Getümmel auf den Loipen
Volkslangläufe haben in vielen Regionen Tirols eine lange Tradition und erfreuen sich großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Sport.tirol hat mit dem Langläufer Urban Lentsch über die Besonderheiten dieser Rennen und die Faszination, die von diesen ausgeht, gesprochen.
Mehrere tausend Teilnehmer gehen jedes Jahr aufs Neue bei den verschiedenen Volkslangläufen in Tirol an den Start, um sich mit zahlreichen Konkurrenten auf der Loipe zu messen. Doch der kompetitive Aspekt macht nur einen Teil der Faszination an diesen Jedermann-Rennen aus, wie Urban Lentsch erklärt: „Das wirklich Besondere daran ist das Flair. Bei den Bewerben herrscht nämlich meist eine ganz eigene, sehr spezielle Atmosphäre, die man so sonst nirgendwo findet. Egal, ob es minus zehn oder plus drei Grad hat, jeder ist gut drauf.“
Lentsch bezeichnet sich selbst als „semiprofessionellen“ Langläufer, der sich gewissermaßen auf dem Sprung zum Profi befindet, diesen Schritt aber noch nicht ganz vollzogen bzw. geschafft hat. Ein Grund dafür ist, dass ihm schlicht Trainingsjahre fehlen: Der Langlaufsport war für ihn nämlich lange Zeit nur ein Hobby, erst seit etwa acht Jahren trainiert der 25-Jährige systematisch, d.h. mit Coach und einem strukturierten Trainingsplan. „Früher war es so, dass ich zusätzlich zum Langlaufen im Sommer auch noch bei Radrennen mitgefahren bin“, erzählt Lentsch. „Irgendwann befand ich mich allerdings an einem Punkt, an dem ich mich entscheiden musste, ob ich weiterhin ausschließlich zum Spaß langlaufen gehen oder das Ganze auf die nächste Stufe heben will.“
Im Moment hat sich der Kaunertaler voll auf Volkslangläufe spezialisiert, er nimmt regelmäßig an entsprechenden Rennen im In- und auch im Ausland teil – und das äußerst erfolgreich, in der Vergangenheit konnte er unter anderem bereits beim Kaiser-Maximilian- und beim prestigeträchtigen Koasalauf in St. Johann triumphieren. Seinen ersten Sieg als Langläufer feierte Lentsch bereits im Alter von sieben Jahren, damals gewann er bei seinem allerersten Antritt gleich sein erstes Rennen – und zwar den Mini-Ganghoferlauf, die Kinderausgabe des berühmten Volkslanglaufs in der Leutasch.
Urban Lentsch steht zwar bereits seit Kindertagen auf Langlaufskiern, die Entscheidung, die Sportart professionell auszuüben, fiel allerdings erst vor etwa acht Jahren. Um fit für anstehende Rennen zu bleiben, trainiert der 25-Jährige fünf- bis sechsmal in der Woche.
Dieses frühe Erfolgserlebnis mag vielleicht dazu beigetragen haben, warum Lentsch auch heute noch eine besondere Affinität zu Volkslangläufen hat. Diese machen ihm, wie er selbst sagt, nach wie vor großen Spaß – und das sei für ihn, ungeachtet aller sportlichen Ambitionen, weiterhin das Wichtigste am Langlaufen. „Mir persönlich geben die Volkslangläufe einfach unheimlich viel“, so der Kaunertaler. „Bei einem der richtig großen Läufe wie dem Engadin Skimarathon oder dem schwedischen Wasalauf zu gewinnen, wäre für mich in emotionaler Hinsicht etwa wertvoller als beispielsweise ein Weltcupsieg.“
Buntes Teilnehmerfeld
Volkslangläufe unterscheiden sich in mehrerlei Hinsicht von offiziellen Langlaufbewerben wie Welt- oder Europacups. Diese müssen nämlich speziellen Anforderungen des Internationalen Skiverbands (FIS) genügen, sowohl in Bezug auf die Streckenführung als auch hinsichtlich möglicher Teilnehmer. So dürfen FIS-Rennen beispielsweise ausschließlich auf homologierten Loipen ausgetragen werden, die nicht nur eine bestimmte Distanz, sondern auch eine Mindest- und Maximalanzahl an zu bewältigenden Höhenmetern aufweisen müssen. Darüber hinaus sind lediglich Sportler mit einer entsprechenden Lizenz startberechtigt.
Im Gegensatz dazu stehen Volkslangläufe, wie der Name bereits verrät, grundsätzlich jedem offen, ganz unabhängig von Alter oder Fähigkeiten. Dementsprechend bunt nimmt sich in der Regel auch das Teilnehmerfeld aus: Von der Psychologiestudentin über den pensionierten Steuerprüfer bis hin zum angehenden oder auch bereits etablierten Langlaufprofi ist fast immer alles dabei. Die Gründe für eine Teilnahme an einem Volkslanglauf sind dabei mitunter so vielfältig und unterschiedlich wie die Starter selbst: Die einen möchten die Konkurrenz, die anderen wiederum lediglich die Strecke besiegen, für die einen ist es ein jährliches Ritual, für die anderen hingegen eine außergewöhnliche Fitnesseinheit in freier Natur. Und manch einer hat vielleicht auch schlichtweg eine Wette verloren ...
