Klimaneutrales Ragout
Fotos: Sebastian Gabriel
Artgerechter als ein Tiroler Reh oder Hirsch kann ein Tier kaum aufwachsen. Wenn das Revier dann noch vis-à-vis vom Restaurant liegt und die Köche selber jagen, könnte die Nahrungsmittelkette nicht kürzer und transparenter sein. Im Herrnhaus in Brixlegg sprachen wir mit Christian Moigg, und seinem Sohn Lukas über ihre Liebe zur Jagd und zu guten Nahrungsmitteln.
Szegediner Gulasch vom Wildschwein mit kleinem Semmelknödel, gefülltes Rehschnitzel und rosa gebratenes Filet auf Kürbiscreme und Ravioli mit Kürbisfülle.
Nach deinem olivgrünen Pulli zu urteilen, Christian, kommst du gerade aus dem Wald. Wie oft geht ihr auf die Jagd?
Christian Moigg: Ich komme gerade von einer dreitägigen Radtour und war gleich noch drüben im Revier. Aber geschossen hab ich nichts. Ich bin eigentlich jeden Tag dort, geh meine Runden und schau, was so los ist. Zum Ansitzen selber hab ich weniger Zeit. Vielleicht zwei, dreimal die Woche.
Lukas: Ich geh so oft wie möglich. Und wenn ich frei hab eigentlich immer. Wie jeder Jäger hab ich meine Lieblingsplätze – ein bisschen weiter oben. Das erste Stück fahr ich mit dem Jeep, dann steig ich noch ein bisschen auf.
Du verbringst also viel Zeit auf dem Hochstand?
Lukas: Von der Morgendämmerung bis es wieder dunkel wird. Im Wald komm ich runter vom Stress. Das ist allweil nett und nie langweilig. Oft kommt ein Reh oder ein Fuchs vorbei, und du hast was zum Schauen. Schießen tut man eigentlich gar nicht so häufig. Das Tier muss ja zur Abschussliste passen. Nicht dass sonst das falsche Stück daliegt.
Und du erkennst immer, ob es das richtige Tier ist?
Lukas: Da braucht man ein gutes Fernglasl. Wenn alles passt und es zum Schuss kommt, geht dir die Pumpe. Dann freu ich mich, wenn ich gut getroffen hab.
Christian Moigg © Sebastian Gabriel
Lukas Moigg © Sebastian Gabriel
Die Köche im Herrnhaus
Christian Moigg (oben) begann seine Laufbahn 1976 als Lehrling in Seefeld. Er hat in Interlaken, Arosa, Davos und St. Moritz gekocht, ehe er nach Tirol zurückkehrte. Im Herrnhaus löste er seine Mutter als Köchin ab. Moigg ließ das im Krieg zerstörte und danach wieder aufgebaute Haus aufwendig restaurieren. Sein Sohn Lukas absolvierte die Ausbildung zum Koch in Tirol, ehe er in Salzburg und im Münchner Sternerestaurant Tantris arbeitete. Im elterlichen Betrieb steht er gleichberechtigt neben seinem Vater am Herd.
Gibt es denn wirklich einen Unterschied zwischen Wild aus dem Wald und Zuchttieren?
Christian: Früher haben die Leute Hirsche aus Neuseeland gekauft, die nicht viel mit dem Wald zu tun haben. Die Tiere werden auf Wiesen gehalten und grasen wie Kühe. Deshalb ist der Geschmack anders. Zusätzlich werden sie dann noch Kraftfutter kriegen, höchstwahrscheinlich. Unser Wild liefert gesundes Fleisch. Fettarm und reich an Mineralien. Die Tiere leben gut, fressen gut, werden geschossen und kugeln in den meisten Fällen einfach um.
Lukas: Auch bei anderen Zutaten ist uns die Herkunft wichtig. Die Kräuter und ein Teil vom Gemüse kommen aus Mamas Garten, der Rest von Bauern aus der Gegend. Unser Fisch stammt von einem regionalen Händler.
Wie viele Tiere schießt ihr jedes Jahr?
Christian: Pro Jahr sind es circa 40 Rehe, 30 Hirschen und 10 bis 12 Gamsen. Federwild ist in Tirol nicht so üblich. Schwarzwild, also Wildschweine, gibt es bei uns nur als Eindringlinge aus anderen Gegenden, eine echte Plage.
