Kitzbühel gegen Ischgl
Betrachtet man Tirol durch die Brille des Feinschmeckers, erkennt man zwei auffallende Hauben-Ballungen: eine in Ischgl und eine in Kitzbühel. Doch wo kann man alpine Spitzenküche am besten erleben – im schroffen Oberland oder im lieblichen Unterland? Wir haben die besten Restaurants des Landes in einen Kochwettbewerb verwickelt.
Duftprobe im Stiar in Ischgl: Der Autor sucht im Duft des Almschweins nach der Löwenzahnnote.
Sieberer und Söhne: Bei der Entwicklung und Zubereitung der lustigen Gourmetwanderung in der Heimatbühne ist auch der Nachwuchs des Altmeisters Martin Sieberer (links) beteiligt.
In einer schwarzen Halbkugel sind hellorange und tiefviolette Karotten um fluffige Teigpolster geschichtet wie ein sorgsam vorbereitetes Lagerfeuer. Ein Kellner gießt aus einem Silberkännchen eine dampfende goldene Flüssigkeit an. Das Karottenfeuer wird geflutet, die Carpaccioscheiben am Grund verlieren ihr Rot, jetzt tauchen Schnittlauchröllchen aus der Tiefe der Schale an die Oberfläche. Ein dichter Duft nach Rind steigt auf, der nur noch vom Geschmack des ersten Löffels dieser Consommé double mit Parmesan-Erbsenschöberl übertroffen wird.
Es ist Bernhard Hochkoglers Interpretation einer Rindssuppe – und Teil eines Sechsgangmenüs, das er an einem Sommerabend in der Stubn 1972 des Hotels Minglers Sportalm in Kirchberg bei Kitzbühel auffährt. Morgen wird es etwas anderes geben. Der Küchenchef nutzt, was der Markt hergibt und was er noch in seiner Kammer hat.
Stubn 72 | Bernhard Hochkogler
Täglich wechselndes Feinschmeckermenü mit österreichischen Wurzeln. Träger unserer Medaille für das „beste alte Tiroler Gericht“.
Beliebt ist die Tiroler Küche für herzhafte Marend, kräftige Knödel, deftiges Gröstl. Aber auch in Tirol gibt es natürlich viele Gourmetrestaurants. Was können die eigentlich? Und was unterscheidet sie von den besten Küchen anderer Regionen? Die am höchsten dekorierten Restaurants des Landes ballen sich auffällig in zwei Gebieten: im Osten rund um Kitzbühel. Und ganz am anderen Ende des Landes, im hintersten Paznaun, im bekannten Dorf Ischgl.
Aber wo findet der neugierige Esser bessere Antworten auf seine Fragen? Wir haben uns einen Wettstreit ausgedacht: Ischgl gegen Kitzbühel. Oberland gegen Unterland. Die Regeln: Wir futtern uns in den drei besten Restaurants jedes Ortes einmal durch die Karte und nehmen aus jeder Küche drei Gänge als Kandidaten in die sechsfache Medaillenauswahl. Drei Medaillen, wie man sie rund um die Welt vergeben könnte, um die Anschlussfähigkeit Tirols an die internationale Kulinarik zu überprüfen: für den originellsten Gruß aus der Küche, den besten Angeberteller und den Dessertkönig. Und drei, die sich für die lokalen Gegebenheiten interessieren: für die überraschendste alpine Variation, das beste alte Tiroler Gericht und den Wirtshausklassiker in Feinschmeckerqualität.
Die Sportalm-Rindssuppe, dieses Lagerfeuer in der schwarzen Halbkugel, ist eine klare Kandidatin für das beste alte Tiroler Gericht. Weiter nehmen wir mit: den butterzarten heimischen Hirschrücken als Anwärter auf den besten Wirtshausklassiker – , und zwar wegen des Sanddorns, den es dazu als süßsauren Kontrast statt der gewohnten Preiselbeeren gibt. Und die Nachspeisen: Die Beignets aus Sauerrahmteig winken freundlich in Richtung traditionelle Kiachl-Küche, weiter geht es mit einer Variation aus weißer Schokolade, Kokosnuss, Ananas und Sternaniseis. Letzteres hat zwar nichts mit Tirol zu tun. Kratzt aber trotzdem kein bisschen an der Glaubwürdigkeit des Küchenchefs.
