DNAthlet – built for adventure
Welche Rolle Nadine Wallner in Tao’s Leben spielt, wie sie sich kennen gelernt haben und wie die Red Bull Athletin zu der versierten Alpinistin geworden ist, die sie heute ist, erfahrt ihr in diesem Beitrag.
ERBGUTINFORMATION: Vorarlberger
DNA - drei Buchstaben die ausgesprochen ("deoxyribonucleicacid") wohl den meisten von uns einen Knoten in die Zunge zaubern - ist ein Eiweißmolekül, das in den Zellen aller Lebewesen vorkommt und deren Erbinformationen und die Merkmale enthält. Über rund 30.000 Gene verfügt ein Mensch. Dieser Bauplan legt manche Dinge von vornherein fest: etwa die Augenfarbe, den Körperbau, die Neigung zu bestimmten Erkrankungen, zur Musikalität und eben die Sportlichkeit. Betrachtet man Tao Kreibichs und Nadine Wallners Werdegang, so scheint es, als gäbe es am und um den Arlberg herum besonders gute Gene. So teilen die beiden ehemaligen Freeride World Tour Athleten, neben der Heimat in Vorarlberg, eine vergangene Karriere im Skirennsport auch ihre neue Wahlheimat: Innsbruck, Tirol. Aber von vorne: Woher kennen sich die zwei versiertesten Freerider Tirols eigentlich?
Nadine hat Taos Talent und die Leidenschaft für den Freeride Sport schon sehr früh erkannt.
Als die doppelte Freeride World Tour Gewinnerin 2015 zum „Offlines Camp“ in ihrem Heimatort Klösterle am Arlberg aufrief, zögerte Tao im ein paar Kilometer entfernten Altach nicht lange und sicherte sich einen Platz. Skitouren, Lawinenübungen, die Nacht im Zelt am Berg verbringen und Freeriden bis zum Umfallen – das alles versprach Nadine Wallner’s Freeride Camp für junge Talente. „Ich war damals genau in der Transition vom Racer zum Freerider und dieses Camp war für mich eine Riesenchance. Einem Freeski-Pro so nahe zu sein, ihre Geschichten zu hören und sie über Aspekte des Skiprofi-Lebens ausfragen zu können, so eine Möglichkeit bekommt man halt nicht jeden Tag.“
Unter den 16 Teilnehmer:innen fiel Tao schnell auf. „Man hat schon damals gesehen, dass er extremes Potential hat“, erinnert sich Nadine. Als er dann auch noch den 1.Platz beim abschließenden Contest machte, war sie sich sicher, dass dies nicht die letzte Begegnung mit Tao Kreibich sein würde. „Wenn ich heute szurückschaue, ist es schön, seine Entwicklung zu beobachten, weil er seinen ganz eigenen Style hat“, sagt Nadine. „Tao macht extreme Tricks über riesige Cliffs.“ Ein Kompliment, das man sich schon mal auf sein Butterbrot schmieren kann, um es sich anschließend genüsslich auf der Zunge zergehen zu lassen. Denn Nadine weiß, wovon sie spricht.
Die facettenreiche Alpinistin wuchs in einem kleinen Dorf am Fuße des Arlbergs auf und machte sich – bis zu ihrem 16. Lebensjahr – im Skirennsport einen Namen. Nicht ihre große Leidenschaft, aber als „Arlbergerin“ ist man da eben mit dabei, verrät sie in typischer Mundart. Ihre wahre Liebe, das Freeriden, fand sie allerdings in den weiten Hängen abseits der Piste. Mit Bruder, Mutter und Vater Wallner, einem begnadeten Berg- und Skiführer, verbrachte sie schon als junges Mädchen unzählige Tage im Tiefschnee und schärfte damit ihr Bewusstsein für den Berg. Nadine hat einen Blick für die perfekte Line. Als sie sich 2013 erstmals für die Freeride World Tour qualifizierte, bewies sie auch dem Rest der Welt, welches Talent tatsächlich in ihr schlummerte. Als jüngste Teilnehmerin und erste Österreicherin, schaffte sie es gleich zwei Jahre hintereinander, den Gesamtsieg zu holen.
