Blog
Kategorien
Kaspressknödel, © Tirol Werbung / Rodler Ilvy
Essen & Trinken
Sepp Kahn, Almliterat, © Bert Heinzelmeier
Menschen
Imster Schemenlaufen, © Tirol Werbung / Aichner Bernhard
Kulturleben
Swarovski Kristallwelten, © Tirol Werbung / Moore Casey
Empfehlungen
Kinder am Fluss, © Tirol Werbung / Herbig Hans
Familie
Olperer Hütte, © Tirol Werbung / Schwarz Jens
Unterhaltung
Great Trail , © Tirol Werbung / Neusser Peter
Sport
Magazincover auf Rot
Magazin
Jagdhausalmen im Osttiroler Defereggental. Foto: Tirol Werbung.
Serien

Der Berg Groovt

30.03.2021 in Magazin

Fotos: Charly Schwarz

Wer an den Sound von Tirol denkt, hat Volksmusik im Ohr. Doch zwischen Kufstein und Landeck findet sich Vielfalt – unter anderem mit einer lebendigen Jazzszene. Besonders in Innsbruck mischen sich junge und etablierte Musiker, die nicht nur Blasinstrumente in einem sehr modernen Rhythmus spielen.

Felix Heiß ist übernächtigt. Sein Kopf hängt über den Tasten des Flügels wie eine verwelkte Tulpe. Wie ging dieser Einstieg noch mal? Seine Bandkollegen schauen ihn erwartungsvoll an. „Ja, ja“, sagt der Pianist: „Sekunde noch“. Und dann purzeln die Noten aus ihm heraus. Schlagzeuger Max Schrott streicht mit den Besen über die Snare Drum, Anna Reisigls Bass schreitet auf Zehenspitzen durch den Raum.

JAZZY, FUNKY: Anna Reisigl, Bassistin der Gruppe Drehwerk.
JAZZY, FUNKY: Anna Reisigl, Bassistin der Gruppe Drehwerk.

„Ascending Mist“ heißt die Nummer. Eine lyrische Ballade, gerade richtig zum Aufwachen. Mal luftig und leicht, mal funky und fett klingen Drehwerk. Abwechslungsreich wie das Wetter an diesem Samstagmorgen. Draußen nieselt es, dann setzt sich die Sonne durch und scheint in die Probenräume im Haus der Musik. Inzwischen haben sich die drei warm gespielt. Felix Heiß ist aufgewacht, greift komplizierte Akkorde. Sein „Jazzy McJazzface“ ist eine coole Uptempo-Nummer, die an Pianistenlegende McCoy Tyner erinnert. Zwischen den Stücken wird heftig diskutiert. „Für Außenstehende klingt das vermutlich wie Streit“, sagen sie, „für uns gehören Austausch und Kritik zum kreativen Prozess.“ Jetzt klatscht Regen gegen die Fensterscheiben. Aus dem fünften Stock schaut man über Innsbruck hinweg direkt ins Gebirge. Fast ein bisschen aufdringlich wirken die Gipfel. Als wollten sie das Gespräch unbedingt auf das Klischee des Alpenländischen lenken. Selbst hier in diesem modernen Gebäude aus Beton, Glas und Keramik.

 Lukas Klement, der Drummer des Yvonne Moriel Quartett.
 Lukas Klement, der Drummer des Yvonne Moriel Quartett.

Blasmusik als Ausgangspunkt

„Die Volksmusik gehört bei uns Tirolern einfach dazu“, sagt Felix Heiß, „zumindest als Einstieg.“ Auch er und Drehwerk-Schlagzeuger Schrott haben ihre ersten Schritte bei der Blasmusik getan. Die Blaskapellen sind einer der Pfeiler der exzellenten Tiroler Musikausbildung, die staatlich geförderten Musikschulen ein anderer. „Klar sind das Gründe, warum es in Tirol so viele gute Instrumentalisten gibt“, vermutet Reisigl. Kein Wunder, dass die meisten unter ihnen in ganz verschiedenen Genres unterwegs sind. Kaum ein Jazzmusiker, der nicht auch mal Zwiefachen, Marschmusik oder Klassik gespielt hat oder als Nebenprojekt bei einer Latin- oder Indierockband mitwirkt.

