Harald Schrott: Kennerblick von außen
Der Schauspieler Harald Schrott stammt aus einem Dorf bei Innsbruck, lebt aber schon sein halbes Leben mitten in Berlin. Wie verändert sich aus der Distanz der Blick auf die Heimat? Woher kommt der Drang auszubrechen? Und was wiegt am Ende mehr: die Flucht nach vorn oder die Sehnsucht, die einen immer wieder zurücktreibt?
Harald Schrott
1967 wurde er in Mutters bei Innsbruck geboren, spielte viele Jahre an Theatern in Mainz und Berlin und ist heute einer der meistbeschäftigten deutschsprachigen Schauspieler. Zu sehen ist er vor allem in TV- und Kinoproduktionen, er drehte mit Volker Schlöndorff und Bruno Ganz, ist in vielen Serien und „Tatort“-Folgen zu sehen. Zuletzt spielte er in den Verfilmungen mehrerer Ferdinand-von-Schirach-Bestseller. Schrott wohnt in Berlin – ist aber jeden Winter und Sommer mindestens einmal zu Besuch in Tirol.
Herr Schrott, Sie sind in Mutters aufgewachsen. In Ihrem Wohnort Berlin leben etwa fünfmal so viele Menschen wie in Tirol. Wie gefällt Ihnen das Leben in der dicht besiedelten Ebene?
Nun, die Zeit hat bewiesen, dass man auch als Bergmensch gut in der Großstadt leben kann: Ich bin Anfang der Neunzigerjahre nach Berlin gezogen und jetzt schon 27 Jahre hier. Ich habe also mehr Zeit in Berlin verbracht als in Tirol oder an irgendeinem anderen Ort. Nur an den dunklen, oft schneefreien Berliner Winter habe ich mich immer noch nicht gewöhnt.
Gibt es große Unterschiede zwischen Tirolern und Berlinern?
Das Gorki Theater war natürlich ein völlig anderer Mikrokosmos als die Tiroler Welt. Die schiere Größe, die Heftigkeit der Stadt hat mich damals schon irritiert – und ich hatte mit dem Ton, der Ruppigkeit und der Grundatmosphäre des Berliner Alltags zu kämpfen. Die Stadt war in den Neunzigern noch rauer. Erst mit der Zeit habe ich gelernt, dass man den alteingesessenen Berlinern nur Paroli bieten muss, damit sie ihr Herz öffnen. Andererseits können die Tiroler – gerade in abgelegenen Regionen – auch raue Zeitgenossen sein. Da ist es ähnlich: Wenn man die erobert, dann sind sie auch sehr herzlich und verbindlich.
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Die höchsten Berge Berlins sind gerade mal hundert Meter hohe Schutthaufen. Vermissen Sie die echten Berge?
Die Berge vermisse ich sehr, und das wird auch immer so bleiben. Ich werde auch oft auf meine Heimat angesprochen. Egal, wo ich drehe, treffe ich Leute, die einen Bezug zu Tirol haben – weil sie dort etwa Ski fahren gelernt haben. Viele Menschen empfinden eine große Faszination für die Alpen. Diese Gespräche sorgen dafür, dass Sehnsucht nach den Bergen gar nicht verschwinden kann.
Hat sich Ihr Blick auf Tirol durch die Entfernung verändert?
Der Mensch neigt ja dazu, die Schauplätze der Kindheit mit zunehmendem Alter zu verklären: Auch ich sehne mich nach dem Tirol der Siebzigerjahre, dem Dorfleben, den engen, pastellfarbenen Eier-Gondeln, die einen ins Skigebiet brachten, oder dem Gefühl, gemeinsam mit dem Vater in festen Wanderschuhen die Schotterreißen der Arzler Scharte runter ins Tal zu springen. Heute ist Tirol für mich der Ort, an dem Familie und Freunde leben.
Warum haben Sie Ihre Heimat überhaupt verlassen?
Ich bin davon überzeugt, dass es zwei Arten von Menschen gibt – und das meine ich ganz wertfrei. Es gibt diejenigen, die ihr Leben lang in einem Umfeld bleiben wollen, und diejenigen, die rauswollen, weiterschauen, auf Wanderschaft gehen. Die immer wissen wollen, was sich hinter der nächsten Ecke noch verbirgt. Ich gehörte eben zu der letzteren Gattung. Als ich mit 20 anfing, als Schauspieler zu arbeiten, hätte ich auch nach Linz oder Bern gehen können – aber ich wollte weiter weg.
Welche Orte besuchen Sie, wenn Sie heute nach Tirol kommen?
In meinem Heimatdorf Mutters habe ich immer noch eine kleine Wohnung. Und ich treffe natürlich gerne meine Freunde in Innsbruck.
Gehen Sie dann immer auch in die Berge?
Ich habe erst aus der Distanz richtig verstanden, was es für ein Geschenk ist, im Gebirge aufzuwachsen und Dinge in die Wiege gelegt zu bekommen, die andere im Urlaub erfahren. Wir kamen von der Schule nach Hause und waren ab dann draußen, im Wald, auf dem Berg. Von meinem Kinderzimmer konnte ich auf die Nordkette blicken. Patscherkofel, Nockspitze, Spitzmandl – die Berge waren immer da.
Haben Sie viele Gipfel gemacht?
Es geht. Ich gehe gerne in die Berge, auch auf Hüttentouren. Aber ich gehörte schon in der Schule nicht zu den Kletterern, mir fehlte da immer die Körperlichkeit. Und der Drang, den Extrembergsteiger haben, die es in meiner Familie auch gab: Mein Onkel etwa ist in den Achtzigerjahren mit einer Seilschaft am Mont-Blanc-Massiv verschollen und wurde bis heute nicht gefunden.
