Auf der richtigen Spur
Mit einem aufwändigen Scoutingprogramm versucht der Österreichische Rodelverband, Kinder und Jugendliche fürs Rodeln zu begeistern und neue Talente zu entdecken – auch in Tirol. Wie der Verband dabei vorgeht und was es braucht, um ein erfolgreicher Rodler zu werden, hat sport.tirol bei Nachwuchskoordinatorin Sandra Lembert in Erfahrung gebracht.
Bronze in der Teamstaffel der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang, zweimal Gold im Staffelbewerb bei der EM 2020 in Lillehammer und der WM 2021 in Königsee. Und dann noch ein historische Weltcup-Sieg in Yanqing. Die 23-jährige Tirolerin, Madeleine Egle bringt beeindruckende Titel für Österreich ein. Dass sie so erfolgreich ist, ist nicht zuletzt dem Österreichischen Rodelverband (ÖRV) zu verdanken, der die Rinnerin in jungen Jahren entdeckt und ausgebildet hat.
„Die Suche nach jungen Talenten ist sicherlich einer der wichtigsten Bestandteile in der Nachwuchsarbeit“, erklärt Sandra Lembert, Nachwuchskoordinatorin und -trainerin beim ÖRV. „Deshalb setzen wir zahlreiche Schritte, um begabte Rodler zu finden und zu fördern.“ Zu diesen Maßnahmen zählt insbesondere ein großangelegtes Scoutingprogramm, das in dieser Form erstmals 2007 erprobt wurde und seit 2013 fixes Element im Nachwuchskonzept des Verbands darstellt. Wie fruchtbar dieses im besten Fall sein kann, zeigt das Beispiel Egles, das nicht nur die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen beweist, sondern ebenso als Ansporn und Motivation für zukünftige Rodelasse dient.
Im Eiskanal in Igls führt der Österreichische Rodelverband immer wieder Schnupperrodel-Einheiten durch.
Von der Schule aufs Eis
Auch in Tirol werden immer wieder solche Scoutings durchgeführt. Dafür gehen Lembert, Scoutingkoordinatorin Veronika Halder und ihr Team in verschiedene Volks- und Sportmittelschulen im Land, um ihre Disziplin vorzustellen und bei den Kindern Interesse daran zu wecken. Dabei werden die Trainer insgesamt zweimal in den jeweiligen Klassen vorstellig: Beim ersten Besuch erzählen sie ganz allgemein vom Rodelsport und führen zusätzlich eine Demonstrationseinheit mit Spielen und Staffeln durch, damit die Schüler einen Eindruck davon bekommen, wie das Trockentraining aussieht. Beim zweiten Mal hingegen werden bereits spezifische Übungen absolviert. „Wir nehmen dann eine kleine Startrampe mit, damit die Kinder einen Startabzug probieren können, zum Teil sogar mit Zeitmessung“, schildert Lembert. „Das ist immer ganz interessant, denn in fast jedem Kind steckt ein kleiner Wettkämpfer. Dementsprechend groß ist auch der Ehrgeiz.“
Nach diesen Vorführungen in der Schule werden interessierte Kinder zu einem Schnuppertraining auf der Kunstbahn in Igls eingeladen. In der letzten Saison hätten Lembert zufolge rund 60 Schüler diese Möglichkeit wahrgenommen, wobei am Ende 15 davon tatsächlich regelmäßig zum Training gekommen seien. Die Nachwuchskoordinatorin und ihr Team hoffen in diesem Jahr wieder auf eine ähnlich positive Resonanz, vor allem im Hinblick auf den großen Aufwand, den man dafür betreibe. „Wir stellen das Rodeln jedes Jahr mehreren hundert Kindern vor, das ist natürlich mit einigen Anstrengungen verbunden“, meint Lembert. „Aber jetzt zeigen sich langsam die Früchte dieses aufwändigen Scoutingprogramms.“ Man sei nämlich nicht nur personell, sondern auch hinsichtlich des Nachwuchses mittlerweile sehr gut aufgestellt, wie Lembert anfügt: „Die Kinder werden wirklich vom Scouting bis zur Übergabe ins Nationalteam hervorragend und individuell betreut. Und gerade in Tirol gibt es viele Talente, die Hoffnung für die Zukunft geben.“
Treffpunkt: Nachwuchsrodler beim Training in Igls.
Stärkung: Nachwuchsrodler beim Training in Igls.
Vorbereitung: Nachwuchsrodler beim Training in Igls.
Konzentration: Nachwuchsrodler beim Training in Igls.
Abfahrt!: Nachwuchsrodler beim Training in Igls.
