Echte Gastfreundschaft
Fotos: Stephanie Füssenich
Viele Besucher kommen alle Jahre wieder nach Tirol. Und manche gehen seit Jahrzehnten stets in das gleiche Haus. Hier erzählen Stammgäste, warum sie sich in diesen einen Ort und die Menschen dort verliebt haben. Und die Tiroler Wirte verraten, warum ihnen manche Besucher so sehr ans Herz gewachsen sind.
Gasthof Gintherhof, Reutte
Das 700 Jahre alte Bauernhaus duftet nach Hefezopf und selbst gemachter Marmelade. Annelies Paulweber führt den Gasthof mit Christl Ginther – und in der vierten Generation.
Janina Gerger aus Kornwestheim: Ich komme schon mein ganzes Leben auf den Gintherhof. Über 30 Jahre. Ich liebe die Herzlichkeit und die Gastfreundschaft der Menschen hier. Egal, wo auf der Welt ich war, in Neuseeland oder in den USA, ich habe Annelies und Christl stets eine Postkarte geschrieben.
Annelies Paulweber: In der heutigen Zeit steht einem die Welt offen. Dass jemand dennoch jedes Jahr zu uns kommt, ist eine große Ehre.
Christl Ginther: Janina und ihre Eltern sind viel mehr als Gäste für uns – sie gehören zur Familie. Zu meinem 70. Geburtstag haben sie mich an die CÔte d’Azur eingeladen. Und Janina ist auf dem Bauernhof für mich eingesprungen.
JG: Das war kein Problem. Ich habe schon als Kind gerne bei der Heuernte geholfen oder bin auf dem Jauchefass gesessen, wenn im Herbst die Felder gedüngt wurden. Ich kann sogar Traktor fahren.
AP: Das hat sie schon mit fünf Jahren bei mir auf dem Schoß gelernt.
Stammgast Janine Gerger (Dritte von links).
Dortmunder Hütte, Kühtai
Die Dortmunder Hütte liegt am Ortsrand von Kühtai, auf 1.948 Metern in den Stubaier Alpen. Sie wurde 1932 vom Alpenverein Dortmund gebaut. Hüttenwirtin Monika Tabernig arbeitet seit 2001 hier oben.
Jacqueline Fritsch aus der Pfalz: Als Kind war ich weder wintersportbegeistert, noch habe ich mich fürs Klettern oder Bergsteigen interessiert. Das änderte sich, als ich mit 24 ein Bein verlor. Während der Reha war ich viel in der Natur und habe Kraft getankt. So entdeckte ich meine Liebe zu den Bergen. 2016 beschloss ich, die Alpen auf Krücken zu überqueren – so kam ich nach Kühtai.
Monika Tabernig: Jacqueline und ihr Hund haben nur zwei Nächte bei uns auf der Hütte pausiert, aber wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Ich fand ihr Vorhaben sehr bemerkenswert – dass sie das gemacht hat, alleine und als Frau.
JF: Ich habe mich hier sehr wohlgefühlt. Es ist gar nicht so einfach, eine Hütte zu finden, in der Hunde erlaubt sind. Seitdem komme ich immer öfter für Bergtouren hierher. Die Lageist perfekt, und Monika hat immer ein Zimmer für mich – egal, wie kurzfristig ich mich ankündige. Das ist nicht selbstverständlich.
MT: Es gibt Gäste, auf die freut man sich das ganze Jahr. Jacqueline zählt definitiv dazu, wobei sie für mich eigentlich kein Gast ist, sondern eine Freundin. Deshalb freue ich mich auch sehr, dass sie bald nach Tirol ziehen will. Ich halte schon die Augen offen nach Wohnungen.
JF: Tirol und seine Berge sind ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Deshalb nehme ich mir auch von jeder Bergtour einen Stein mit nach Hause und lege ihn in eine Vitrine: So erinnere ich mich daran, dass ich jeden Berg, der sich mir in den Weg stellt, überwinden kann.
Stammgast Jacqueline Fritsch (links).
Hotel Klosterbräu, Seefeld
Dieses Hotel hat eine bewegte Geschichte: Seit der Grundsteinlegung 1386 diente das Gemäuer schon als Kloster, Brauerei und Krankenhaus. Heute ist der Betrieb von Alois Seyrling vor allem für seinen tollen Wellnessbereich bekannt.
Alexander Mazza aus München: Als gebürtiger Münchner und Skifahrer war ich schon als Kind in Tirol, aber Seefeld habe ich tatsächlich erst vor ein paar Jahren entdeckt. Ein gemeinsamer Freund von Alois und mir hat uns den Ort und das Hotel ans Herz gelegt. Ich war schon in vielen schönen Hotels, aber dieses Haus ist etwas Besonderes. Nach unserem ersten Aufenthalt wollte ich sofort wieder zurück.
Alois Seyrling: Das Schöne ist ja: Wenn man ein Hotel nach seinen eigenen Interessen gestaltet, zieht man automatisch Leute an, die ähnlich ticken wie man selbst. Alex und ich sind gute Bekannte geworden, wir sind beide gerne draußen unterwegs, und unsere Kinder sind in einem ähnlichen Alter, da hat man natürlich einiges, worüber man reden kann.
