Ruhe, bitte!
Fotos: Sigrid Reinichs
Unsere Autorin brauchte dringend Erholung. Aber wo entspannt man sich am besten: im Kloster, auf dem Bauernhof oder im Kurhotel?
KLOSTER
TAG 1 – Die Menschen, bei denen ich Ruhe finden will, sind selbst im Stress. Ich habe fünf Tage im Kloster der Barmherzigen Schwestern des heiligen Vinzenz von Paul in Zams gebucht. All-inclusive, Erholung hoffentlich auch. Normalerweise holt Hausoberin Schwester Barbara die Gäste mit dem Auto vom Bahnhof ab. Heute ist aber oben die Hölle los, erfahre ich am Telefon. Klingt nicht nach friedlicher Klosterromantik. Ein böses Omen? Mal den Teufel nicht an die Wand! Ich nehme ein Taxi. Drei Tage vor diesem Ruhefindungstrip kam ich aus dem Urlaub mit meiner Schwester zurück. Elendsmüde und erschöpft. Neun Tage Kulturinfusionen und Freizeitstress. Ich liebe meine Schwester. Aber sie schnarcht. Und ich frage mich: Seit wann erhole ich mich in meinen Ferien nicht mehr, sondern brauche Erholung davon? Warum werde ich nicht mehr zu meinem frischen Urlaubsteint beglückwünscht, sondern gefragt, ob ich krank bin? Mein Arbeitsrhythmus ist auch alles andere als gesund: Ich verschleppe die Arbeit ständig, in den Feierabend, ins Wochenende, und bekomme beim „Tatort“ am Sonntagabend regelmäßig nicht mit, wer der Mörder ist, weil ich schon über meine Montagsaufgaben grüble. Ich habe das Ausruhen verlernt!
Maria Hilf
Also nehme ich Nachhilfe, wie damals in der Schule in Mathematik. Textaufgabe: „Sie verbringen je fünf Tage in einem Kloster, auf einem Bauernhof und in einem Kurhotel – wie viel Prozent Erholung stellt sich nach jedem Aufenthalt ein? Bitte rechnen Sie mit dem Besten.“
Auf Nimmerwiedersehen Schlaflosigkeit! Fahrt zur Hölle, ihr miesen Zwangsgedanken! Und Stress lass nach! Lass nach, verdammt!
Das Klösterle liegt auf einer knapp tausend Meter hohen Felskuppe. Beste Aussicht auf Ruhe. Hoffentlich schnarcht niemand. Schwester Irmgard öffnet mir die Tür. Sie reicht mir bis zum Brustbein und strahlt mich von unten durch ihre Brille an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie nachts bösartige Laute von sich gibt. Die kleine Schwester lädt mich zum Abendessen ein und lässt mich mein Zimmer wählen. Auf der einen Tür steht „Freundschaft“. Auf der Tür daneben steht „Ruhe“. Ich wünsche mir Ruhe. Das Zimmer ist schlicht und ergreifend, nirgendwo hängt Jesus still leidend am Kreuz. Das Bad ist weiß gekachelt und es gibt Internet. Zwei Minuten später bin ich online. „Du sollst hier abschalten“, sagt der Engel. „Wann warst du denn zum letzten Mal in der Kirche?“, fragt der Teufel.
1845 gesellte sich zur Wallfahrtskirche das Klstergebäude dazu, in dem heute die Barmherzigen Schwestern leben.
Die sieben Nonnen sitzen essbereit am Tisch. Es gibt Wurstsalat und Apfelsaft. Novizin Helen isst Cornflakes mit Kakaopulver. Oberin Barbara weht herein und ergänzt Chicken-Nuggets und Kuchen – Reste vom Hochzeitsfest im Gasthof hier oben. Die Barmherzigen Schwestern schmeißen das Anwesen um die Kronburg mit Wallfahrtskirche, Kloster und Gasthof seit 2005 alleine. Es gibt viel zu tun, manchmal zu viel, deswegen konnte mich auch niemand am Bahnhof abholen, aber es ist immer genug Zeit, um gemeinsam im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu essen. „Bei der Hochzeit haben die Captain Morgan gesoffen, so einen Fusel“, erzählt Oberin Barbara. Dann lästern die Schwestern ein bisschen über den nikotinsüchtigen Landarzt und laden sich Topfentorte auf. Ich schweige und genieße. Zu Hause säße ich jetzt alleine arbeitend vor dem Laptop. Lange her, dass ich mit meinen Geschwistern am Kindertisch Leberwurstbrote gegessen habe. Ich vermisse das.
