Rennrad vs. Downhill
Text: Klaus Erler
Unterschiedlicher können Fahrräder und die dazugehörigen Sportarten kaum sein. Sport.Tirol hat sich mit dem Ex-Rennradprofi Thomas Rohregger und dem Gravity-Biker André Vögele getroffen, um ihre Sportgeräte und die Ausrüstung genau unter die Lupe zu nehmen.
© © Fritz Beck
Thomas Rohregger
Der Ex-Profi aus Kramsach war bei verschiedenen Teams unter Vertrag. Er gewann u.a. die Ö-Rundfahrt (2008) und nahm an der Tour de France, am Giro d'Italia und an der Vuelta a España teil. Bei der Rad-WM 2018 in Tirol war er u.a. für die Streckenplanung zuständig.
Das Fahrrad
Modifiziertes Straßenrennrad „Trek Madone Race Shop Limited“ in Speziallackierung, Rad fürs flach-kupierte Gelände, Preis: rund 13.000 Euro
Rahmen: Carbonrahmen, Carbonlenker, Gewicht: rund 6,9 Kilo (im Rennsport darf das Rad 6,8 Kilo nicht unterschreiten).
Schaltung: Elektronische Schaltung, 20 Gänge in klassischer Rennradübersetzung; ermöglicht Wettkampfschnitte von ca. 45 km/h, Höchstgeschwindigkeit im Sprint rund 70 km/h
Bremsen: Aerodynamisch verlegt mit Belägen, optimiert für Carbonfelgen
Laufräder und Reifen: Drahtreifen (Trainingsreifen), im Rennen werden Klebereifen gefahren, Carbonfelgen.
Besonderheiten: Aerodynamisch optimiert unter anderem durch innenverlegte Züge und Kabel und spezielle Laufräder, Isospeed-Gummieinsatz an der Sattelstütze zur Dämpfung der Rahmenschwingungen und zur Erhöhung des Fahrkomforts, zwei Flaschenhalter
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Ausrüstung
Gewichtsoptimierte Rennradschuhe mit Drehverschluss und hohem Tragekomfort, da sie im Rennen sechs bis sieben Stunden getragen werden. Orthopädische Einlagen zur Korrektur von Fußfehlstellungen, die sich negativ auf die Kraftübertragung auswirken können.
Die Beine sind rasiert, um die Infektionsgefahr nach dem Sturz zu minimieren, um die Arbeit der Masseure zu erleichtern und um aerodynamische Vorteile zu erzielen.
Trikot
Gewichtsoptimierte Hose mit Hosenträger und Schaumstoff-Einlage, Leibchen aus Spezialtextilien, wird für jede Jahreszeit in unterschiedlichen Stoffqualitäten getragen. Rennradfahrer kleiden sich im Training nach dem 3-Lagen-Prinzip: Als erste Schicht dient ein nach außen entlüftendes Schweißleibchen, darüber ein Trikot und als dritte Schicht ein Gilet, optional Arm- und Beinlinge oder Jacke. Ein Warmhalten des Körpers über Textilien ist ein wichtiges Kriterium im Leistungssport, da der Körper sonst zusätzliche Energie in die Stabilisierung des Wärmehaushalts stecken muss. Gewichtsoptimierter Helm (229 g)
Thomas Rohregger ist Rechtswissenschaftler und steht derzeit kurz vor seiner Anwaltsprüfung. © Fritz Beck
Der Downhiller
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André Vögele
2010 gewann der Innsbrucker sein erstes Downhill-Rennen auf der Nordkette, er fuhr beim iXS Downhill Cup und beim UCI Mountain Bike World Cup mit.