Übung macht den Meister
Jene Kinder, die nach dem Schnuppern gerne weiter den Rodelsport ausüben möchten, kommen im Anschluss an ihre erste Einheit im Eiskanal einfach weiterhin zum Training. Und dieses sieht beim Nachwuchs sehr vielseitig aus: Zum einen werden allgemeine Übungen zur Verbesserung von Kraft, Schnelligkeit und Koordination sowie Ausdauer und Beweglichkeit, zum anderen aber ebenso spezifische Übungen mit dem Schlitten durchgeführt, „um das Rodel-ABC zu erlernen“, wie Lembert ausführt. Für die Jüngsten stehen dabei ein bis zwei Einheiten in der Woche an, doch je älter die Rodler werden, desto umfangreicher wird auch das Training – im Juniorenbereich sind die Sportler etwa schon bis zu siebenmal wöchentlich im Einsatz. Trainiert wird dabei winters wie sommers, auf der Eisbahn ebenso wie auf Rollenrodeln. Diese breite Basis sei Lembert zufolge die Grundlage für spätere Spitzenleistungen.
Beim Training mit den jungen Talenten lege man vor allem viel Wert auf ein gutes Klima in den jeweiligen Gruppen. Denn nur wenn man auch Freude daran habe, so die Nachwuchskoordinatorin, sei man bereit, den nötigen Aufwand zu betreiben, um Erfolg zu haben. Deshalb versuche man stets, die richtige Balance zwischen Spaß und Ernst zu finden sowie die Übungen möglichst abwechslungsreich zu gestalten. Dabei helfe nicht zuletzt die Vielseitigkeit des Sports, die sich natürlich auch im Training niederschlage. „Das Schöne am Rodeln ist ja sein vielfältiges Anforderungsprofil“, erzählt Lembert. „Die Startphase ist etwa geprägt von Schnellkraft und Schnelligkeit, während es auf der Bahn hauptsächlich auf Koordination ankommt, damit der Schlitten auf der richtigen Spur bleibt.“ Demenstprechend müsse man in gewissem Sinne ein Allroundtalent sein, um den Sport erfolgreich betreiben zu können.
Talente schmieden
Ob jemand tatsächlich das Zeug für eine Karriere als Profirodler hat, sei nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen, sagt Lembert. „Es gibt Kinder, die mehr Zeit benötigen als andere, um Fortschritte zu machen. Manches kommt schließlich mit der körperlichen Entwicklung, anderes müssen sie sich aber auch einfach erarbeiten.“ Aus diesem Grund achte man vonseiten des ÖRV darauf, generell eher sportliche Kinder anzusprechen und verheißungsvolle Talente gezielt und möglichst früh durch individuelles Training aufzubauen.
Das sei auch bei Madeleine Egle der Fall gewesen, die im Grunde als erste richtige Entdeckung des ÖRV-Scoutingsprogramms angesehen werden könne, wie Lembert erklärt: „Madeleine hat alle Schritte durchgemacht, vom ersten Schnuppertraining in Igls über die Teilnahme an diversen Juniorenbewerben bis hin zur Aufnahme in den Nationalkader. Und heute ist sie Besitzerin einer olympischen Medaille.“ Solch eine Laufbahn wünscht man sich auch für künftige Nachwuchshoffnungen, wobei Lembert zufolge bereits viele heimische Sportler den richtigen Weg dafür eingeschlagen hätten.
Die Trainer versuchen stets, eine gute Balance zwischen Spaß und Ernst zu finden.
Ohne Eltern geht’s nicht
Trotz aller Bemühungen und der Faszination, die das Rodeln aufgrund seiner Vielseitigkeit und Schnelligkeit auf junge Menschen ausübt, ist es gar nicht so leicht für die Nachwuchstrainer, Kinder langfristig zum Rodeln zu bringen – zum einen, weil man mit vielen anderen Sportarten und Freizeitbeschäftigungen um die Aufmerksamkeit konkurriert, und zum anderen, weil auch das Umfeld der Kinder passen, also die Eltern entsprechend motiviert sein und hinter ihren Sprösslingen stehen müssen. Manche haben allerdings anfangs Hemmungen, ihren Nachwuchs mit 60 Stundenkilometern auf einem Schlitten eine Eisbahn runterrasen zu lassen – und das sei auch verständlich, meint Lembert: „Rodeln ist ein Rennsport und birgt als solcher natürlich gewisse Risiken. Aber wir führen die Kinder ganz langsam an den Sport und schrittweise an neue Herausforderungen wie größere Starthöhen und Geschwindigkeiten heran. Deshalb müssen sich die Eltern keine Sorgen machen.“
Grundsätzlich habe man Lembert zufolge aber bisher überwiegend positive Erfahrungen mit Eltern gemacht, die ihren Nachwuchs nicht nur zur Bahn bringen, sondern ihm auch beim Training zuschauen und mitunter sogar bei der Durchführung der Einheiten helfen würden. „Die Sicherheit und der Rückhalt von zuhause spielt für Kinder eine wichtige Rolle“, erklärt die Nachwuchskoordinatorin. „Und wenn die Eltern stolz an der Bahn stehen, freuen sich die Kleinen natürlich noch mehr.“