TAG 2 – Draußen scheint die Sonne. Ich wische drinnen auf dem Smartphone durch die Nachrichten: AfD im Umfragehoch. „Promi Big Brother“. Irgendwer teilt mit 685 Facebook-Freunden ein Bild seiner Füße. Ich muss masochistisch veranlagt sein, mir das anzutun. Dann öffne ich auch noch meine Arbeitsmails. Die britische Psychologin Fiona Jones sagt, dass Stress heute quasi zum guten Ton gehört: „Wer heute gestresst ist, ist modern.“ Arbeit und Freizeit vermischen sich. 45 Prozent der Deutschen arbeiten im Urlaub. Ich gehöre zu den zwölf Prozent, die in den Ferien E-Mails beantworten. Ich bin voll im Trend. Und ein Modeopfer.
Am Klösterle Kronburg führt auch der Jabobsweg vorbei. Pauline begab sich ebenfalls auf Pilgerfahrt – kehrte allerdings schon nach einer halben Stunde zurück.
TAG 3 – Ich kann nicht schlafen. Es ist so still hier. Keine brüllenden Menschen, keine Katzen im Liebesrausch, keine quietschenden Reifen. Nichts. Nichts macht mich nervös. Beim Telefonieren hört man ja oft ein Rauschen, wenn beide Gesprächspartner für einen Moment nichts sagen – nicht, dass einer meint, der andere hätte aufgelegt. Man nennt das wohl Komfortrauschen. Komfortgeschrei wäre jetzt toll.
TAG 4 – Die Berge dampfen. Es regnet. Beim Frühstück sitzen außer mir vier Radler im Trikot und diskutieren über das Wetter. Ich weiß, es wird scheußlich. Sie sagen, das wird schon. Beneidenswert optimistisch. Im Kloster übernachten viele Radler, Pilger und Wanderer. Stressgeplagte Menschen wie ich können bei den Gebeten, Gottesdiensten und Erzählabenden mitmachen. Heute findet ein Taizégebet statt. Ich stelle mein Handy auf lautlos und setze mich zu den Schwestern in den Stuhlkreis um ein Teelichterbeet. Eine Stunde lang schweigen, singen und summen wir uns gemeinsam in eine stressvernichtende Trance. Im Raum schweben Disney-Melodien und ich fühle mich seltsam euphorisch. Später, auf dem steilen Pfad bergauf zur Ruine der Kronburg, summe ich „O du fröhliche“. Weihnachten ist noch weit entfernt, aber offenbar steigt meine Stimmung.
TAG 5 – Was mir fehlt, ist zur „ora“ die „labora“. Das zwei mal drei Schritte große Beet bestellt Schwester Hildegard, den Wurstsalat mischt Schwester Pia Anna, und Oberin Barbara ist eh schneller als jeder Schatten. Ich breche auf. Schwester Barbara zerbricht fast in meiner Umarmung. Energieüberschuss. „Kommen’s unbedingt wieder!“, sagt sie. Es klingt wie eine dringende Empfehlung. Jesus sieht alles. Der weiß, dass ich keine Ruhe finde. Im Bus ist das WLAN verschlüsselt. Ich tippe ungeduldig mögliche Passwörter ein. Bis ich merke, wie dämlich das ist. Am Horizont thronen unverschlüsselt die Alpen.