Diese Mischung aus Breiten- und Profisportlern macht die Rennen nicht nur für die Zuschauer interessanter, die Läufer selbst profitieren ebenso davon: Amateure erhalten die Möglichkeit, sich unter denselben äußeren Bedingungen mit den Profis zu messen, Letztere hingegen Gelegenheit, sich auf anstehende Wettkämpfe vorzubereiten. Athleten werden nicht selten ganz bewusst von ihren Trainern zu Volkslangläufen geschickt, damit sie ihren Kopf freibekommen und wieder lernen, das Langlaufen zu genießen.
Dennoch hätten Profis nicht zwangsläufig die größeren Chancen auf den Sieg, meint Lentsch: „Natürlich sind entsprechende Erfahrung, Technik und Taktik ein Vorteil, grundsätzlich kann aber jeder gewinnen. Meist setzt sich am Ende derjenige durch, der den besten Tag erwischt.“ Nichtsdestotrotz bedürfe es aber natürlich viel Training und Arbeit, um das notwendige Niveau für eine gute Platzierung bei einem Volkslanglauf zu erreichen.
Unabhängig davon, welche Motivation nun tatsächlich hinter dem Antreten bei einem solchen Jedermann-Rennen steckt, ist Lentsch zufolge allen Teilnehmern eines gemein, nämlich dass sie in erster Linie eine gute Zeit verbringen wollen: „Klar, die Top-Athleten im Spitzenfeld möchten natürlich das Rennen für sich entscheiden. Aber ich glaube, dem Großteil der Läufer geht es hauptsächlich um den Spaß an der Sache, die Bewegung in freier Natur. Und das ist wohl auch für die gute Stimmung bei Volkslangläufen verantwortlich, dass so viele leidenschaftliche Langläufer auf der Loipe unterwegs sind.“
Gemeinsam auf der Loipe
Die Teilnehmer von Volkslangläufen sind für gewöhnlich alle gleichzeitig unterwegs, denn im Normalfall sind die Läufe als Massenstart-Rennen organisiert: Alle starten zur selben Zeit, und der Erste, der die Ziellinie überquert, gewinnt. Die Startposition ergibt sich dabei wahlweise aus Vorjahrs- oder Referenzergebnissen, die darüber entscheiden, wie weit vorne man sich positionieren darf. Im Allgemeinen, so Lentsch, seien die meisten Läufer aber ohnehin fair und selbstreflektiert genug, um sich im Zweifelsfall weiter hinten aufzustellen – auch in ihrem eigenen Interesse, denn ständig auf beiden Seiten von den heranrückenden Konkurrenten überholt zu werden, ist weder sinnvoll noch spaßig.
Bei den meisten Volkslangläufen müssen, je nach Bewerb, Distanzen zwischen 20 und 60 Kilometern zurückgelegt werden, allerdings gibt es diesbezüglich Ausreißer in beide Richtungen. Manche Rennen erstrecken sich „nur“ über zehn, andere hingegen, wie etwa der Wasalauf in Schweden, über 90 Kilometer. Eine Ausnahme stellt auch das Nordic Night Race dar, das durch den Ortskern von Galtür führt und als Sprint ausgetragen wird. Die 16 besten Athleten der Qualifikation treten in K.o.-Runden gegeneinander an, wobei nur die jeweils zwei schnellsten von vier Läufern in die nächste Runde aufsteigen, bis im Finale der besten vier schließlich der Gesamtsieger ermittelt wird.
Das Besondere am Sprintformat ist generell, dass die Strecken in der Regel nur zwischen 1,2 und 1,6 Kilometern Länge aufweisen und die Rennen daher meist in wenigen Minuten vorbei sind. „Diese Bewerbe sind immer extrem spannend, weil es ständig richtig zur Sache geht“, erklärt Lentsch, der selbst ausgewiesener Sprintexperte ist. „Jede Runde passiert irgendetwas, daher kann man im Vorhinein nie abschätzen, wer schließlich weiterkommen wird.“ Dem Kaunertaler zufolge spielt Taktik dabei eine immens wichtige Rolle: Es gelte, den Rennverlauf möglichst so zu gestalten, dass man seine eigenen Stärken ausspielen kann bzw. die Stärken der Konkurrenten nicht zur Entfaltung kommen lässt. Läufer, die beispielsweise Probleme im Zielsprint haben, versuchen das Rennen von Anfang an schnell zu machen, um die Konkurrenz abzuschütteln und sie davon abzuhalten, im Zielsprint noch heranzurücken.