Das Treibhaus ist der wichtigste Jazzclub in Tirol.
Das Treibhaus ist der wichtigste Jazzclub in Tirol.

„In Tirol haben wir viele kreative Einzelköpfe, originelle Besetzungen und spannende Mischformen“, sagt Saxofonist Florian Bramböck, Urgestein des österreichischen Jazz, Lehrer am Landeskonservatorium und Mitglied unzähliger Bands. Er ist selbst ein gutes Beispiel für einen breit aufgestellten Musiker. „Gestern war ich in Meran, weil sie da ein Konzert von mir uraufgeführt haben“, erzählt er und grinst: „Ein depressives und trauriges Stück für Streicher.“ Bramböck hat drei Opern komponiert, Kirchen-, Blas- und Kammermusik, Konzerte für Symphonieorchester und Soloinstrumente. Heute tritt er in Kufstein mit dem Rupert Kirchmair Quintett auf. „Der Jazz ist für mich Nährboden“, sagt Bramböck. „Wenn ich mehrere Tage nicht improvisieren kann, werde ich unruhig“. 

Rupert-Kirchmair-Quintett

GROOVY, GROOVY Rupert Kirchmair am Flügel in Kufstein.
GROOVY, GROOVY Rupert Kirchmair am Flügel in Kufstein.

Eine Prise Klassik noch dazu

Auf der Bühne sprudelt die Spiellust aus dem Saxofonisten heraus, als hätte man eine Sektflasche entkorkt. Nichts Strapaziöses bekommen die Kufsteiner zu hören, sondern quicklebendigen europäischen Jazz. Anspruchsvoll, virtuos und trotzdem unterhaltsam. Und eine Prise Klassik ist auch dabei: Ein Stück ist von Béla Bartók inspiriert, ein anderes von Gustav Mahler. Man spürt die langjährige Verbundenheit zwischen diesen Musikern. Sie kennen sich so gut, dass jeder noch so schwierige Ball angenommen und weitergespielt wird. Am Schlagzeug sitzt Flo Baumgartner, der mit seiner Retro-Swingband Flo’s Jazz Casino schon viele große Hallen gefüllt hat. Außerdem ist er Teil des Grammophon Acoustic Project, des Bernd Haas Trios und diverser anderer Gruppen. „Es muss bunt bleiben“, sagt Baumgartner: „Ich könnte mir nicht vorstellen, immer nur mit einer Band zu spielen.“

Der Schlagzeuger Flo Baumgartner, hier mit dem Rupert Kirchmair Quintett.
Der Schlagzeuger Flo Baumgartner, hier mit dem Rupert Kirchmair Quintett.

Zum Glück sei die Tiroler Szene von Offenheit und Spielfreude geprägt statt von Konkurrenzdenken oder Dünkel, sagt auch Bandleader Rupert Kirchmair. Er habe gestern in einer Afro-Latin-Band gespielt und arbeite in der Wintersaison häufig als Pianist in Luxushotels. „Es macht mir Spaß, für die Gäste schöne Klangteppiche auszurollen.“ Trotz der lebendigen Jazzszene zieht es die meisten jungen Musiker früher oder später in die Metropolen. „Wer Feuer gefangen hat“, sagt Saxofonistin Yvonne Moriel, „muss Tirol zumindest zeitweise verlassen.“

Die Bandleaderin Yvonne Moriel am Saxofon im Treibhaus.
Die Bandleaderin Yvonne Moriel am Saxofon im Treibhaus.