Das Fahrrad
Mondraker Summum 27.5-Downhillbike-Rahmen mit von André Vögele adaptierten Komponenten und Spezialfahrwerk, Preis: 5.000 Euro
Rahmen: Aluminium, Gewicht rund 15 Kilo (je leichter, desto besser zu bewegen und desto fehlerverzeihender), Carbonlenker, Karbonsattelstütze
Laufwerk: Doppelbrückengabel Luftfederdämpfer mit 200 mm Federweg (vorn), Luftfederdämpfer mit 200 mm Federweg (hinten)
Schaltung: 7-Gang-Schaltung mit einem Kettenkranz vorne (nicht für Bergauf-Passagen geeignet). Durchschnittliche Downhill-Geschwindigkeit 40 bis 50 km/h
Bremsen: Je eine 200 mm-Vierkolben-Scheibenbremse mit organischen Belägen vorne und hinten
Laufräder und Reifen: 27,5 Zoll Laufräder, schlauchlose Trocken- oder Regenreifen, über dem Vorderrad befindet sich ein Kotflügel (Mudguard), der vor Erde, Wurzelstücken und Steinen schützt. Hohlfelgen mit flachen, aerodynamischen Messerspeichen
Besonderheiten: Innenverlegte Züge und Kabel, gewichtsoptimierter Rennradsattel, der nach oben zeigt, um im Gefälle ein waagrechtes Sitzen zu ermöglichen. Am Fahrrad sind die Klickpedale Crankbrothers Mallet montiert, damit die Füße bei hohen Geschwindigkeiten nicht den Kontakt zu den Pedalen verlieren. Am ganzen Rad werden aus Gewichtsgründen Titanschrauben verbaut. Eine spezielle Kettenführung sorgt dafür, dass die gewichtsoptimierte Rennradkette bei rauem Untergrund nicht von den Zahnkränzen hüpft.
André Vögele ist ausgebildeter Nutzfahrzeugtechniker und Systemelektroniker. Er betreibt seine einer Radwerkstatt in Innsbruck. © Fritz Beck
Die Ausrüstung
Clippedal-Gravity-Schuhe, Knie-Schienbeinschützer aus Schaum, der sich bei einem Aufprall verhärtet und unter der langen Hose ohne Innenhose getragen wird. (Downhill-Biker stehen bei den Rennen fast durchgehend und brauchen daher keine gepolsterten Sitzeinlagen.) Atmungsaktives Material, Oberkörperprotektoren-Jacke mit eingearbeiteten Ellbogen- Schulter-Rippen-Brust- und Wirbelsäulenprotektoren. Darüber wird ein Motocross-Langarmshirt getragen, bei Kälte eine zusätzliche Windjacke. Auf den Nackenprotektor, der schwere Halsverletzungen verhindern soll, wird in der Zwischenzeit wieder verzichtet, da er in der Vergangenheit im häufig harmlosen Sturzfall zu oft für Schlüsselbeinbrüche verantwortlich war.
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Vollvisier-Helm (800 bis 1200 g) aus dem Motocross-Bereich mit Doppelschalen-MIPS-System, das vor Aufschlägen mit unterschiedlichen Bewegungsrichtungen/Kraftrichtungen schützt. Die Bike-Brille ist mit Prizm-Glas ausgestattet, das Kontraste und Konturen besonders stark hervorhebt. Leichte, dünne Handschuhe ohne Protektoren
Im Gespräch
Zweirad hoch zwei
Was die beiden Profis Gravity-Biker André Vögele und Rennradfahrer Thomas Rohregger eint, ist die Liebe zum Radsport, die ihnen in Wettkampf-Extremsituationen ungeahnte Glücksgefühle beschert.
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Wie schaut ein typischer Wettkampf-Event für euch aus?
André Vögele: Ein typischer Wettkampf geht über vier Tage. Der Donnerstag beginnt mit dem Bike-Setup und der Streckenbesichtigung, Freitag, Samstag und Sonntag-Vormittag stehen im Zeichen des Trainings und der Startplatzvergabe. Erst am Sonntagnachmittag beginnt das Rennen. Während dieser vier Tage achte ich noch mehr als gewöhnlich auf die Ernährung und auf ausreichend Schlaf. Das tatsächliche Rennen ist dann Adrenalin pur für mich, daher vermeide ich zuvor möglichst alle Stresssituationen, um nicht mit einem lädierten Nervenkostüm zu starten.
Thomas Rohregger: Bei den Rennradfahrern schaut es etwas anders aus, da gibt es sowohl Eintages-Rennen als auch große Länderrundfahrten, die drei Wochen dauern. Darauf bereitet man sich Monate lang gezielt vor. In der Wettkampfzeit selbst muss man Kraft sparen, wo immer es möglich ist, weil jedes Watt für den Wettkampf gebraucht wird. Das kann dann soweit gehen, dass Sportler auf das Treppensteigen verzichten und nur noch mit dem Lift fahren. Es gilt auch, akribisch auf ausreichend Schlaf zu schauen: Zwei Tage schlecht zu schlafen kann bei einem Rennen wie dem Giro d'Italia, bei dem man täglich fünf bis sieben Stunden am Rad sitzt und sich vor tausenden von Zusehern beweisen muss, dramatische Folgen haben.
Könnt ihr kurz euren Trainings-Jahresablauf skizzieren?