Lukas: Wir haben heuer eine Wildsau bei uns im Revier geschossen. Die stand aber nicht auf der Speisekarte.
Und die schießt alle ihr?
Christian: Ich bin jetzt selber nicht der ganz große Schießer. Der Bua schießt mehr. Zusätzlich hab ich in unserer Genossenschaft „Jagd Kramsach“ vier, fünf Ausgeher. Die machen einen guten Job und bringen mir das Wildbret. Ich bin eher fürs Füttern zuständig und solche Sachen. Für die Schonzeiten. Das gehört auch dazu.
Wie groß ist das Revier?
1.500 Hektar mit 1.200 Hektar bejagbarer Fläche. Es ist ein wirklich schönes Revier. Direkt gegenüber im Tal. Es reicht von 530 Metern über dem Meeresspiegel bis rauf auf 1.580. Das Revier habe ich seit 25 Jahren. Wir machen Ansitz und Pirsch. Keine Treibjagden. Dafür ist das Gelände nicht ideal.
Christian und Lukas Moigg mit ihrem Beikoch Simon vor ihrer Jagdhütte.
Nicht immer kommt es zum Schuss. Freude macht das Ansitzen trotzdem.
Gute Aussichten: Die Pirsch ist immer auch ein Landschaftserlebnis.
Wann habt ihr mit dem Jagen angefangen?
Ich hab mit 33 angefangen. Durch einen Freund. Ich war und bin sehr aktiver Läufer, Skifahrer und Tennisspieler, und das, was er von der Jagd erzählte, hat mich interessiert. Dann hab ich die Prüfung gemacht und bin dabei geblieben.
Lukas: Mit 19, gleich nach der Lehre, hab ich die Jagdprüfung gemacht. Es war viel zum Lernen. Aber ein bisschen was wusste ich ja schon, weil ich mit dem Papa schon so oft zusammen gegangen war.
Ist es für die Fleischqualität wichtig,dass der Schuss gut sitzt?
Klar. Vielleicht geht das Tier manchmal noch 20, 30 Meter. Mehr sollten es nicht sein. Bei schlechten Schützen kann es natürlich auch mal Stress für das Wild geben, und diese Hormone kann man dann auch schmecken.
Christian, warum hast du dich als Koch auf Wild spezialisiert?
Wir bereiten viele verschiedene Sachen zu. Im Frühsommer gern mit dem Rehwild. Dann kommt das jüngere Rotwild. Die ein- bis zweijährigen. Jetzt sind dann die älteren Stücke dran. Dann werden im Oktober, November die Hirschkälber geschossen. Und die Rehkitz. Und die Schmalgeißen. Und im Dezember schießen wir dann noch einige Gamsen, und somit ist das Jagdjahr wieder rum.
Die Jagd in den Bergen
In Tirol gibt es 15.000 Jägerinnen und Jäger. In der Saison Jahr 2017/18 wurden 10.675 Stück Rotwild, 15.609 Rehe und 7.223 Gemsen geschossen. Das meiste Wild landet in privaten Haushalten. Circa 25.000 Stück Wild jährlich werden von Jägern und deren Familien selbst verzehrt, berichtet der Tiroler Jägerverband. Nur 10.000 Tiere gehen in den Handel oder werden in Restaurants zubereitet.
Das ist also eine sehr saisonale Geschichte?
Man verkocht das natürlich schon so, wie es frisch reinkommt. Es wird zerwirkt, hergerichtet, vakuumiert, und wenn man was nicht gleich braucht, friert man es ein. Es gibt Wochen, da kommen vier, fünf Stück. Die kannst du nicht alle verkaufen, das geht nicht.
Lukas: Im Herbst kommen ja manchmal zehn Stück in einer Woche rein. Da müssen wir dann zu dritt arbeiten. Derjenige von uns, der die meisten Tiere auslöst, ist Simon, unser Beikoch. Der hat bei uns gelernt und jetzt auch die Jägerprüfung gemacht.
Wie lange hängen die Tiere im Kühlraum?