In der kleinen Küche der Stubn 1972 im Hotel Minglers Sport - alm in Kirchberg wird jeden Tag ein neues Sechsgangmenü her - gestellt – auf feinstem Niveau.
Consommé double mit Parmesan-Erb - senschöberln: eine Rindssuppe, die erst am Tisch wieder zu - sammengesetzt wird. Kandidatin für die Medaille: bestes altes Tiroler Gericht.
Küchenchef Bern - hard Hochkogler hat zeitweise auch schon auf einem Kreuzfahrt - schiff gekocht. Seine Küche in der Sportalm erinnert an eine Kombüse; seine Ge - richte allerdings haben nichts Maritimes.
Relax – if you can
Zoom raus, über die grünen Flanken von Kitzbühel, das Tiroler Inntal entlang, bis ganz im Westen das Paznaun tief in die Silvretta schneidet. Landeanflug, scharfes Abbremsen vor dem Trofana Royal. Eine Art XXL-Stube mit tiefen Teppichen schluckt den Schall und umhüllt uns mit dem wattigen Gefühl der gehobenen Hotellerie. Sofort hat man das Bedürfnis, Schuhe mit glatten Ledersohlen zu tragen.
Ein gut gelaunter Herr mit silbergrauem Haar und gestärkter Kochjacke wartet bereits mit dem Schaumwein. Martin Sieberer, der die Reise von Kitzbühel – wo er herkommt – nach Ischgl, wo er heute lebt, schon vor Jahrzehnten gemacht hat, ist der Pate der feinen Küche in Ischgl. In der Paznauner Stube wird ganz klassische Hochküche geboten, er war der Erste, der im Dorf auf Haubenniveau gekocht hat. Wir interessieren uns für sein zweites Restaurant, die Heimatbühne, über die er mit einem Schmunzeln sagt: „Wir kochen hier traditionelle, regionale Küche, ein bisschen lustig interpretiert.“
Heimatbühne | Martin Sieberer
Regionales Menü vom Erfinder Ischgls als Kulinarik-Destination. Überzeugte uns mit dem „besten Wirtshausklassiker in Feinschmeckerqualiät“.
Das Menü unternimmt eine Wanderung vom Gipfel ins Tal mit Stationen im Wald, am See, auf der Weide, und schon geht es los mit einem Rucksack voller Brot (es wird wirklich ein kleiner Rucksack an den Tisch gebracht) und mehreren Grüßen, man könnte auch sagen – einem ganzen Jodler aus der Küche: Käsesüppchen, Blunznradl, eine verzwergte, dekonstruierte Dreierreihe der Tiroler Knödelklassiker und eine Glasglocke, unter der Forellenmousse live geräuchert wird, was zu einem erstaunlich subtilen, aber sehr präsenten Aroma führt. Der erste Medaillenkandidat für den originellsten Gruß aus der Küche!
„Alles was hier gedeiht, wird hochgehalten“, erklärt Sieberer zwischen den Gängen. „Aber das ist auf der Höhe nicht so viel.“ Was natürlich nicht heißt, dass man in der Küche weniger kreativ sein darf. Im Gegenteil: Als Zwischengang kommt ein geschmacklich stark verdichtetes Marillensorbet, serviert mit Minze im Trockeneisrauch, das wir gerne für die Angeber-Medaille nominieren.
In Martin Sieberers Heimatbühne in Ischgl wird regionale Küche mit einem lustigen Twist präsentiert. Die Gloschen, mit denen die Teller auf ihrem Weg von der Küche zum Tisch warmgehalten werden, muten jedoch wie strenge Haubenküche an.
Erdäpfelpaunzn, Erdäpfelblattn oder Mognbotschn sind Gerichte aus dem Paznaun, die Sieberer bei der Kreation seines Menüs von Vor- bis Nachspeise inspirieren. Die Konzentration auf lokale Produkte empfindet er als spannende Herausforderung.
Sonntagshenderl, zweiter Teil. Und Topanwärter für die Medaille bester Wirtshausklassiker in Feinschmeckerqualität. Links unten auf dem Teller befindet sich übrigens Milchhaut.
