Die Langlauf-Herausforderung : Vom Anfänger zum Profi
Sie kommen früher als erwartet, die ersten Erfolgserlebnisse. Keine Viertelstunde und etwa fünf wackelige Fast-Stürze hat es gedauert, bis ich die ersten Meter auf meinen Skirollern geschmeidig über den Asphalt gleite. Denke ich zumindest. Die subjektive Sicht ist ja gerne etwas verzerrt. „Gut so, weiter so. Aber viiiiel lockerer. Nicht so steif. Knie leicht anwinkeln, Fuß näher am Boden lassen und schön zur Seite abstoßen“, ruft Urban Lentsch, während ich anmutig an ihm vorübergleite (subjektive Sicht). Von außen betrachtet, bewege ich mich vielmehr in gemütlicher Rentner-Fußgängerzonen-Schaufensterbummel-Geschwindigkeit. Aber wer zum ersten Mal auf Skirollern steht, der lernt automatisch eine Grundlage der Physik: Geschwindigkeit ist relativ. Über die Erdanziehungskraft lernt man auch so einiges. Aber der Reihe nach.
Beim Balance- und Beweglichkeitstest „Y Balance“ durch das Olympiazentrum Innsbruck bin ich noch ziemlich entspannt. Kein Wunder, ich habe keine Ahnung, was vor mir liegt.
Es gibt kein zurück
Auf dem Weg von München in Richtung Seefeld denke ich oft darüber nach, was mich dazu getrieben haben mag, mich diesem „Loipenfahrtskommando“ zu stellen. Ich stand noch nie in meinem Leben auf Langlaufski – und nun soll ich in fünf Monaten skaten lernen und zur Krönung auch noch an einem Wettbewerb teilnehmen. Und ohnehin: Ich bin ja noch ein bisschen erkältet, meine Kondition ist sowieso nicht die beste und meine Gelenke, von denen fange ich erst gar nicht an. Doch da liegt der Kochelsee schon längst hinter mir und ein „Herzlich Willkommen in Seefeld“-Schild mahnt kontrastreich vor blauem Himmel, dass es für einen Rückzieher jetzt zu spät sei. Nun gut. „Nordic Team Tirol“ – ich komme!
Das Projekt „Nordic Team Tirol“
Die Idee: Sieben absolute Langlauf-Neulinge werden innerhalb von fünf Monaten von einem Trainerteam so fit gemacht, dass sie an einem Wettbewerb über die volle Distanz teilnehmen können.
Die Teilnehmer: Katharina, Laura und Meike von den @munichmountaingirls, Marlene, Christian, Fabian, Alex (Autor)
Die Trainer: Urban Lentsch, Raphael „Raphi“ Bechtiger, Stefan „Steve“ Mair
Die Orte: Seefeld, Obertilliach, Galtür, Tannheimer Tal, St. Johann & Hochfilzen
Das Ziel: Der Tiroler Koasalauf am 10. Februar 2019. Skaten über 50 Kilometer.
Natürlich starten wir gleich sportlich in den ersten Tag. Eine „auflockernde E-Bike-Runde“ steht auf dem Programm. Auf den ersten, gemütlichen Kilometern und im Trainingsparcours stellen wir sieben Teilnehmer:innen des Nordic Teams bereits Gemeinsamkeiten fest – Radl fahren können wir alle, auf Langlaufski stand noch niemand. Mit der Plauderei ist es allerdings ganz schnell wieder vorbei, denn nach einigen Kilometern in Richtung Mösern verlassen wir den komfortablen Waldweg, der Teil des neu konzipierten Mountainbike-Netzes ist, und biegen nach rechts ab auf etwas, das ich bestenfalls als Trampelpfad für Waldtiere bezeichnen würde. Unser Guide Peter hingegen nennt es einen Trail. Distanz und Steigung waren bis hierhin Dank der Unterstützung des E-Motors unsere kleinsten Probleme. Einen Downhill-Trail mit engen Kurven, Steinen und Wurzelwerk, den bewältigt jedoch auch ein E-Bike nicht von alleine. „Wer will, kann gerne absteigen“, sagt Peter. Will ich nicht. Tue ich aber doch. Wenn auch unfreiwillig. Merke: Wer bergab fährt, sollte sich nicht zu weit nach vorne lehnen. Meike stellt sich da schon wesentlich geschickter und sicherer an. Kein Wunder – geübte Mountainbikerin. Nicht nur über die Gespräche, auch über den Sport selbst lernen wir uns alle sehr schnell besser kennen. Und weil’s so schön war, geht es nach einer kurzen Verschnaufpause gleich wieder den Trail bergauf. Zusammen mit der Luft in der Lunge verschwinden einige Vorurteile über die Langweiligkeit von E-Bikes. Alles klar – Kindergarten war gestern, jetzt geht das Wochenende richtig los.
Start in den Tag: Nach einer kurzen Einführung in die Technik geht es auf E-Bikes von Seefeld in Richtung Mösern.