Gehören Sie womöglich zu der Minderheit der Tiroler mit Höhenangst?
Nein, nein. Aber Respekt vor dem Berg hab ich schon. Wenn man in Tirol aufgewachsen ist, weiß man ja, wie man sich in den Bergen bewegt, im Sommer wie im Winter. Unser Haus war weniger als einen Kilometer von der Talstation der Mutterer Alm entfernt. Noch zu meinen Schauspielschulzeiten habe ich in den Semesterferien als Skilehrer gearbeitet. Das Skifahren in der Kindheit ist ein Teil des kollektiven Tiroler Gedächtnisses.
Kraft des Zufalls: Entdeckt wurde Schrott von Volker Schlöndorff – und hat seitdem mehr als hundert Filme gedreht.
Warum genau sind Sie Schauspieler geworden?
Weil ich Anfang der Achtzigerjahre viel ins Kino gegangen bin – und dort Sean Penn und Mickey Rourke auf der Leinwand gesehen habe. Dann habe ich mit 13 begonnen, Schultheater zu spielen. Und schon während des Gymnasiums habe ich eine Schauspielschule besucht. Ich war schon im Alter von 19 ausgebildeter Schauspieler.
In Tirol gibt es eine große Tradition an Dorfbühnen – hatten Sie dazu auch einen Bezug?
Mein Vater war Zoll- und später Finanzbeamter, meine Mutter Buchhalterin. Aber im Nebenberuf hat sich meine Familie sehr aktiv für unsere Dorfbühne engagiert. Der Vater hat das „Theater Mutters“ geleitet – quasi als Intendant, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion. Der Onkel hat mitgespielt, die Mutter saß im Soufflierkasten. Es gibt anscheinend eine dramatische Begabung bei den Tirolern. Ich kenne einige, die wirklich Talent haben und die sich ohne Hemmung auf die Bühne stellen und toll und überzeugend und mit Leidenschaft spielen. Eine großartige Tradition.
Sie haben zu Beginn Ihrer Karriere ein Jahrzehnt lang ausschließlich Theater gespielt, wie kam es, dass Sie heute vor allem als Fernsehschauspieler bekannt sind?
Ich war einfach leidenschaftlicher Theaterschauspieler und hab fünf bis sechs Stücke im Jahr gespielt: Wedekind, Schiller. Natürlich auch Shakespeare. Ich liebe die klassischen Dramen und auch modernere Autoren wie Norén oder Koltés. Ende der Neunzigerjahre arbeitete ich mit der Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach, die wiederum Volker Schlöndorff kannte, der eine Vorstellung von mir sah und mich für den Film „Die Stille nach dem Schuss“ castete. So stand ich plötzlich vor der Kamera. Und habe seitdem rund 100 Filme und Fernsehfilme gedreht. Und kaum noch auf der Theaterbühne gestanden.
Warum?
Weil es sich einfach so ergeben hat. Weil es mir Spaß gemacht hat. Und weil es sich richtig angefühlt hat. Das ist vielleicht auch eine Eigenschaft, die man als Tiroler früh lernt: dass sich die Dinge manchmal schnell ändern und anders auch o.k. sind. Wie das Bergwetter.
Stimmt es, dass Sie bis vor Kurzem überall in Deutschland und Europa gedreht haben – nur nie in Ihrer Heimat Tirol?
Ja! Aber es ist nicht so, dass ich einen Bogen um Tirol gemacht hätte. Es hat sich halt nie ergeben. Erst im Sommer 2020 stand ich erstmals in Tirol vor der Kamera. Für einen Film, der „Die Lederhosen- Affäre“ heißt und demnächst zu sehen sein wird. Eine Komödie und Koproduktion von ORF und Arte über die alles entscheidende Frage: Wer hat die kurze Lederhose erfunden – die Bayern oder die Tiroler?
Sie sprechen ein akzentfreies Hochdeutsch. Wo ist Ihr Dialekt hin?
Der ist noch da! Ich hab ihn mir nur früh abtrainiert für das Theater. Bei der Sprecherziehung muss man als Tiroler immer einen Korken in den Mund nehmen, um die Sprache nach vorne zu kriegen. Meine Mutter hat sich dann immer amüsiert, wenn ich in den Urlauben zurückkam und aus unterbewusstem Trotz immer viel breiteres Tirolerisch sprach als je zuvor …
Ihr liebstes Schimpfwort auf Dialekt?
Hardigatti no amol eini! Im Prinzip bedeutet das: Herrgott noch mal! Wie ich finde, eine sehr elegante, wohlklingende Art, seinen Unmut zu äußern.
Was verbinden Sie mit dem Begriff Heimat?
Ich finde ihn in seiner Ambivalenz interessant. Ich hatte in Tirol eine wunderbare Kindheit – und habe mich doch oft fremd gefühlt. Aus der Berliner Ferne bin ich Tirol näher als je zuvor. Ich kann mit einigen Dingen wie der Tracht, die ich stets als Verkleidung empfand, nichts anfangen. Und doch mag ich den Begriff Heimat. Er hat für mich einfach mit Ursprung und Wurzeln zu tun, etwas, das man in sich trägt. Es ist ein starkes Gefühl, das ich mir auch nicht von den falschen Leuten, die diesen Begriff ideologisieren, kaputt machen lassen will. Mein Zuhause ist Berlin. Aber Tirol ist meine Heimat.