Online : 180 Minuten am Tag
Schlaf: 5 Stunden in der Nacht, 2 am Tag
Lieder auf den Lippen: 4 religiöse, 20 weltliche am Tag
Erholungsfaktor: 30 Prozent
BAUERNHOF
TAG 6 – Drei Dinge stehen auf meiner ewigen Wunschliste: einen Elefanten streicheln, ein Ferkel fangen, eine Kuh melken. Bauernhof, ich komme! Der Klampererhof in Virgen sieht aus wie die Kulisse eines Heimatfilms: rote, pinke, weiße Geranien an Holzbalkonen und kleinen Fenstern, appetitlich grüne Wiesen, blühende Büsche und Bäume um Scheune, Stall und Wohnhaus. Der Heimatfilm endet, als die Bäuerin die Tür öffnet. Agnes Oppeneiger passt nicht ins Klischee: eine mädchenhafte Rockerbraut mit Ponyfrisur, Ed-Hardy-Shirt und Crocs. Sie und ihr Mann Alois führen den Hof seit zehn Jahren, versorgen Milchkühe, Hasen, Meerschweinchen, Hühner und seit die Milchpreise sich verflüssigen auch Urlaubsgäste. Gerade will ich das WLAN-Passwort eintippen, schon ruft die Arbeit. Drei Stunden sitzen wir auf der Holzbank im Garten vor dem Haus und zupfen Minzblätter für Agnes’ 19-Kräuter-Tee. Vor uns buddelt Terriermischling Krümel Geranien aus dem Boden. Danach käsen wir in der Küche. Agnes macht vor, ich nach: 16 Liter eingedickte Milch mit einer Käseharfe schneiden und den Käsebruch in Formen pressen. 68 Fliegen in meinem Zimmer. Ich schlafe eisern.
TAG 7 – Der Wecker klingelt um Viertel vor sechs. Ich helfe Agnes, das Frühstück für die Gäste zu machen. Fast alles kommt vom Hof: Topfenaufstriche, Eier, Tee, Joghurt, Marmeladen, Mozzarella mit Gartentomaten, Fruchtmolke, Brot und Butter. Was Agnes gestern herstellte, steht heute auf dem Tisch. Nach dem Frühstück schickt sie mich, ihre „Gänseliesel“, die Hühner scheuchen und ihre Eier klauen, und dann kommt mein großer Moment: Ich darf melken. Rein in Crocs und Overall, ran an die Zitzen. Ich knete sie zum Milcheinschuss, docke die Pumpen an und massiere das Euter, bis es leer ist. Ich bin auch leer. Fix und alle.
Pauline war erstaunt, wie geduldig die Milchkuh ihre eher ungeschickten ersten Melkversuche über sich ergehen ließ.
TAG 8 – Hühner füttern. Check. Eier holen. Check. Hasen füttern. Check. Melken, buttern, Stiefmütterchen zupfen. Check. Mit Zellophantüten, Etiketten, Bastschnüren, Holzscheibchen und Schuhlöffel Teepäckchen zusammenfummeln. Na ja. Gerade will ich Agnes vorjammern, wie hässlich sie geworden sind, da drückt sie mir die Käseharfe in die Hand. Tatsache, ich habe mich seit zwei Tagen über nichts aufgeregt. „Die Bäuerin hat keine Zeit für schlechte Laune“, sagt Agnes und zieht sich Gummihandschuhe über, um Mozzarella zu käsen. Sie hat Recht. Man kann sich das Leben auch schlechtdenken. Kann ich besonders gut – vor allem in meiner Freizeit oder anstatt zu schlafen. Agnes singt sich durch ihre 18-Stunden-Tage. Ich summe mit.
TAG 9 – In meinem Arbeitsalltag komme ich oft vor Müdigkeit kaum aus dem Bett, trinke literweise Kaffee und schlafe trotzdem auf dem Schreibtisch ein. Auf dem Hof bleibt kaum Zeit zu sitzen. Aber ich bin nicht müde vom Arbeiten, sondern erholt vom Schlafen.
TAG 10 – Agnes erzählt mir, dass sie in ein paar Monaten auch endlich Schweine haben wird: Ferkel, die über die Almwiese springen, oh Gott! Aber so lange kann ich nicht bleiben, ich muss weiter. Zum Abschied drücke ich Agnes energisch. Sie adelt mich stöhnend: „Wie ein Bauer.“
Beim Abschied von Bäuerin Agnes schwört sich Pauline, auf jeden Fall wieder auf den Hof zurückzukommen.