Für die einen ein Trampelpfad, für die anderen ein Downhill-Trail: Mit den E-Bikes verlassen wir die komfortablen Waldwege.
Und zwar mit einem Fitnesstest auf dem Seefelder Sportplatz. Das heißt: Balance-Übungen, Sprungkraft-Messung, Plank-Challenge, Beweglichkeitstest, Zug-Maschine (ähnlich einer Rudermaschine, ahmt die Abstoßbewegung mit den Stöcken nach und wird zu meinem persönlichen Endgegner an diesem Tag) und das Sahnestück: der Laktattest. Kurz gesagt geht er so: Laufen, Blut abnehmen, schneller laufen, Blut abnehmen, noch schneller laufen, Blut abnehmen… Ich bin nach Runde vier platt. Last man standing: Fabian. „Du bist garantiert schon einen Marathon gelaufen, oder?“, fragt Christoph Ebenbichler vom Olympiazentrum in Innsbruck. „Nicht nur einen“, lacht Fabi. Chris ist der sportliche Kerkermeister, der uns durch die Fitnesstests peitscht. Er ist aber auch gleichzeitig der erste Mensch, der es in meinen 31 Lebensjahren schafft, mich bei Dehn- und Fitnessübungen so anzuleiten, dass der Aha-Effekt kommt. Dass ich verstehe, wie ich meinen Körper einsetzen, bis wohin ich meinen Arm strecken und warum ich den Bauch und den „Oasch“ anspannen muss. So ist es also, wenn man mit Profis trainiert. Dass mit dem „Aktivieren der Hüfte“ will noch nicht so ganz klappen. Fühlt sich eher so an, als würde ich ein Stück Holz aktivieren wollen, aber wir haben ja noch ein paar Monate.
Und zieh! Und zieh! Und zieh! Meike arbeitet sich am Zugtest ab. Drei Minuten lang müssen die Teilnehmer hier alles geben und den Stockeinsatz imitieren. Der Computer zeigt an, wie weit man in dieser Zeit gekommen wäre.
Tag 2: Es wird ernst – und wackelig
Auf dem Trainingsplatz unterhalb der beiden Seefelder Skisprungschanzen schnallen wir uns zum ersten Mal die Skiroller an die Füße. Mit ihren beiden Rollen erinnern sie an ein schmales, längs durchgeschnittenes Skateboard mit Bindung. Jetzt gaaanz langsam aufstehen. Gar nicht so einfach – erst recht nicht mit einem Muskelkater, der sich an den entlegensten Stellen meines Körpers ausgebreitet hat und mich am Morgen mit aller Kraft im gemütlichen Bett halten wollte. Aber spätestens seit unzähligen Visual Statements wissen wir ja: no pain, no gain. Wenn der gain nur halb so groß ist wie mein Muskel-Pain, habe ich definitiv das Zeug zum Profi.
Na bitte, geht doch. Ich stehe. Mal mehr, mal weniger wackelig drehen wir unsere ersten, vorsichtigen Runden auf dem Asphalt. „Hepp“, ruft Raphael „Raphi“ Bechtiger und ein Ball fliegt durch die Luft. Jetzt also auch noch werfen und fangen. Danke für nichts, Trainer! Kennenlern-Spiele, Slalom- und Hindernis-Parcours, Staffellauf – mit jeder Minute werde ich sicherer auf diesen Dingern. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit bringt mich allerdings schnell wieder aus dem Gleichgewicht. Langsam verstehe ich, warum Chris beim Training von der „Stabilisierung der gesamten Muskulatur, des Bewegungsapparats und vor allem der Fußgelenke“ gesprochen hat.
Na bitte, geht doch. Zusammen mit Meike drehe ich die ersten Probe-Runden.
„Bist du zu weit vorne, schmeißt’s di hie“
Neben dem klassischen Schneepflug-V zeigt Raphi beim Bremstraining noch die zweite, sehr effektive Variante: einfach ins Gras rollen. Wobei „einfach“, das habe ich schon gemerkt, ist in den ersten Tagen auf Skirollern eigentlich gar nichts. Neben der Demonstration der richtigen Haltung beim Bremsen gibt Raphi noch einen Ratschlag, den ich mir in meinen Küchenkalender mit Langlauf-Weisheiten schreiben werde: „Bist du zu weit vorne, schmeißt’s di hie, bist’ zu weit hinten, schmeißt’s di a.“
Bremsen können wir also schon mal. Doch zum Langlaufen gehört neben Ausdauer und Körperbeherrschung vor allem eins: Technik. Also ran an die Stöcke! „Ohne etwas zu sagen haben die meisten von euch ein sehr gutes 2:1 asymmetrisch gemacht“, sagt Urban. Hört sich erst mal eher nach Geometrie als nach Langlauf, aber die Trainingseinheiten zu den Techniken bringt Licht ins Dunkel. Zwei Schritte, ein Stockeinsatz. 2:1. Irgendwie logisch. In der Theorie zumindest. In der Praxis ist es überraschend schwierig, beide Stöcke gemeinsam mit dem linken Fuß aufzusetzen. „Sagt’s euch selbst laut vor“, rät Raphi. Und so rollern wir vor uns hin. „Links, links, links, links, rechts, verdammt.“ Ein bisschen ist Langlauf also wie Musik – die Profis bleiben immer im Takt.
