Von der Schanze aufs Rad
Bevor Primož Roglič seine Karriere als Rennradfahrer begann, war er jahrelang als Skispringer aktiv. Mit sport.tirol hat der Slowene über seinen Wechsel von den Skiern aufs Rad, die vergangene Straßenrad-WM in Innsbruck sowie die Nordischen Ski-Weltmeisterschaften gesprochen, die 2019 in Seefeld ausgetragen wurden.
Primož Roglič hat sich mittlerweile als feste Größe im Radrennsport etabliert: Heuer gewann er unter anderem die Tour de Romandie, die Baskenland-Rundfahrt und eine Etappe bei der Tour de France, die er schließlich als Vierter in der Gesamtwertung beendete. Seine Leistungen sind umso bemerkenswerter, als der Slowene bis vor wenigen Jahren noch in einer gänzlich anderen Sportart erfolgreich unterwegs war, und zwar im Skispringen.
Wie bist du ursprünglich zum Skispringen gekommen?
Eigentlich durch meinen Nachbarn, der damals Skisprungtrainer war. Wenn man jung ist, sucht man sich eine Sportart aus, und für mich war es damals nur logisch, mit Skispringen anzufangen. Ich mochte es sehr, und ich war auch sehr gut darin.
Was hat dich am Skispringen fasziniert?
Ich mochte vor allem das Gefühl, in der Luft zu sein, zu fliegen. Ich glaube, das ist etwas, wovon jeder Mensch träumt.
Warum hast du schließlich damit aufgehört?
Ich hatte leider einige Verletzungen zu verkraften (darunter einen schweren Sturz 2007 in Planica, Anm.), deswegen war meine Motivation fürs Skispringen irgendwann auch nicht mehr ganz so hoch, wie sie es mal war. Also habe ich mich nach etwas anderem umgesehen, mir schließlich ein Rad zugelegt und mit dem Radfahren begonnen.
Wann war das?
Ich glaube, ungefähr 2012. Zu jener Zeit habe ich mein Motorrad verkauft und mir stattdessen ein Straßenrad gekauft. Das war gewissermaßen der Start meiner Karriere als Radfahrer.
Als Skispringer ist Primož Roglič einige Male vom Innsbrucker Bergisel gesprungen. Im Rahmen der Vorbereitung auf die UCI Straßenrad-WM in Tirol stattete er der berühmten Schanze einen Besuch ab.
Warum hast du dich damals ausgerechnet fürs Radfahren entschieden?
Das weiß ich eigentlich selbst nicht so genau. (lacht) Einige meiner Freunde besaßen ein Straßenrad, und ich hatte das unbestimmte Gefühl, das könnte mir auch gefallen. Ich habe immer mal wieder die Tour de France und andere Radrennen im Fernsehen verfolgt und dachte, dass ich ein guter Ausdauersportler sein könnte. Also habe ich es schließlich auf einen Versuch ankommen lassen.
Hast du erwartet, dass du schließlich so viel Talent fürs Radfahren zeigen würdest?
Nein, nicht unbedingt – vor allem deshalb, weil ich es niemals zuvor gemacht hatte. Das Rad, das ich mir zu jener Zeit gekauft habe, war mein allererstes überhaupt, zuvor hatte ich nie selbst eines besessen. Als Skispringer wurde uns damals auch nicht erlaubt, viel Rad zu fahren. Aber als ich schließlich mit dem Radsport anfing, war ich mehr oder weniger auf Anhieb gut darin. Mir gefällt daran, dass es ein harter Ausdauersport ist und man dabei an seine körperlichen und mentalen Grenzen gehen kann.
Was ist die größere Herausforderung: einen Berg auf Skiern runterzuspringen oder ihn mit einem Rad zu erklimmen?
Das lässt sich eigentlich nicht vergleichen, weil es sich um zwei völlig unterschiedliche Sportarten handelt, die beide auf ihre Art wirklich schwer sind. Sowohl fürs Skispringen als auch fürs Radfahren braucht man nicht nur Talent, es ist auch viel Arbeit nötig, wenn man erfolgreich sein will. Man muss viel investieren und einige Opfer bringen. Allerdings gibt es von den körperlichen Anforderungen und dem Training her deutliche Unterschiede: Als Skispringer brauchst du vor allem Explosivität, trotzdem musst du auch viele andere Bereiche trainieren. Im Radsport ist das etwas anders: Du arbeitest zwar auch an deiner körperlichen Fitness, aber der Großteil der Vorbereitung besteht tatsächlich darin, Rad zu fahren. Dementsprechend sind die Trainingseinheiten im Radsport auch um einiges länger, weil man auf dem Rad natürlich mehrere Stunden ohne Pause fahren kann und auch muss.