Thomas Rohregger: Beim Profi-Rennradfahrer gibt es eigentlich nur von Mitte Oktober bis Mitte November trainingsfreie Zeiten. Im November und Dezember plant man das Rennprogramm des nächsten Jahres. Da werden auch die persönlichen Favoritenrennen definiert, auf die man dann besonders hintrainiert. Im Winter beginnt das Grundlagen- und Ausdauertraining unter anderem mit Skitouren-Gehen und Langlaufen. Winter-Trainingslager auf Mallorca folgen. Saisonstart ist Mitte Jänner, von da an geht es bis Oktober durch. Ein Rennrad-Profi fährt im Jahr 30.000 bis 35.000 Kilometer und absolviert rund 100 Renntage. Für die richtige Ernährung steht ein eigener Koch und ein Ernährungsberater zur Verfügung, da vor allem Bergradfahrer, wie ich es früher war, sehr auf ihr Gewicht schauen müssen.
André Vögele: Unsere Saison ist im November vorbei. Dann beginnt die Vorbereitung auf das nächste Jahr mit täglichem Rennrad-Fahren und Mountainbiken solange es das Wetter zulässt. Zusätzlich gehe ich fünfmal pro Woche in das Fitness-Studio, um meine Rumpfstabilität zu trainieren. Gleichgewichtsübungen und Sprinttrainings sind ebenfalls essentiell und mitentscheidend für Sieg und Niederlage bei einem Wettkampf. Ich bin mein eigener Koch und Ernährungsberater und verzichte – wo immer möglich – auf Zucker und leere Kohlehydrate, um mein Gewicht auch im Wettkampf stabil zu halten. Aber nicht nur der Körper wird getunt, auch das Bike: Die Grundabstimmung des Fahrwerks dauert einen ganzen Winter. Dabei gilt es, unterschiedliche Dämpfer-Öle und die Dämpfer-Zug- und Druckstufen in den Griff zu bekommen. Die größte Herausforderung stellt sich dann im Wettkampf, wo die im Winter gefundene Grundabstimmung den sich wöchentlich ändernden Situationen angepasst werden muss. Ich serviciere mein Rad selbst und kenne es bis ins kleinste Detail.
Wo liegen die Lust-Momente des Sports, wo gibt es Frust-Momente?
Thomas Rohregger: Wenn man trotz Schlechtwetter-Phase fünf Stunden am Tag outdoor trainieren muss, dann hilft oft nur eines: Sich mit den Erinnerungen an geglückte Rennen in der vergangenen Saison zu motivieren. Ein inneres Bild, das mir da immer wieder geholfen hat, ist eine Sprintetappe beim Giro d’Italia: Ich fuhr im Pulk mit 180 Rennfahrern und wurde von tausenden Zusehern angefeuert. So konnte ich an meine körperlichen und psychischen Grenzen gehen. Dieses Hochgefühl ist das Privileg eines Spitzensportlers, das gibt es nur als Belohnung für harte Arbeit und das kann man auch nicht kaufen.
André Vögele: Richtig frustrierend ist, wenn man sich perfekt vorbereitet hat, in Topform ist und dann sorgt ein Materialfehler dafür, dass man nicht ins Ziel kommt. Wenn aber alles funktioniert, gibt es für mich kein besseres Gefühl als das Renngefühl. Wenn die letzten fünf Startpiepser vor dem Downhill zu hören sind, nehme ich Geräusche und Menschen um mich herum kaum mehr war. Dann gibt es für die nächsten vier Minuten nur noch das Bike und den Downhill, von dem ich weiß, dass ich mich perfekt darauf vorbereitet habe: Das ist Konzentration pur, ich kenne kein vergleichbares Gefühl.
Wodurch unterscheiden sich eure Sportarten im Wettkampf?
Thomas Rohregger: Als Rennrad-Profi bin ich meist in der Gruppe unterwegs und gefordert, im Kampf Mann gegen Mann den Gegner in seiner Taktik zu erkennen, seine Körpersprache richtig zu lesen und meinen Angriffsstil daraufhin auszurichten. Ich muss dann auch meine Teamkollegen in diese Taktik einbinden.
André Vögele: Der Gravity-Biker agiert mehr aus dem Gefühl des Einzelkämpfers heraus, der primär gegen die Zeit und nicht gegen andere Sportler fährt. Ich taktiere über die Einteilung meiner Kraft und über die richtige Einschätzung des Wetters, um nach Möglichkeit eine Regenstrecke zu vermeiden.
© Fritz Beck