Online: 20 Minuten am Tag
Tiefschlaf: 7 Stunden in der Nacht
Gemolkene Kühe: 10
Erholungsfaktor: 85 Prozent
KURHOTEL
TAG 11 – Ich habe drei Geschwister und kann Nudeln fast unzerkaut schlucken. Jetzt sitze ich mit Mordshunger vor einer Portion Saiblingsfilet und zähle jeden Bissen im Mund an: 1, 2, 3, 4, … 30-mal kauen pro Bissen ist Teil der „Regenerationstherapie“ am Lanserhof. Das „Medical Spa“ ist der Royal Flush unter den Kurhotels, eine Fusion aus allem, was Körper und Geist aufpoliert: Fasten und Entschlacken nach Darmsanierungsguru F. X. Mayr, Detox- und Energieanwendungen, medizinische Untersuchungen, Bewegungstherapien und psychologische Beratung. Genau genommen bin ich aber gar nicht in Lans, sondern in Kitzbühel. Gerade parkt das Team plus sieben Tonnen Inventar im Hotel Schwarzer Adler, bis die Residenz in Lans zum Kur-Utopia umgebaut ist. Im Speisesaal stehen rosa Rosen auf den Tischen und weiße Orchideen auf den Fensterbrettern, es duftet nach Lilien und Kräutertee. Heute buchen meine Freundinnen regelmäßig Wellnesswochenenden und Kollegen im Büro gehen in die Männersauna. Deutschland, Frankreich und Österreich stecken im Jahr knapp 60 Milliarden Euro in Wellnessangebote. Das moderne „Hotel Mama“ denkt für uns und weiß alles besser, wir werden bekocht, gestreichelt, gesund gepflegt. Die wenigsten Menschen bleiben beim Thema gesunde Ernährung konsequent. Deshalb kommen viele Gäste regelmäßig in den Lanserhof, um sich von Profis wieder zurück auf den Pfad der Tugend bringen zu lassen. Ich wollte mich grade auf Abwege begeben – keine Chance: Die Minibar in meinem Zimmer ist leer.
Pauline sieht im Wellnessbereich des Lanserhofs nur scheinbar entspannt aus. Tatsächlich denkt sie gerade verzweifelt an Schokolade.
TAG 12 – Ich bekomme dreimal am Tag eine Mahlzeit aus der „Energy Cuisine“. Viele der Gäste haben ein härteres Programm gewählt und lassen sich Tee mit einer Orangenspalte servieren, macht null Kaueinheiten, oder eine Kartoffel mit Leinöl und Kresse, macht 90 Kaueinheiten. Für mich gibt es Haferbrei mit Früchten, dazu Dinkelknäcke mit Avocado, macht mindestens 500 Kaueinheiten. „Guest Assistant“ Magda beugt sich zu mir: „Frau Krätzig, geht’s mit dem Kauen?“ Um ehrlich zu sein: nein. Bei spätestens zehn rutscht mir jeder Bissen den Hals runter. Abends im Zimmer kann ich nur an Schokolade denken. Ich setze meine Sonnenbrille auf und schleiche über die Hintertür im Keller zum nächsten Billa-Markt. Mein Kopf hämmert: „Tu’s nicht!“ Der Magen knurrt: „Tu es!“ Ich kaufe eine Vollnussschokolade. Die leere Verpackung versenke ich tief im Koffer.
TAG 13 – „Aktives Aufwachen“ um halb sieben. „Ist das nicht toll!“, sagt Trainerin Stefanie mit Schwung in der Stimme. Wie sich die Sonne über Kitzbühels Dächern ausbreitet, ist tatsächlich toll. Frohnatur Stefanie ist nicht zu bremsen. Wir holen gemeinsam Äpfel vom Himmel, gehen in die Hocke und schütteln uns wach. Ich nehme mir fest vor, morgens wieder öfter Yoga zu machen. Mir Instantkaffee reinzuschütten, geht natürlich schneller, macht aber nicht ein Zehntel so wach. Ich bin gespannt auf meine Massage. Viele Kulturen kneten sich schon seit Jahrtausenden gegenseitig durch, aber ich hatte bisher immer saft- und kraftlose Handaufleger als Masseure. Therapeutin Sarah beschmiert mich mit einer Packung aus Birke und Wachholder, Honig und Olivenöl – fester! Fester! Dann wickelt sie mich in Tücher und fährt mich auf Knopfdruck in ein warmes Wasserbett. Wie in Mutters Schoß. Ich wache von meinem Schnarchen auf.