Hast du den Wechsel zum Radsport jemals bereut?
Nicht wirklich, nein. Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich in meinem Leben die Chance bekommen habe, zwei komplett verschiedene Sportarten auf dem höchsten Niveau auszuüben.
Lass uns noch kurz über die vergangene Straßenrad-WM in Innsbruck sprechen. Wie zufrieden bist du generell mit deiner Leistung?
Die Ergebnisse waren nicht das, was wir uns erwartet hätten. Aber so ist es nun mal im Radsport, man erreicht nicht immer, was man sich erhofft. Nichtsdestotrotz konnten wir Innsbruck am Ende erhobenen Hauptes verlassen.
Was waren aus deiner Sicht die größten Herausforderungen?
Schwer zu sagen. Ich glaube, es war einfach alles zusammengenommen sehr hart. Für mich war es erst das zweite Straßenrennen bei einer WM, vielleicht hat also auch die fehlende Erfahrung den Ausschlag dafür gegeben, dass es letztlich nicht zu einem besseren Ergebnis gereicht hat. Aber wie ich schon sagte, so ist es eben im Profiradsport.
Wie fandest du die Strecken bei der WM?
Mir gefielen sie wirklich gut, nicht zuletzt, weil sie mal etwas anderes waren. Normalerweise kommt der Streckenverlauf bei Weltmeisterschaften eher Sprintern entgegen, in Tirol waren allerdings eher die Bergspezialisten im Vorteil. Es tat gut, mal eine Abwechslung zu haben, und die Routen sagten mir eigentlich zu, auch wenn sie sehr schwierig waren. Vor allem die „Höll“ war anstrengend – nicht nur für mich, sondern für alle Fahrer war es eine große Herausforderung, es beim Straßenrennen überhaupt ins Ziel zu schaffen.
Im Rahmen der Vorbereitung hast du mit dem LottoNL-Jumbo-Team auch ein Höhentraining im Kühtai absolviert. Hat dir das geholfen?
Ja, auf jeden Fall. Im Gegensatz zu vielen meiner Teamkollegen war ich zum ersten Mal dort, und ich mochte es sehr. Es war nicht nur in Bezug auf das Training von Vorteil, sondern auch sonst eine schöne Erfahrung, bevor die WM losging.
Wie hast du die Atmosphäre bei der WM erlebt?
Die Stimmung war auf jeden Fall sehr gut. Vor allem in Igls war es verrückt: Jedes Mal, wenn wir die Anstiege dort bestritten haben, haben uns zahlreiche Zuschauer angefeuert. Dass auch viele slowenische Fans vor Ort waren, um das Team und mich zu unterstützen, hat bei mir natürlich nochmal für zusätzliche Motivation gesorgt.
Tirol war in deinen Augen also ein guter Gastgeber für die Rad-WM?
Absolut. Für mich nochmal mehr, weil Tirol nicht so weit von Slowenien entfernt ist und ich noch aus meinen Zeiten als Skispringer viele Verbindungen zu Tirol habe.
Hast du die Nordische Ski-WM verfolgt?
Natürlich, ich schaue mir immer noch regelmäßig Skisprung-Bewerbe an. Viele meiner Freunde und Bekannten sind Skispringer, und ich habe immer noch eine Verbindung zum Sport – auch wenn ich ihn selbst nicht mehr aktiv ausübe.
Bist du selbst eigentlich jemals von der Bergiselschanze gesprungen?
Ja, viele Male. Wir haben sowohl im Winter als auch im Sommer einige Trainingseinheiten dort absolviert. Es war nie leicht, vor allem aufgrund des Windes, der dort fast ständig zu wehen scheint.
Vielen Dank für das Gespräch.
Primož Roglič (30) ist ein slowenischer Straßenradfahrer und geht seit 2016 für das niederländische Profi-Radteam LottoNL-Jumbo an den Start. Zu seinen größten Erfolgen gehören der Vizeweltmeister-Titel im Einzelzeitfahren bei der UCI Straßenrad-Weltmeisterschaft 2017 in Bergen (NOR) sowie ein vierter Gesamtrang bei der diesjährigen Tour de France, wo er auch einen Etappensieg für sich verbuchen konnte. Zudem gewann er 2019 die Gesamtwertung bei der Vuelta a Espana. In seiner Zeit als Skispringer gewann er unter anderem Team-Gold bei den Juniorenweltmeisterschaften 2007 im italienischen Tarvisio.
(c) GEPA
Tour de France 2020
Ob bergauf, bergab oder über Schotterpisten – der Slowene fährt schier unaufhaltsam im Gelben Trikot.