Dass taktische Überlegungen auch bei Volksläufen mit einer längeren Strecke entscheidend sein können, musste Lentsch 2017 beim Kaiser-Maximilian-Lauf in Seefeld feststellen, das damals sein erstes Rennen über 60 Kilometer war: „Ich startete wie immer schnell, um einen Stockbruch zu vermeiden. Schon nach kurzer Zeit hatte ich mich an die Spitze abgesetzt und einen großen Vorsprung herausgeholt, fuhr aber immer noch im gleich hohen Tempo weiter.“ Das sollte sich schließlich rächen, denn irgendwann ließen Lentschs Kräfte nach, sodass seine Verfolger innerhalb weniger Kilometer zu ihm aufschließen konnten. „Ich versuchte, durch Riegel und Gel wieder zu Kräften zu kommen, und gewann am Ende nach einem anstrengenden Zielsprint hauchdünn vor dem Schweden Johan Sandberg. Im Zielbereich war ich jedoch so erledigt, dass ich kaum noch stehen konnte. Und am Abend, als ich wieder zu Hause war, konnte ich mich an nichts mehr erinnern, was unmittelbar nach dem Lauf passiert ist. Das war mir eine Lehre für die nächsten Rennen.“ Das beweist, dass auch gestandene Langläufer bei Volkslangläufen immer wieder etwas dazulernen können.
Tiroler Volkslangläufe
Kaiser-Max-Lauf
11. Januar 2020, Seefeld in Tirol
Klassisch (30 km, 60 km)
Skating (30 km, 60 km)
Urban Lentsch: „Der klassische Lauf ist Teil der Visma-Ski-Classics-Rennserie, zu der auch der Wasalauf in Schweden zählt. Das Niveau ist sehr hoch, es laufen regelmäßig Größen des Langlaufsports und Weltcupsieger mit. Der Skating-Bewerb ist nicht ganz so gut, jedoch ebenfalls international besetzt. Für einen Volkslanglauf ist die Strecke ziemlich schwer, weil es vor allem zu Beginn und am Ende einige Höhenmeter zu überwinden gilt. Ansonsten ist die Route aber sehr abwechslungsreich, und das macht den Lauf so besonders und gleichzeitig extrem schön.“
Kaiser-Maximilian-Lauf © Magnus Östh
Dolomitenlauf
16.–19. Januar 2020, Obertilliach
Klassisch (20 km, 42 km)
Skating (25 km, 60 km)
Urban Lentsch: „Der Dolomitenlauf ist Teil des FIS-Marathoncups, daher ist das Niveau entsprechend hoch. Es sind immer richtig viele enorm starke Läufer am Start, so zwischen 30 und 40 Profis, vor allem aus Frankreich und Italien. Die Kulisse in Obertilliach ist großartig, die Loipen sind traumhaft schön und die Rennen immer super organisiert. Die Route war zuletzt, obwohl relativ schwer, für Hobbysportler gut schaffbar, heuer gibt es allerdings eine neue Streckenführung.“
Dolomitenlauf © LRC/EXPA GRU
Ski-Trail Tannheimer Tal – Bad Hindelang
16.–19. Januar 2020, Tannheim
Klassisch (13 km, 33 km)
Skating (19 km, 36 km, 60 km)
Urban Lentsch: „Die Stimmung am Start mit den Heißluftballons ist immer etwas ganz Besonderes, auch dass es Zwischensprintwertungen gibt, finde ich super. Was die Routen betrifft, so habe ich bisher nur beim 19- und beim 36-Skating-Bewerb mitgemacht. Da gefiel mir die Streckenführung allerdings sehr gut. Die Läufe waren grundsätzlich relativ einfach, der 60-Kilometer-Bewerb ist jedoch um einiges schwerer, weil dort mehr Höhenmeter zu bewältigen sind. Im Teilnehmerfeld findet man nur eine Handvoll Profis, dafür allerdings viele Nachwuchssportler.“
Ski-Trail Tannheimer Tal – Bad Hindelang © ARGE SKI-TRAIL, Rolf Marke
Koasalauf
6. - 09. Februar 2020, St. Johann in Tirol
Klassisch (28 km, 50 km)
Skating (28 km, 50 km)
Urban Lentsch: „Der Koasalauf ist eines der größten und traditionsreichsten Langlaufrennen in Österreich, das Teilnehmerfeld immer gut – meist mit internationaler Besetzung und Läufern aus Deutschland, Italien, Tschechien oder der Schweiz. Das Besondere an diesem Rennen ist der Zieleinlauf mit seiner langen Geraden, wo immer viele Zuschauer zu finden sind. Zur Entscheidung kommt es meist erst im Zielsprint, die Route selbst ist, wenn man den ersten Anstieg überstanden hat, relativ einfach.“
Koasalauf © OFP
Nordic Night Race
2. April 2020, Galtür
Skating-Sprint (500 m bzw. 1 km)
Urban Lentsch: „Sprintrennen für jedermann gibt es leider sehr selten. Nicht nur deshalb ist das Nordic Night Race ein Spezialfall unter den Volkslangläufen. Die kurze Route beginnt und endet im Ortskern von Galtür, zudem gibt es auch eine Videowall, auf der die Zuschauer das Rennen mitverfolgen können. Die Stimmung ist großartig und das Starterfeld hochkarätig besetzt, letztes Jahr waren etwa viele Top-Stars der internationalen Langlaufszene dabei. Da es eines der letzten Rennen der Saison ist, kann man nochmal alles geben und danach auch den Saisonabschluss entsprechend feiern – denn auch das gehört dazu.“