Tirols Fernradwege verbinden Bewegung mit regionaler Kultur und Genuss.
Mit Rad und Pack – einmal von Wien nach Tirol
„Mein erster Gedanke war: Einmal quer durch Österreich radeln, von Wien nach Tirol – sind da nicht überall Berge? Ich bin zwar ein fleißiger Radfahrer, aber ich bin selten lange Strecken am Stück gefahren. Eine mehrtägige Bikepacking-Tour habe ich noch nie gemacht. Kurzum: Ich war ein wenig nervös.
Startpunkt meiner Tour sollte Wien sein. Aber einfach am Hauptbahnhof aussteigen und mich dort auf mein Bike setzen? Nein, ich wollte den Start meiner Reise ein wenig mehr zelebrieren. Deshalb bin ich vor die Tore Wiens gefahren, nach Tulln an der Donau, wo eine Reiterstatue von Mark Aurel steht, der römischer Kaiser und ein berühmter Stoiker war. Seine Lebensphilosophie: Sich auf das konzentrieren, was man verändern kann – und akzeptieren, worauf man keinen Einfluss hat. Mit dieser Philosophie kann ich etwas anfangen, dachte ich mir. Gerade auf dem Rad. Genau hier soll meine Tour beginnen.
Es waren dann nicht die Berge, die mir zu schaffen machten – auch wenn es in Summe ein paar tausend Höhenmeter bis Tirol waren. Es war vor allem der Wind. Anders als ich erwartet hatte, ist das perfekte Wetter für eine mehrtägige Radtour nicht strahlender Sonnenschein, sondern ein leicht bedeckter Himmel bei etwas mehr als 20 Grad. Denn wenn es heiß wird, nimmt auch die Thermik zu. Als ich die Donau entlanggeradelt bin, hatte ich sehr schönes Wetter – und fast die ganze Zeit Gegenwind. Am Anfang meiner Reise habe ich also viel an Mark Aurel gedacht.
Ich bin die meiste Zeit dem Wasser gefolgt. Dort hält sich die Steigung meist in Grenzen, aber auch seelisch finde ich das Wasser spannend: Es ist immer nett, einen Fluss neben sich zu haben, oder am Ende des Tages an einem See anzukommen. Ich bin zunächst die Donau entlang, dann den Traun hinauf bis ins Salzkammergut, dort am Atter- und Mondsee vorbei, der Salzach und Saalach gefolgt und schließlich über Lofer zum Inn und nach Tirol geradelt, dem großen Ziel meiner Reise.
Um die Tour zu planen, habe ich eine App namens Komoot benutzt, die ich sehr empfehlen kann. In der konnte ich mein Fitnesslevel angeben, mit was für einem Fahrradtyp ich unterwegs bin und welche Untergründe für mich in Frage kommen. Hätte ich nur Google Maps benutzt, wäre ich häufig auf normale Straßen geleitet worden. So aber war ich die komplette Strecke auf Radwegen unterwegs. Das war wirklich fantastisch. Ich habe meine Route außerdem gestückelt ausgedruckt, so hatte ich immer eine kleine Karte im Radtrikot. Zum Erkunden der Gegend war das sehr hilfreich – und um in Kontakt mit Menschen zu kommen. Wenn ich mal nicht weiterwusste, konnte ich schnell die Karte zücken und einen Einheimischen fragen.
Anfangs habe ich mir Sorgen gemacht, nicht schnell genug voranzukommen. Nach dem Frühstück auf das Bike zu steigen und zu wissen, dass man 70 Kilometer oder mehr am Tag fahren muss – das klang für mich ein bisschen unvorstellbar. Aber nach den ersten beiden Tagen habe ich meinen Rhythmus gefunden: Ich wusste, dass ich die Kilometer locker schaffe – auch im gemütlichen Tempo – und ich konnte gut einschätzen, wie viel Zeit ich für einen ungeplanten Schlenker habe. An meine Route habe ich mich grob gehalten, aber ich bin täglich von ihr abgewichen. Und nie habe ich dort übernachtet, wo ich das am Morgen noch geplant hatte.
