehr ziehen  ihn das Bundesland und seine illustren Bewohner in seinen Bann. Dabei schaut sich der Journalist und Autor genauso gern in Buchhandlungen, Cafés und Ateliers um wie in einsamen Seitentälern, auf Almweiden oder in Kuhställen.

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