Christian: Je nach Alter. Bei den Jungen musst du überhaupt nicht lange hängen, das kannst du fast sofort hernehmen. Und einen älteren Hirsch lässt du auch mal zwei Wochen in der Decke, wie wir Jäger das Fell nennen. Das tut ihm überhaupt nichts. Da reift er.
Wie viel von einem Tier könnt ihr verwerten?
Je nach Schuss liegt die Ausbeute bei 50 bis 60 Prozent des Gewichts. Um den Schuss herum musst du ziemlich großflächig ausschneiden. Die Decke kommt weg, das Haupt natürlich auch. Wir verwerten fast alles von einem Tier. Den Rücken, das Filet oder Teile aus der Keule kannst du auch bei älteren Tieren gut verkochen. Den Rest nimmt man eher für Speck oder Würste her. Fein faschiert. Aus den Knochen kochst du Jus. Das Herrnhaus ist ja ein gehobener Gasthof, der in vielen Restaurantführern steht.
Vor dem Zerteilen des Wilds müssen die Messer gewetzt werden.
Das Zerwirken oder Zerlegen der Beute ist fester Bestandteil der Jägerei.
Werkzeug: Scharfe Klingen müssen die Messer und Beile haben.
Kocht ihr eher klassisch oder experimentell?
Christian: Wir machen verschiedene Sachen. Beim Reh kochen wir ein Ragout, eine Lasagne mit Selleriepüree und Schnitzel gefüllt mit Pilzen in der Knusperkruste. Der Rücken wird bei Niedrigtemperaturen langsam gegart. Die Schlegel füllen wir. Und dann gibt es unsere Rehbratwürstel. Die werden gebrüht, gebraten und mit Bergrahmlinsen serviert.
Lukas: Ich experimentiere schon gern. Aber insgesamt bleibt es beim Wild eher klassisch. Man soll den Eigengeschmack des Fleisches unbedingt schmecken. Als ich in München im berühmten Sterne- Restaurant Tantris gearbeitet hab, hat der Hans Haas immer gesagt: Das Produkt ist das Wichtigste. Ich mach auch mein Wildgewürz selber. Aus Sternanis, Wacholder, Lorbeer, Fenchelsaat, schwarzem Pfeffer und Piment.
Christian: Und natürlich muss auch das Blaukraut selbst gekocht werden. Ganz wichtig. Wir bereiten es mit Karamellbutter, Orangensaft, Apfelmus, Nelkenpulver, Preiselbeeren und Rotwein zu.
Streifen-Look: Das Filetstück kommt nur kurz auf den Grill.
Das Credo von Lukas Moigg: „Nur aus guten Zutaten entstehen gute Gerichte.“
Wurzelgemüse, Kräuter, Knochen und Fleischreste bilden die Basis des Jus.
Ihr habt auch ein kreatives vegetarisches Menü.
Lukas: Es gibt ja immer mehr Vegetarier. Darauf wollten wir eingehen. Und ich will ja selber auch nicht jeden Tag Fleisch essen.
„Wild aus regionalen Wäldern“, sagt der Klimaforscher und Nachhaltigkeitsexperte Johan Rockström, „ist das korrekteste Fleisch, das man essen kann.“ Stimmt das?
Christian: Es ist gesundes Fleisch. Natürliches Fleisch. Und wir sind keine Bambi- Killer. Wir beobachten die Natur sehr genau und wissen am besten Bescheid über die Populationen. Das gesamte Wild, das im Herrnhaus serviert, kommt aus unserem Revier. Wir kaufen kein Wild zu. Wenn nix mehr da ist, ist halt einfach nix mehr da.
Handarbeit: Fertigprodukte sucht man im Herrnhaus vergeblich.
Die alten Stuben ließ Christian Moigg bei einer umfassenden Renovierung einbauen.
Das Essen steht bereit: Szegediner Gulasch vom Wildschwein mit kleinem Semmelknödel, gefülltes Rehschnitzel und rosa gebratenes Filet auf Kürbiscreme und Ravioli mit Kürbisfülle.
Das Herrnhaus
Im Zentrum von Brixlegg steht das Herrnhaus, einst Residenz der herrschaftlichen Minenbesitzer. Heute ist das Herrnhaus ein gutbürgerliches Wirtshaus mit feiner Küche und garantiert kitschfreien Zimmern.
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