Die Küche einer Gegend ist ein lebendiger Speicher der Erinnerungen. Schön, wenn sie so direkt weitergegeben werden: Michael und Thomas Sieberer am Pass der Heimatbühne.
Und dann, inmitten dieses lustigen Menüs, zwei Gänge vom Zammer Sonntagshendl, einer lokalen Rasse. Erst die krosse Haut auf einem kräftigen Frikassee, dann ein schlanker Streifen Brust, offenbar sous-vide gegart – ein im Vergleich zum Rest vornehm zurückhaltender, aber spektakulärer Teller, der jeden französischen Rotisseur in die Flucht schlagen sollte und nebenbei Sieberer als zwingenden Anwärter für den besten Wirtshausklassiker positioniert.
„Wenn Ihr in Kitzbühel seid, grüßt’s mir den Kleinhappl“, verabschiedet er uns, „und den Marco Gatterer, der hat was vor mit dem neuen Restaurant.“
Explosionen vom Reh
Tradition in Kitzbühel, Moderne in Ischgl, so will es das Klischee. Ist es wirklich so einfach? Das Berggericht heißt so, weil in dem mittelalterlichen Stadthaus in Kitzbühel früher Rechtsstreitigkeiten unter Bergleuten geklärt wurden. Heute gehört es zur Stiftung eines deutschen Investors mit dem exzentrischen Hobby, vom Verfall bedrohte Stadtensembles, Palais, Burgen oder Weingüter zu retten. Außerdem bietet es einen Rahmen für das kulinarisch ambitionierteste Projekt der Stadt.
„Auch ältere Gerichte wieder zum Leben zu erwecken, das war unser Ziel“, sagt Marco Gatterer, junger Küchenchef, Schüler von Sieberer, der das Menü im Berggericht entwickelt hat. Es ist fast Konsens heute, auch und gerade in der Spitzenküche, auf die örtlichen Traditionen einzugehen, aber in diesem Fall führt Gatterers konservativer Leitsatz – zumindest oberflächlich – in die Irre. Schon am Begrüßungstresen beginnt ein Feuerwerk aus „Happen“, die sich zu einem „Tiroler Festschmaus“ addieren, der nur der erste der acht Gänge sein wird, mit wirklich überraschenden Kombinationen aus Aromen und Texturen he - rumwirbelt und sofort zur Gegenattacke auf die Medaille originellster Gruß aus der Küche übergeht: Parmesancreme mit eingelegten Buchenpilzen, Lachstatar auf Limetten-Macaron mit roter Rübe und Kren – und einer dunkelbraunen Sphäre auf einer Scheibe Baumkuchen, die erst im Mund einen perfekten Bissen Rehragout freisetzt, der bereits alle Informationen enthält, die man sonst mühsam während eines überladenen Hauptgangs einsammeln müsste.
Berggericht | Marco Gatterer
Der Neuzugang auf Kitzbühels kulinarischer Bühne: zeitgenössischer Foodie-Marathon. Für uns der „beste Gruß aus der Küche“.
Als letzter Happen kommt etwas, das aussieht wie ein Hahnenkamm. Es ist ein Hahnenkamm, und zwar ausgebacken. Kitzbühel. Hahnenkamm … das Menü wird noch weitere heitere Reminiszenzen an die Gemeinde ausrichten, einen Rostbraten von der Gams etwa, dem Logo-Tier der Ortschaft, und hintenraus der „Kitz Spitz“, ein Dessert, das man gerne als Brandstiftung am Kitzbüheler Horn schmecken darf. Unsere weiteren Medaillenkandidaten im Verlauf des mehr als fünfstündigen Marathon-Dinners sind jedoch das Hechtnockerl gefüllt mit einer Hummerbisque und damit Anwärter in der Kategorie alpine Variation eines Hochküchen-Dauerbrenners. Und der „Schweinekram“ – ein Millefeuille vom Schweinebauch mit Spitzkrautpüree und Kartoffelschaum. Selten hat man ein aus der Mode geratenes Gericht wie das Wammerl so knackig wiederbelebt: Das muss auf die Kandidatenliste altes Tirol.