AM: Stimmt! In den Gesprächen habe ich vielüber Seefeld und das Klosterbräu gelernt. Ich fand es schön zu hören, dass Alois und seine Geschwister nach dem plötzlichen Tod ihres Vater zusammengehalten haben und das gemeinsame Erbe weiterentwickeln. Meine Familie kommt aus anderen Gründen gerne hierher: Die Kleinste tobt sich in der Kinderbetreuung aus, meine Tochter Mila liebt das alte Gemäuer und die vielen Kerzen überall. Sie fühlt sich hier wie eine Prinzessin in einem Schloss. Und meine Frau erholt sich im Wellnessbereich. Vor Kurzem hat Mila den ersten Skikurs gemacht. Ich hoffe, dass sich meine Frau auch noch anstecken lässt. Irgendwann werden wir bestimmt alle zusammen die Pisten von Seefeld unsicher machen.
Stammgast Alexander Mazza (rechts).
Landhaus Strolz, St. Anton
Die kleine Pension liegt direkt am Hang und weckt selbst bei Nicht-Skifahrern eine tiefe Sehnsucht nach dem Berg und dem Schnee. Wirtin Claudia Strolz kümmert sich um jede Gästeanfrage selbst.
Renate Reisinger aus Wien: Mein Mann und ich kommen seit 53 Jahren zum Skifahren an den Arlberg. Dieses Gefühl von Freiheit, wenn man frühmorgens oben auf dem Berg steht und die Piste ganz für sich alleine hat, ist für uns das Allergrößte. Es kribbelt immer noch jedes Mal, wenn wir uns ins Auto setzen, um hierherzufahren.
Claudia Strolz: Wenn im Herbst der erste Schnee fällt, mache ich immer gleich ein Foto und schicke es an Renate und Kurt – sie sollen wissen, dass der Berg auf sie wartet. Kurt fährt wirklich jeden Tag, egal bei welchem Wetter, und ist morgens immer der Erste im Skiraum – und das mit 74. Ich bewundere ihn dafür. Vor ein paar Jahren hat man ihm und Renate einen VIP-Pass für den Lift geschenkt, damit sie nicht anstehen müssen. Das ist eine große Ehre.
Kurt Reisinger: Die Geschichte unserer Familie ist eng mit St. Anton verbunden. Wir haben damals extra im Februar geheiratet, damit wir unsere Hochzeitsreise hierher machen konnten.
RR: Alle dachten, ich wäre schwanger und dass es uns deshalb pressiert. „Wer heiratet denn im Februar?“, haben sie gesagt.
KR: Inzwischen kommen wir schon mit unseren Enkeln her. Der Jüngste ist gerade viereinhalb und fährt schon ganz gut, das macht uns sehr stolz.
RR: Aber wir kommen auch im Sommer an den Arlberg.
CS: Das ist immer wie ein Besuch von Verwandten. Dann machen wir ein großes Grillfest mit allen und meine Kinder spielen mit den Enkeln der beiden im Garten. Diese Vertrautheit zwischen uns ist etwas ganz Besonderes, das gibt es nicht oft. Die beiden sind fast so etwas wie meine zweiten Eltern.
Stammgäste Renate und Kurt Reisinger.
Gasthof Bergblick, Brand
Seit 1962 gibt es den Familienbetrieb. Heute leben im Gasthof von Herbert Falger vier Generationen unter einem Dach. Seine Enkelin Matilda ist gerade mal ein Jahr alt.
Adolf Leifheit aus Kassel: Manche unserer Bekannten können nicht verstehen, dass wir seit über 40 Jahren immer an denselben Ort kommen. Aber wenn wir nach Tirol fahren, ist das mehr als nur ein Urlaub. Hier ist unser zweites Zuhause. Wir kommen jedes Jahr mehrmals – und immer zu denselben Zeiten. Viele andere Gäste machen es ähnlich. Wenn wir morgens in den Frühstücksraum kommen, können wir fast jeden Stammgast mit Namen begrüßen.
Herbert Falger: Als ich noch ein Kind war, hatten wir kein privates Wohnzimmer. Unser Gemeinschaftsraum war immer die Gaststube – dass ich ein enges Verhältnis zu unseren Gästen pflege, wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt. Längst zähle ich Adolf zu meinen guten Freunden. Als unser erstes Enkelkind geboren wurde, habe ich ihm sofort Bescheid gesagt.
AL: Dieses herzliche Verhältnis ist es, was uns immer wieder hierherzieht. Schon im Auto auf dem Weg freue ich mich auf den Moment, in dem ich mit Herbert in der Stube sitze, die „Ahle Worscht“, die ich ihm jedes Mal aus Hessen mitbringe, aufschneide und mit einem Bier anstoße – viel mehr braucht man doch gar nicht im Leben.
Stammgast Adolf Leifheit (links).
Alle Jahre wieder
Die Welt steht uns heute offen. Trotzdem kehren viele Menschen immer wieder an denselben Urlaubsort in Tirol zurück. Der Tourismusforscher Jürgen Schmude erklärt, warum diese Bindung auch im Zeitalter der unbegrenzten Reisefreiheit überdauert.