„Nur wer am Startgate die Nerven behält und einen sauberen Run, auch unter Druck, performen kann, kommt weiter“, erklärt sie. Es scheint, als hätten die Tipps von damals bei Tao Wirkung gezeigt. Sechs Jahre nach seiner Teilnahme in Nadine’s Camp schaffte er es als erster Österreicher in die Finals der Freeride World Tour. Das Feld hart umkämpft.
Nadine Wallner hat sich gleich zweimal das oberste Podest bei der Freeride Worldtour geschnappt. (c) Freeride Worldtour Fieberbrunn
Über das XX und das XY- Chromosom
Aber was unterscheidet die Athletinnen eigentlich von den Athleten? Gibt es überhaupt einen Unterschied? Gene spielen mal wieder eine Rolle: Aufgrund der Anatomie ist die weibliche Muskulatur insgesamt schwächer ausgeprägt und damit verletzungsanfälliger als die männliche. Männer hingegen sind in der Regel risikofreudiger – böse Zungen behaupten, sie neigten des Öfteren zur Selbstüberschätzung. Damit machen sie ihren körperlich bedingten, natürlichen Sicherheitsvorteil wieder zunichte und tragen damit sogar ein höheres Verletzungsrisiko. Ein Unterschied ist, dass das Feld der Ladies nicht ganz so breit gestreut ist wie bei den Männern. Das bedeutet aber nicht, dass die Plätze nicht ebenso hart umkämpft sind. „Es gibt sehr starke Frauen, da wird dir nichts geschenkt“, so Nadine: „Das Niveau wird grundsätzlich immer höher und auch die Trickkiste der Ladies hat sich in den letzten Jahren extrem entwickelt. Da ist ein Progress zu sehen, der nicht mehr zu leugnen ist." Das haben auch die Veranstalter der Freeride World Tour erkannt und glichen 2020 die Preisgelder der Ladies den Preisgeldern der Männer an. „Eine Entwicklung, die mir gut gefällt, dennoch würde ich gerne noch mehr starke Frauen am Berg sehen. Die Ladies da draußen brauchen keine Bedenken haben, dass sie das nicht könnten. Selbst den anatomischen Nachteil kann man mit gezieltem und hartem Training gut ausgleichen.“
Vom Fallen und wieder Aufstehen
Während Tao bisher von Verletzungen verschont blieb, kennt Nadine die Schattenseiten des Profisports zu gut. Schon während ihrer Zeit im Skirennsport stürzte sie beim Training so schwer, dass ihr die Milz entfernt werden musste. 2014 kostete sie ein kleiner Fehler bei einem Filmprojekt in Alaska die wohl längste und prägendste Auszeit vom Skifahren. Diagnose: offener Schien- und Wadenbeinbruch. Nadine wurde ein 40-Zentimeter langer Nagel eingesetzt. „Die Stunden bis zur ersten Schmerzmedikation waren damals wirklich wie Folter. Ich glaube, das war schlimmer, als Kinder kriegen“, erinnert sich Nadine schmerzhaft. „Es gab zwar eine Rettungskette, aber der Hubschrauber hat nicht Minuten, sondern Stunden gebraucht.“
Aber Nadine wäre heute nicht Red Bull Athletin, Freeriderin, Extremkletterin, Berg- und Skiführerin sowie Alpinistin, würde sie sich von Rückschlägen wie diesen aus der Bahn werfen lassen. „Nadine ist vielseitig, vielschichtig. Gerade wenn man glaubt, man hat es geschafft, sie zu beschreiben, hat sie schon wieder einen Titel an sich dran addiert“, beschreibt Tao. „Das Klettern als Trainingseinheit, half mir damals beim Wiederaufbau der Wadenmuskulatur“, erzählt Nadine. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sie sich mit kompromissloser Leidenschaft und hartem Einsatz zur Spitzenkletterin.