Nach wie vor gebe es in Innsbruck trotz vieler großartiger Dozenten nur einen Jazzlehrgang, kein vollwertiges Studium. Moriel und die anderen Drehwerk-Mitglieder haben ihren Lebensmittelpunkt deshalb in Wien. In ihrer alten Heimat spielt sie trotzdem gern und regelmäßig. Heute Abend beispielsweise im Treibhaus, der wichtigsten Anlaufstelle für Jazzfans in Tirol. In dem legendären Club in der Innsbrucker Altstadt traten schon Charlie Haden und Joe Zawinul auf, John McLaughlin und Avishai Cohen. Treibhaus-Gründer und -Betreiber Norbert Pleifer kann stundenlang von seinen Begegnungen mit großen Künstlern berichten. Vom exzentrischen Bandleader Sun Ra, der sich im Turm des Clubs den Sternen nahe fühlte und vor dem Konzert noch schnell eine kosmische Komposition schreiben musste, oder vom viel zu früh verstorbenen Jazzer, Komponisten und Dichter Werner Pirchner, der mit seiner Platte „Ein halbes Doppelalbum“ die Tiroler Volksmusik verhackstückte und zum „Guru der aufmüpfigen Jugend“ wurde.

meinTirol-Magazin

Dieser Artikel ist aus dem meinTirol Magazin. Unter www.tirol.at/abo können Sie das Magazin abonnieren und bekommen jede Ausgabe kostenfrei nachhause in den Briefkasten.

Magazin-Cover-Sommer-2020

Jetzt kostenlos abonnieren

Und plötzlich: Westcoastbeats

Das Yvonne Moriel Quartett tritt an diesem Abend im Treibhaus-Café auf, seinem „Wohnzimmer“, wie er den Club nennt. Auf einem der Lautsprecher brennen Kerzen. Durch die hohen Fenster kann man den Neuschnee auf der Nordkette erahnen. „Verdammt, ist das plötzlich kalt geworden“, sagt Yvonne Moriel und zieht sich vorsichtshalber einen Mantel über. Dem Ton ihres Saxofons tut es keinen Abbruch.

Ivonne-Moriel-Treibhaus

Es ist catchy, was die Band von Moriel da spielt, funky und melodiös. Das Keyboard lässig, E-Bass und Drums tight wie eine Laufhose. Klingt eher nach amerikanischer Westküste als nach Patscherkofel. Klingt als wäre die 28-Jährige zwischen Wolkenkratzern groß geworden. „Ich habe meine Kindheit und Jugend in einem kleinen Dorf oberhalb des Inntals verbracht“, erzählt Yvonne Moriel später, „zwischen Kühen und dichten Wäldern.“ Mit dem Jazz kam sie durch ihren Saxofonlehrer Romed Hopfgartner in Berührung. Nachdem dieser nach Wien gezogen war, konzentrierte sich die junge Frau auf die Klassik. Erst als ein Freund sie regelmäßig auf Jamsessions nach Innsbruck mitschleppte, folgte sie dem Drang, etwas von ihrer eigenen Impulsivität in die Musik einzubringen. „Beim Jammen musst du dich ausprobieren, Risiken eingehen“, sagt Moriel. Ihre Risikobereitschaft bewies die junge Saxofonistin, als sie kurze Zeit später nach Wien zog, um dort Jazz zu studieren. Nebenbei schloss sie ihr Medizinstudium ab und spielte in verschiedensten Formationen. Heute ist Yvonne Moriel Profimusikerin und Bandleaderin. „Es ist nicht immer einfach“, sagt sie: „Gerade als Frau darfst du dir in dieser Szene keine Schwächen leisten.“ Aber an Mut mangelt es Moriel nicht. Und jetzt knöpft sie erst mal den Mantel zu und zählt die nächste Nummer ein. „Reality“ heißt die und klingt ziemlich gut gelaunt. 

Jazz-Locations in Tirol

Eine Auswahl an Orten, in denen man in Tirol Jazz hören kann:

Jazz-Locations

Je öfter Gero Günther nach Tirol fährt, desto mehr ziehen  ihn das Bundesland und seine illustren Bewohner in seinen Bann. Dabei schaut sich der Journalist und Autor genauso gern in Buchhandlungen, Cafés und Ateliers um wie in einsamen Seitentälern, auf Almweiden oder in Kuhställen.