Alles, was ein Rehragout ausmacht, steckt in dieser Sphäre aus der Happenparade im Kitzbüheler Berggericht.
Kulinarischer Marathon: Das große Dinner im Berggericht dauert gerne mal mehr als fünf Stunden. Langweilen wird man sich dabei nie.
Gruß aus der Küche – und an das berühmteste Skirennen der Welt: der gebackene Hahnenkamm schließt die spektakulären Kleinigkeiten ab, mit denen sich das Berggericht für den originellsten Gruß aus der Küche qualifiziert.
Jetzt aber zackig: das Reh in der Mitte der winzigen Halbkugel soll sich schließlich lauwarm in den Mund des Gastes ergießen.
Das ist raffiniert, das ist großes Kino, das ist verdammt weit vorne. Der Innsbrucker Marco Gatterer kann hier für das Team Kitzbühel einige Trümpfe aufbringen. Was sagt Ischgl dazu?
Das Paznaun-Experiment
Fangen wir, zurück im Oberland, mit dem Gerstenrisotto an.
Da ist die Parade aus Grüßen und Gaumenschmeichlern schon durch, die das Thema bereits festsetzen: eine hochpräzise Berghochküche mit schlauen Querverweisen auf internationale Lieblinge und vergessene Bauerngerichte. Rahmsupperl mit Milzschnitte gab es da bereits, Forellenmousse auf Erdäpfelblinis, eine Hühnerleberpastete mit Sauerampfer-Granité, bei der niemand mehr nach Foie gras verlangen wird.
Doch nach all den frühen Innereien und selbstbewussten Süßwasserfischen ist das Risotto aus der Urtirolerischen Gerste mit eingelegten Eierschwämmen und dezentem Fichtenwipfelaroma schon die überraschendste Ansage und unser nächster Kandidat für altes Tirol. In diesem Fall wird die Gerste freilich nicht einfach nur wiederentdeckt, sondern von der derben Sättigungsbeilage zur Prinzessin auf dem Teller.
Gunther Döberls Stiar hat das außergewöhnlichste Konzept unseres kleinen Wettbewerbs. Der charismatische Linzer, eingeheiratet in eine Ischgler Gastgeberfamilie, versucht die Idee „lokale Spitzenküche“ am konsequentesten umzusetzen: Salzwasserfisch etwa findet nicht statt. Das Fleisch kommt aus der eigenen Metzgerei, fast alles vom Tier wird verwendet. Ein Großteil der Zutaten ist selbst eingelegt, fermentiert, zum Teil gesammelt. New Alpine statt New Nordic: Da kann plötzlich ein Wiesenkraut wie Löwenzahn auftauchen. Oder auch mal etwas getrocknetes Herz über einen Gang gerieben werden. Für Döberl ist das aber keine große Sache. „Wenn ich am Meer bin, möchte ich das essen, was es dort gibt“, sagt er. „Und wenn man in die Berge fährt, gilt das doch genauso, oder?“
Stiar | Gunther Döberl
Die Bergführerin, Jahrgang New Alpine im Paznaun: lokal verwurzelte Spitzenküche in Ischgl. Holt für uns die „beste alpine Variation“.
Man muss es dann halt nur so zubereitet bekommen. Auch wenn man das ganze Menü als Wiederentdeckung alter Tiroler Küche und deren Neuinterpretation nominieren könnte, schicken wir in der Logik unseres Wettstreits als zweiten Kandidaten die Auftakt-Innereien für den Gruß aus der Küche ins Rennen. Und als dritten nehmen wir den Kalbsgang mit in die Wertung: Filet und Bries auf Trüffeljus mit zwei Sellerieravioli, ein Gericht, das selbstbewusst aus dem Hochtal nach Paris und in die Emilia-Romagna winkt: Wenn das mal keine alpine Variation der Meisterklasse ist …
Es muss nicht immer Reis sein: Gunther Döberl (links) und sein Team bei der finalen Zusammensetzung des spektakulären Gerstenrisottos in der Küche des Ischgler Restaurants Stiar.
Favorit für die beste „alpine Variation“: Filet und Bries vom Kalb, bewacht von zwei Sellerieravioli. Mit Grüßen nach Paris und in die Emilia-Romagna.
