Die Berge als Problemlöser
Werner Senn war in seiner Jugend Skiprofi und fuhr gegen Hansi Hinterseer. Danach ging er zur Flugrettung der Polizei, die er viele Jahre leitete – sein Spitzname: „Tiroler Adler“. Er lebt zwischen Landeck und Grins. Seit ein paar Jahren ist er im Ruhestand und kann die Berge wieder Vollzeit genießen.
„Wenn ich Probleme habe oder Entscheidungen treffen muss, dann löse ich das fast immer am Berg. Das Gehen macht den Kopf frei. Vor allem, wenn die Dinge unklar sind … Das habe ich in meinem Leben oft erlebt, dass der Ausweg oder eine Idee dann langsam Konturen angenommen hat, so wie die Silhouette eines Berges, die sich aus den Wolken löst. Und auf einmal weiß man ganz genau, wie es geht. So habe ich fast alle meine privaten und beruflichen Entscheidungen getroffen. Die Berge sind echte Problemlöser.
Wenn man bei Landeck aufwächst, hat man fast automatisch eine enge Beziehung zum Berg. Früher hat es hier ja fast nix anderes geben wie Skifahren. Wenn du im örtlichen Skiclub die Meisterschaft geholt hast, dann warst du wer, auch in der Schule und in der Familie. Was anderes gab es nicht.
Mein Vater ist leider verunglückt, als ich noch recht jung war. Das war eine schwere Zeit für mich, auch weil ich deshalb nicht aufs Skigymnasium gehen und meinen Traum von der Skiprofikarriere verfolgen konnte. Aber weil Wettkampf und Leistung damals alles für mich waren, habe ich es trotzdem geschafft.
Nach der Profikarriere blieb ich den Bergen treu: Ich arbeitete zunächst als Alpinpolizist – und ab 1983 dann bei der Flugrettung. Ich war quasi der Typ, der unter dem Hubschrauber an einem Seil hängt. Als ich später dann die Leitung der Flugpolizei und Flugrettung übernommen habe, habe ich auch den Hubschrauber-Berufspilotenschein gemacht. Weil ich finde: Wennst so a Standl führst, musst alles selbst können – sonst ist man immer auf Berater angewiesen.
In dieser Zeit war ich eher so ein Bürohengst in Wien: Du bist die ganze Woche in der Stadt, bist bei vielen Würschtl-essen eingeladen. Und dazu der ganze Stress – da merkst du einfach: Ich brauche den Berg zum Runterkommen. In dieser Zeit habe ich begonnen, die Bergtouren auf eine neue Art und Weise zu genießen.
Über die Jahre hab ich um die 5.500 Einsätze am Berg miterlebt und geleitet. Und all diese Unglücke und Schicksale, die können schon an einem nagen. Mir war zwar schon immer klar, dass Respekt und Demut die wichtigsten Fähigkeiten eines guten Bergsteigers sind. Man muss auch mal umkehren können und sagen: Heute geht’s halt nicht. Aber wenn man an einem Tag einen Lawineneinsatz mit Toten durchführt und am nächsten Tag selbst eine Skitour geht, dann ändert sich der Blick auf den Berg komplett. Und in dieser Situation eine Balance zu finden, dieses Erfüllende, dieses Bergglück aufrechtzuerhalten, das ist das Wichtigste.
Es gibt übrigens eine große Gemeinsamkeit zwischen dem Fliegen und dem Bergsteigen: In beiden Situationen kann man nicht bluffen oder sich rausreden. Das fand ich immer toll. Mit Beziehungen und Geld kannst du viel erreichen – grad in der Politik oder im Geschäft.
Aber der Berg ist gerecht. Wenn du keine Kletterroute mit dem sechsten Schwierigkeitsgrad klettern kannst, dann kommst du halt nicht rauf. Punkt. Das mag ich am Berg.“