Das ganzheitliche Gesundheitskonzept des Lanserhofs lockt schon seit über 30 Jahren Menschen nach Lans in der Nähe von Innsbruck.
TAG 14 – Es wundert mich nicht, dass Wellnesshotels so beliebt sind. Nichts von dem, was mich im Alltag stresst, muss ich hier machen: Mein Bett wird jeden Tag gemacht, meine Handtücher ausgetauscht, ich muss nicht kochen und darauf achten, dass das Essen halbwegs gesund ist. Büroarbeit bleibt mir auch erspart, sie wird mir sogar sanft untersagt. Gern geschehen. Ich weiß heute schon, was ich morgen tun und übermorgen essen werde. Ich muss nichts weiter tun als da sein. „Die Sehnsucht nach Entschleunigung steigt“, sagt der Soziologe Hartmut Rosa, der sich in seinen Büchern kritisch mit der modernen Stressgesellschaft beschäftigt. Er spricht davon, dass sogenannte „Entschleunigungsinseln“ immer populärer werden – ein Wellnesshotel gehört ja wohl auch dazu. Es geht darum, einmal nicht Aufgabe an Aufgabe zu reihen, es geht darum, nichts zu kontrollieren und nichts zu beherrschen und einfach gar nichts zu tun.
TAG 15 – Patricia Eller, Allgemeinärztin im Lanserhof, erklärt mir, wie aufgebläht mein Dickdarm ist und wie laut meine Leber ächzt. Meine Wangen glühen. Die Schokolade ruft beim Gewissen an: „Ich weiß, was du letzten Abend getan hast.“ Stumm nicke ich meine Fehlfunktionen ab. Eine Freundin von mir hat mal zwei Wochen lang gefastet. Die ersten sechs Tage wie ein Hund gelitten. Dann die Wende: Sie hatte rosige Haut und war nervtötend dynamisch und gut gelaunt. Ich befürchte, ich lasse mich nicht ausreichend auf die Therapie ein. Dr. Eller verschreibt mir je zwei verschiedene Kapseln und Pulver. Ich gebe ihr die Hand und wünsche mir, dass sie mir auch ein bisschen mehr Disziplin verschrieben hätte.
Online: 240 Minuten am Tag
Schlaf: 9 Stunden in der Nacht
Fastenbrechen: einmal am Tag
Erholungsfaktor: 55 Prozent
Paulines Resümee zwei Wochen nach ihrem Selbstversuch: „Ich will ein Ferkel fangen!“
TAG 29 – Seit zwei Wochen hat mich der Alltag wieder verschluckt. Die Erholung nach meiner Reise ist wieder aufgebraucht, aber sie war da. Jede meiner drei Stationen hat dazu beigetragen, ich konnte herausfinden, wie ich am besten abschalten und loslassen kann. Wie die Schwestern im Kloster will ich mich wieder öfter mit lieben Menschen umgeben. Ich betrachte meine Arbeit wohlwollender, schließlich mag ich meinen Beruf mindestens genauso wie Bäuerin Agnes ihren, und die geht darin auch nicht unter, sondern auf. Das Nichtstun im Kurhotel war völlig neu für mich. „Ich sinnlose vor mich hin, und das mit Begeisterung“, hat Gerhard Polt mal in einem Interview über die Langeweile gesagt. „Schildkröteln“ nennt er das. Das sollte doch auch im Alltag machbar sein. Ich nehme die Arbeit nach wie vor mit auf die Couch und steigere mich in Versagensängste hinein. Dafür gibt es jetzt aber wieder Abende, an denen ich mit Freundinnen lästere, dass es raucht, und meine Geschwister zu Wurstbroten und Spezi einlade. Ich kann in der Großstadt keine Kühe melken, aber ich gehe wieder regelmäßig tanzen und das macht mich auch müde und glücklich, und kein Schnarchen der Welt könnte mich dann später in der Nacht noch wecken. Und beim Spaghetti-Essen bin ich nicht mehr Erste. Auf jeden Fall weiß ich, wohin meine Reise beim nächsten Breakdown gehen wird. Die einen schwören auf Wellness und Detox, andere suchen sich selbst, die Ruhe oder Gott im Kloster. Ich will ein Ferkel fangen!