Es ist gut, die Idee des Bikepacking ernst zu nehmen, sich treiben zu lassen und vorher nichts zu buchen. Manchmal habe ich tagsüber im Internet geschaut, wo ich ankommen könnte und dann ein bisschen Angst bekommen, wenn es hieß, dass in einem Ort nur noch zwei Zimmer frei wären. Hat dann aber nie gestimmt. Vom Burgenland bis Tirol: Es gibt so viele kleine Pensionen, die sich auf spontane Radfahrer spezialisiert haben und einen unkompliziert aufnehmen. Meistens bin ich irgendwo angekommen und habe einfach ein paar Einheimische nach einer Empfehlung gefragt. Und es waren immer sehr gute Tipps.
Die vielleicht schönste Erkenntnis: Es gibt noch immer so viel, was man nur vor Ort erfährt, was sich nicht planen oder vorher recherchieren lässt. Einmal saß ich beim Frühstück in Scheffau am Wilden Kaiser, da erzählte mir die Wirtin von einem Kneippweg in der Nähe. Kneippwege und Bikepacken sind eine sehr empfehlenswerte Kombination. Solche Überraschungen findet man vorab nicht alleine. Genau an dieses Gefühl werde ich mich lange erinnern: Morgens aufzustehen und nicht zu wissen, was der Tag bringen wird. Sonst sind unsere Tage durchgetaktet und verplant, auf meiner Tour war ab dem Frühstück alles offen.
Es gibt auch ein paar Begegnungen, die mir in Erinnerung bleiben werden. Wenn man den Menschen erzählt, dass man von Wien nach Innsbruck radelt, sind sie sofort interessiert, man kommt schnell ins Gespräch. Am Attersee habe ich zufällig eine Schnapsbrennerei besucht, die ihre Produktion auf Desinfektionsmittel umgestellt hat. Leider waren die Flaschen zu groß, um sie mitzunehmen.
Radfahren bietet die perfekte Geschwindigkeit, gerade wenn man das Land entdecken möchte, oder wenn man – so wie ich – viele Fotos macht. Wandern ist auch nett, aber man kommt nicht wirklich voran, und mit dem Auto zieht einfach alles vorbei. Die verschiedenen Gerüche, die an diesen Landschaften haften, verpasst man im Innenraum eines Autos. Mit dem Rad hingegen ist man schnell genug, um eine ordentliche Distanz hinter sich zu bringen, aber auch langsam genug, um ausreichend Zeit zum Schauen und Entdecken zu haben. So erlebt man auch die schleichende Veränderung der Landschaft: Den Weinanbau in der Wachau, die Kartoffelfelder in Oberösterreich, später der Weizen, schließlich die Obstwiesen und Gipfel in Tirol. In Tirol war ich dann fast ein bisschen überrascht, wie sanft die Radwege verlaufen. Natürlich gibt es hier jede Menge knackige Anstiege. Aber wer darauf keine Lust hat, kann sie gut vermeiden.
Der schönste Moment der Tour? Vielleicht, als ich den Traun entlanggefahren bin und plötzlich die Tiroler Alpen am Horizont aufgetaucht sind.
Eigentlich bin ich in der Wüste von Arizona aufgewachsen, seit 30 Jahren lebe ich in Österreich. Würden sich meine amerikanischen Freunde in meiner alten Heimat auf ein Fahrrad setzen und sieben Tage in eine Richtung fahren, würde sich kaum etwas verändern. Vielleicht wären sie in New Mexico oder in Utah, aber alles sähe immer noch gleich aus. Ich bin in einem Weingebiet an einem Fluss gestartet, an Seen und Seglern vorbeigefahren, dann in die Berge – das alles habe ich innerhalb von 500 Kilometern erlebt. Dass man in einer so überschaubaren Zeit eine so abwechslungsreiche Landschaft erleben kann, ist in Amerika unvorstellbar.
Doch die größte Überraschung klingt vielleicht nach der banalsten: Man kann in Wien auf ein Fahrrad steigen – und in Innsbruck wieder absteigen. Natürlich war mir vorher schon klar, dass das möglich ist. Aber da war es noch ein abstrakter Plan. Jetzt weiß ich wirklich, dass es geht. Und ich habe mich sofort gefragt, warum ich es nicht schon viel früher probiert habe.“