Von der Profi-Freeriderin zur Profi-Kletterin, die Verletzung von Nadine Wallner hat sie dem Klettersport Näher gebracht. (c) Stefan Voitl
Die Routen wurden steiler, Griffe und Tritte immer kleiner
2018 widmete sie sich einem besonderen Projekt. Als zweite Frau kletterte sie die Route „Prinzip Hoffnung“ im zehnten Schwierigkeitsgrad. Eine Route von Beat Kammerlander, die nur Trad geklettert werden kann. Also ohne Bohrhaken. Ausschließlich Risse, Spalten, Löcher und Felszacken werden zur Routenbegehung verwendet. Gesichert wird mit mobilen Klemmkeilen, die bei einem möglichen Sturz keine hundertprozentige Garantie für Sicherheit bieten. „Angst kann etwas sehr Lähmendes sein. Angst kann aber auch etwas sein, das dich pusht.“ Ein psychischer Grenzgang: Sich aus der Komfortzone wagen und Gefahren einschätzen zu lernen. Für Nadine ein ständiger Prozess, um als Mensch und Athletin zu wachsen. Diese Denkweise hilft ihr regelmäßig, ihre anvisierten Ziele Realität werden zu lassen. Es ist die mentale Herausforderung, die sie auch an dieser Sportart reizt. Denn vergleicht man das Klettern mit dem Skifahren, lassen sich viele Parallelen ziehen. „Beim Klettern, wie beim Skifahren geht es auch um die Bereitschaft, loszulassen, zu vertrauen und im richtigen Moment zu committen.“ Es ist wichtig, sich nicht zu verkrampfen und über schwierige Stellen „drüber zu tänzeln“ wie Nadine erzählt. Über schwierige Stellen „drüber zu tänzeln“ – eine schöne Metapher, die Nadine auch im Alltag immer wieder anzuwenden lernte.
Über das richtige Tempo
Das Tempo, das Nadine ging, verlangte erneut seinen Tribut. Im darauffolgenden Jahr erforderte eine Überlastungsverletzung am Mittelfinger eine OP. „Ich hatte zu viel Kraft, das haben die Sehnen nicht mitgemacht. Die brauchen länger, bis sie sich an die Belastung gewöhnt haben.“
Seit 2019 ist Nadine staatlich geprüfte Berg- und Skiführerin. „Man muss schon was können. Du musst in jedem Gelände gut, sicher und schnell sein, aber wenn du viel in den Bergen unterwegs bist, ist das alles machbar.“ Das ist bescheiden ausgedrückt. Denn Frauen als Bergführerinnen sind nach wie vor die absolute Ausnahme. Die Prüfung beinhart. Felsklettern, Skitour und Skihochtour, Skitechnik und Freeriden, Eis- und Hochtouren stehen auf dem Lehrplan. Hinzu kommt die Theorie: Lehrgänge in Wetterkunde, Orientierung, Bergrettung, Lawinenwissen und Ökologie. Nur die Creme de la Creme schafft es, sich nach drei Jahren als staatlich geprüften Berg- und Skiführer*in bezeichnen zu dürfen.
Weg vom Trubel, raus in die unberührte Natur - hier fühlen sich Nadine und Tao zu Hause.
Fern der Zivilisation
Dahin gehen, wo kein Mensch sonst hinkommt – davon träumt Tao. Für ihn ist Nadine Inspiration und eine der besten Ansprechpartnerinnen für einen alpinistischen Weg, den es für ihn noch zu entdecken gibt. „Mehr in die großen Berge gehen, filmen und neue Länder entdecken. Ich möchte mich langsam in diese Richtung begeben.“ Nadine kann das gut nachvollziehen: „Neues ausprobieren, sich einen Berg, den man noch nicht kennt, erarbeiten, ungesehene Länder bereisen, fremde Kulturen kennenlernen – das ist etwas ganz Besonderes. Das Gelände selbstständig zu lesen, nicht sicher zu sein, ob die Route auch tatsächlich auf den Gipfel führt, um am Ende dann doch das Ziel zu erreichen...unbezahlbar. Es braucht dazu nur etwas Selbstvertrauen in der Planung, um bewusst ein Fragezeichen einzubauen – allerdings auch die Kompetenz, Lösungen dafür zu finden. Das Wichtigste bei solchen Abenteuern ist eh, dass man mit guten Partnern unterwegs ist.“ Eines ist für die Vorarlbergerin klar: Tao wird seinen Weg gehen – er ist ein Bergmensch wie sie, das ist fest verankert – in seiner DNA.