Letzte Beigaben: Die Gänge im Stiar sind hochpräzise Wiederbelebungen und Neuinterpretationen alpiner Küche.
Kitz macht sich locker
Geht da noch was in Kitz? Der ehemals jüngste Haubenkoch Österreichs jedenfalls hat keine Lust mehr auf „Punkterlküche“. Die Reservierungen beim Neuwirt, einem von mehreren Restaurants, deren kulinarische Konzepte Jürgen Kleinhappl in und um Kitzbühel verantwortet, geben ihm Recht: Die 130 Plätze sind regelmäßig vergeben. Und auf der Karte steht kein mehrgängiges Menü, sondern ganz unironische Klassiker wie Wiener Schnitzel oder Tafelspitz. Und auf der anderen Seite zum Beispiel Trüffelei, das die moderne Seite der Neuwirt-Küche repräsentiert – und das Kleinhappl uns dringend empfiehlt. Beste Bewertungen in den einschlägigen Restaurantführern bekommt der Neuwirt trotz – oder auch ein bisschen wegen? – des verblüffend einfachen Konzepts.
Neuwirt | Alexander Knelle
Gourmetadresse im Zentrum von Kitzbühel, für alle, die es eher locker mögen: Gewinnt in unserer Wertung die Medaille fürs „beste Dessert“.
Sein Küchenchef beim Neuwirt heißt Alexander Knelle und ist erst 25, aber auch Kleinhappl selbst war ja bereits sehr jung sehr weit oben. Und Knelle lässt ein Ei servieren, frisch vom Bauern, mit selbst gezogenem Kräuteröl, auf den Punkt pochiert, das in Sachen Texturkontrast und Aromenintensität der „Punkterlküche“ der anderen tatsächlich in nichts nachsteht. Tapiokaperlen im Spinat spielen dabei eine Rolle, wie Knelle uns verrät, und ein angefrorener Trüffel, solche Sachen. Wir nominieren, aufgrund des ganzen Habitus dieses Ei erst einmal als Angeberteller.
Danach kommt ein Tafelspitz, wie aus einem der besten Wiener Beisln, und besser kann man einen Tafelspitz eben einfach nicht machen – aber selbst in der fernen Hauptstadt bekommt man ihn selten so reich ausgestattet und auf den Punkt zubereitet: Wirtshausklassiker in Feinschmeckerqualität, oh ja! Der dritte Kandidat, den wir für den Neuwirt ins Rennen schicken, gehört eigentlich in die gleiche Kategorie. Aber wir nehmen ihn als das, was er natürlich auch ist: ein Moosbeerenschmarrn zum Dessert – und der ist so üppig und eirig und kugelrund, das man genau versteht, was Kleinhappl meint, wenn er sagt, dass die Leute eben wegen der einfachen Gerichte nach Tirol kämen: „Es ist eine ehrliche Küche“. Und der Neuwirt der Wirt für den Feinschmecker, der es zur Abwechslung mal unkompliziert mag.
Wenn der Trüffel gehobelt ist, erklingt das Xylofon. Von letzterem gibt es beim Neuwirt reichlich – etwa auf dem Trüffelei, das sich hinter den komplizierten Gängen der Konkurrenz sicher nicht verstecken muss.
Wo gekocht wird, da steigt Dampf auf: Im Neuwirt gibt es kreative Teller, aber auch die Art von Wirtshausklassikern, die man gemeinhin mit der österreichischen Küche assoziiert: Schnitzel, Tafelspitz. Die Qualität freilich ist außergewöhnlich.
Sieht kompliziert aus, ist aber herrlich einfach: der Moosbeerenschmarrn aus dem Neuwirt in Kitzbühel positioniert sich auf der Liste für den „Dessert-König“
Internationale Klasse
Das Finale in Ischgl ist noch mal etwas anderes. Obwohl auch Benjamin Parth, der derzeit offiziell beste Koch Tirols, nicht mehr an das große Menü glaubt. Genauso wenig wie an die Pinzette als Kochgerät. Parth erkocht sich seine 18,5 Gault-Millau-Punkte im Restaurant Stüva mit einem Stil, den er selbst als „puristisch“ bezeichnet: „Der Gast soll erkennen, was er auf dem Teller hat.“ Was Parth auch nicht wirklich interessiert, ist Regionalität, er will einfach mit den besten Zutaten arbeiten, die ganze Klaviatur spielen können, wenn er seine Teller komponiert.