Letzte Artikel von Gero Günther
schwarz und weiß
Aktualisiert am 24.12.2023 in Magazin
Schwarz und Weiß
7 Min Lesezeit
der weg ist das ziel
Aktualisiert am 23.08.2023 in Magazin
Der Weg ist das Ziel
6 Min Lesezeit
Schon lange nicht mehr gemacht: Daumen raus und einfach schauen, was passiert. Wohin? Wissen wir doch nicht. 
Aktualisiert am 10.07.2023 in Magazin
Ohne Apps und Co.: Planlos durch Tirol
9 Min Lesezeit
Aktualisiert am 24.05.2023 in Magazin
Und du so?
11 Min Lesezeit
Das Wiener Büro Delugan Meissl Architects hat das Festspielhaus von Erl entworfen.
Aktualisiert am 05.12.2022 in Magazin
Wagner auf der Wiese
9 Min Lesezeit
Heimat & Hightech: Seit 2017 befindet sich das Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen am Ortsrand von Hall. Der Flachbau wurde von den Wiener Architekten Franz&Sue entworfen und hat eine Fläche von 14.000 Quadratmetern.
Aktualisiert am 10.03.2022 in Magazin
Das Gedächtnis Tirols
10 Min Lesezeit
B171 bei Radfeld: Zwei Kreuze gedenken zweier Opfer von Verkehrsunfällen aus den Jahren 2001 und 2017. Statt Gemälden finden sich auf modernen Marterln oft Fotos – und in diesem Fall ein Goethe-Zitat.
Aktualisiert am 01.03.2022 in Magazin
Die lebenden Toten
7 Min Lesezeit
            Whiteout: Wenn die Sonne hinter Wolken verschwindet, verliert die Landschaft ihre Zeichnung.
Aktualisiert am 17.01.2022 in Magazin
Slow Shoeing
8 Min Lesezeit
Postkartenrealität:
Christoph W. Bauer wuchs im Skiort Kirchberg auf. Die Touristen prägten den Ort und bestimmten den Rhythmus des Lebens.
Aktualisiert am 27.10.2021 in Menschen
In Schreibstube und Skiwerkstatt
8 Min Lesezeit
Mit der Sanierung des Mesnerhofs zu einer modernen Interpretation des Matratzenlagers hat Georg Gasteiger seine Erfüllung gefunden.
Aktualisiert am 22.03.2021 in Magazin
Auf ein Neues!
11 Min Lesezeit
Busreportage
Aktualisiert am 28.01.2021 in Sport
Ohne Stau
9 Min Lesezeit
Schneeschöpfen (2)
Aktualisiert am 24.12.2020 in Magazin
Schneekönige
5 Min Lesezeit
Aktualisiert am 27.04.2020 in Magazin
Bedeute ich etwas?
10 Min Lesezeit
Aktualisiert am 31.03.2020 in Magazin
Klimaneutrales Ragout
8 Min Lesezeit
Aktualisiert am 20.11.2019 in Magazin
Die eigenen vier Holzwände
10 Min Lesezeit
Aktualisiert am 17.11.2019 in Magazin
Selbstversorgerhütte: so funktioniert das Wir-Hotel
4 Min Lesezeit
hier geblieben
Aktualisiert am 23.04.2018 in Magazin
Hier geblieben!
7 Min Lesezeit
schlussakkord
Aktualisiert am 09.03.2018 in Magazin
Schlussakkord
8 Min Lesezeit
Katharina Schaller, ihr Debütroman "Unterwasserflimmern" wurde in zahlreichen Medien für seine sinnliche und schnörkellose Sprache gefeiert.
13.12.2022 in Menschen
Ganz und radikal ehrlich
8 Min Lesezeit
Nur wir Zwei
30.03.2021 in Magazin
Nur wir zwei
9 Min Lesezeit
Alle Artikel von Gero Günther
Keine Kommentare verfügbar
Kommentar verfassen

Einfach weiterlesen

nach oben

Der Berg ruft? Unser Newsletter auch!

Im wöchentlichen Newsletter verraten wir Ihnen die besten Urlaubstipps aus Tirol.