So geht’s: Raphi Bechtiger demonstriert die unterschiedlichen Techniken beim Skaten und den richtigen Stockeinsatz. Schaut allerdings leichter aus als es ist.
Dann gibt es noch mal eine Demonstration von Urban. Er tritt an wie ein Sprinter auf Skirollern. Erster Gang: 2:1 asymmetrisch, dann schaltet er hoch in den zweiten Gang: 1:1 (also zu jedem Schritt kommt ein Stock-Einsatz). Dritter Gang: 2:1 symmetrisch. Wahnsinn, welchen Speed er nach wenigen Metern drauf hat.
„Asphalt ist ein schlechter Küsser“
Urban gehört mit Raphi und Steve (Stefan Mair) zu unserem dreiköpfigen Trainerteam, das uns über das komplette Wochenende enorm viel Spaß, eine lockere Stimmung und Lernerfolge beschert, mit denen niemand von uns gerechnet hat. Kein falscher Stockeinsatz entgeht den Jungs. Und jeder bekommt individuelle Tipps und Ratschläge.
„Versuche, die Stöcke nicht vor deiner Brust zu verschränken. Schräg nehmen, eher nach links geneigt“, sagt Steve. Und siehe da: Auf einmal fühlt es sich viel flüssiger an. Da staune ich im einen Moment, wie geschmeidig und formvollendet ich über die Bahn skate, komme ins Straucheln, sehe noch wie Laura flink an mir vorüberskatet und versuche mit vollem Körpereinsatz, nicht den Asphalt zu küssen. Schließlich hat Steve uns gelehrt: „Der Asphalt ist ein schlechter Küsser“. Zu spät. Anmut und Ästhetik bleiben auf der Strecke, mein Hintern ebenfalls. So viel also zur Anziehungskraft. Ich bleibe noch etwas sitzen und genieße das Bergpanorama Tirols.
Vor der Praxis steht die Theorie: Imitationstraining beim Berglauf mit Martin Tauber.
Das bewundern wir später noch gemeinsam – allerdings von oben, schnaufend und schwitzend. Martin Tauber, wie unsere drei Trainer ehemaliger Langlauf-Profi, nimmt uns mit auf einen Berglauf der besonderen Art. Imitationstraining. Dabei erfahre ich nicht nur, wie die 240 Loipenkilometer in Seefeld mit Schnee versorgt und für die Nordische Ski-Wettkämpfe vorbereitet werden, sondern ebenfalls, dass man beim Laufen mit Stöcken ganz schön viel falsch machen kann. Und so imitieren wir uns die noch grüne Skipiste nach oben, ahmen mit jedem Schritt eine Abstoß-Bewegung beim Langlauf nach.
Pfiat di, Seefeld
Von der Theorie zurück zur Praxis. Am dritten Tag geht es zum ersten Mal auf die Runde. Das bedeutet: 2,3 Kilometer laufen. So richtig mit Anstieg und – noch schlimmer – Abfahrt. Auf Alpinen Ski würde ich lachen über dieses Hügelchen. Auf Skirollern steht mir der Angstschweiß auf der Stirn. Ein Blick auf die Pulsuhr: 169. Aha, Aufregung meets Anstrengung. Egal, runter da. Ich lasse mir den Fahrtwind um die helmbedeckten Ohren wehen und bin so glücklich, die Abfahrt gemeistert zu haben, dass ich beim folgenden Anstieg jegliche Technik vergesse und mich wie ein fußkranker Berghase den Hügel hinaufschleppe.
Dennoch gibt es anerkennende Worte von Urban für das ganze Nordic Team Tirol: „Nach zwei Trainingseinheiten schon die erste komplette Runde zu laufen – Respekt! Das ist außergewöhnlich.“
Mit diesem Satz im Ohr und nach einem letzten Krafttraining mit Chris verlassen wir Seefeld. Im Gepäck: Skiroller samt Ausrüstung, jede Menge Motivation und ein Trainingsplan des Olympiazentrums Tirol, der mir schon beim Anblick einen saftigen Muskelkater beschert. Ich freu mich jetzt schon auf die Blicke, wenn ich in ein paar Tagen durch München skirollere. Also dann: bis in einem Monat. Dann werden wir in Obertilliach den Asphalt gegen Schnee und die Skiroller gegen echte Bretter eintauschen.
Die nächste Trainingseinheit steht in Obertilliach in Osttirol auf dem Programm. Dann geht es zum ersten Mal zu einer richtigen Langlaufeinheit in den Schnee und auf die Loipe. Außerdem gibt es dort eine Materialkunde – denn neben der Technik sind auch die Ski und ihre Schuhe sowie das Wachs für den Erfolg beim Langlauf maßgeblich. Also: Stay tuned.