Stüva | Benjamin Parth
Das am höchsten dekorierte Restaurant des Landes findet sich in Ischgl. Mit der klaren Linie seiner internationalen Spitzenküche holt Parth den „besten Angeberteller“.
„Carabinero / Aloe vera / Grapefruit“ ist einer dieser Dreiklänge, der sich allein aufgrund seiner kodierten Zutaten für den besten Angeberteller qualifiziert. Vor allem aber durch das feine Zusammenspiel weniger, perfekt miteinander interagierender Komponenten: die Süße des kalt angegarten Krustentiers, die dezenten Bitternoten der korallenfarbenen Fruchtscheiben, der zurückhaltende Aloegelee – so kann der Bergsommer im Paznaun auch schmecken.
Wenn man zur aussterbenden Art der Freunde vieler Gänge gehört, kann man das auch bei Parth hochskalieren. Da werden einem dann Jakobsmuscheln und Brunnenkresse begegnen, ein getrüffelter Langusteneintopf, Steinbutt mit Zitronenmelisse, Loup de Mer mit Safran-Beurre-blanc – auffallend, dass es bei Parth im Sommer viel Fisch gibt, ganz leicht und elegant. Es wird dann enden in einer Kaskade aus Desserts, von denen alles mit Walderdbeere unbedingt dessertmedaillenwürdig ist.
Wirklich überwältigt sind wir allerdings von einem kleinen Teller, der sich gegen alle Erwartungen in den Wettbewerb um die beste alpine Variation schleicht: Es ist ein kleines Stück Saibling auf Erdäpfelpüree, umgeben von einem hellen Schaum. Mit dem ersten Löffel flammt die Erinnerung an einen langen Abend auf, als einem ein guter Freund einen Schnaps aus einem kleinen Fläschchen anbot. Es ist ein ganz seltener Geschmack, der einem, wenn man nicht in einer Tiroler Schnapsbrennerei aufwächst, nur selten im Leben begegnen wird: Gelber Enzian. Und dann schmeckt man ihn plötzlich am Saibling dieses Benjamin Parth, der so großen Wert darauf gelegt hat, nicht regional zu kochen. Aber manchmal gibt es das Beste eben direkt vor der Tür …
Der junge König in seinem Reich: Benjamin Parth ist offiziell der aktuell beste Koch Tirols. In seinem Restaurant Stüva präsentiert er eine puristische Spitzenküche, die sich weigert, in Schubladen wie „regional“ einsortiert zu werden.
Das Gericht des Sommers? Der Dreiklang aus Krustentier, Aloe vera und Grapefruit lässt auch im hohen Paznaun die Sonne scheinen – und prescht weit vor in der Wertung um den „besten Angeberteller“.
Das Beste aus aller Welt: Nach den Hauptgängen wird im Stüva der wohltemperierte Käsewagen vorgefahren.
Auf dem Gourmet-Podest
Und was ist jetzt mit den Medaillen? Wer gewinnt das Kochduell?
In Kitzbühel ist das kulinarische Spektrum etwas breiter. In Ischgl extremer. Und die Medaillen haben wir am Ende aufgeteilt, weil jedes dieser großartigen Restaurants mindestens eine verdient: Der „originellste Gruß aus der Küche“ geht nach Kitzbühel ans Berggericht, genauso wie das „beste alte Tiroler Gericht“ für die Rindssuppe aus der Sportalm. Für Ischgl gewinnt die Heimatbühne mit dem Sonntagshendl den „besten Wirtshausklassiker“ und das Stiar mit dem Kalb die „beste alpine Variation“. Das Stüva bekommt, Enzian hin oder her, mit dem sommerlichen Carabinero den „besten Angeberteller“. Und für Kitzbühel gleicht der Neuwirt mit der Dessertmedaille für den Moosbeerenschmarrn aus.
Unentschieden.