Pilgern in Tirol
Das Jakobskreuz auf der Buchensteinwand begleitet Pilger auf der Strecke von Waidring nach St. Johann am Tiroler Jakobsweg ein Stück weit (c) Tirol Werbung – Jens Schwarz
Seit Menschengedenken pilgern Menschen aller Kulturkreise in die Fremde. Gründe dafür gibt und gab es viele: Reliquienverehrung, Buße, Dank, Gelöbnisse, Wunder – und die Suche nach sich selbst. Santiago, Jerusalem und Rom sind dabei die bekanntesten Pilgerziele des Christentums und haben mit allen anderen eines gemein: sie starten vor der eigenen Haustüre.
Warum pilgert man?
„Pilgern ist Beten mit den Beinen“, heißt es oft in Pilgerkreisen und was damit gemeint ist, ist schnell erklärt: Beim Gehen muss sich nicht auf die Bewegung konzentrieren, denn nach wenigen Metern machen die Beine alles von selbst und das wiederum macht Kapazitäten für andere Dinge frei – die Landschaft, die eigenen Gedanken, die innere Stimme.
Wo im Mittelalter noch gepilgert wurde, um Buße zu tun (oder einfach mal raus zu kommen), sind Pilger heute mehr auf der Suche nach sich selbst: Die heutige Zeit verlangt so viel Orientierung am Außen, dass man sich selbst völlig aus dem Blick verliert und viele Menschen nicht mal mehr ihre eigenen Werte nennen können. Manche pilgern, um für die eigene Genesung oder die eines nahen Menschen zu bitten oder zu danken. Andere wiederum möchten sich in Gottvertrauen oder Demut üben. Aus welchen Grund auch immer gepilgert wird: beim Pilgern findet jeder, was er sucht. Oder braucht.
Was ist der Unterschied vom Pilgern zum Weitwandern?
Weil sich das Pilgern und das Weitwandern augenscheinlich nur gering voneinander unterscheiden, möchte ich erstmal die beiden großen Gemeinsamkeiten festhalten:
- Bei beiden Formen bewegt man sich von A nach B und weiter nach C, wohingegen es beim Bergwandern ja wieder nach A zurückgeht. Kein großer Unterschied? Doch! Denn es ist eine ganz andere Form des Vorankommens, wenn man nicht wieder zurück, sondern immer weiter geht. Und ein großartiges Gefühl.
- Weitwanderwege und Pilgerwege verlaufen sowohl in tendentiell eher flachen Tälern als auch in der Höhe. So führt der Jakobsweg in Tirol innaufwärts und mit mäßiger Steigung weitgehend durch das Inntal, der Weitwanderweg Lechweg verläuft entlang des Lechs flussabwärts nur unwesentlich oberhalb der Talsohle. Große Steigungen werden bei beiden möglichst vermieden. Adlerweg und – beispielsweise – die Pilgerwege „Hoch & Heilig“ und „Romediusweg“ verlaufen dagegen im alpinen Gelände und erfordern entsprechende Erfahrung und Ausrüstung.
Am Maiensee kurz vor St. Christoph kommen Pilgerweg und alpiner Weitwanderweg (Adlerweg) zusammen. Hier ist auch der höchste Punkt des gesamten Jakobswegs erreicht. (c) TVB St. Anton
Und die Unterschiede?
- Der größte Unterschied zwischen Pilgern und Weitwandern ist die Intention. Während beim Weitwandern der sportliche Aspekt und die schöne Natur im Vordergrund stehen, pilgern Menschen aus Gründen, die dem religiösen oder spirituellen Bereich zugeordnet werden. So gesehen kann man also auf einem Weitwanderweg pilgern und auf einem Pilgerweg weitwandern.
- Während viele Weitwanderwege in ihrer Streckenführung so gelegt sind, dass sie in einem etwas ausgedehnten Urlaub bewältigt werden können, sind die Ziele der Pilgerwege oft viele Tausend Kilometer entfernt.
- Deshalb wird beim Pilgern schon mal der kürzere oder weniger anspruchsvolle Weg gewählt, während bei Weitwanderungen primäres Augenmerk auf der schönsten Strecke liegt. (Was selbstverständlich nicht heißt, dass Pilgerwege prinzipiell weniger schön sind – Industrieviertel, stark befahrene Straßen etc. werden auch hier umgangen).
- Ein letzter – ganz wesentlicher Unterschied – ist für mich darüber hinaus auch die Unterkunftssuche: auf Weitwanderwegen sind die Etappen so eingeteilt, dass sie jeweils bei einer Unterkunft enden (meistens einer Berghütte), die im Übrigen auch lang im Voraus buchbar ist. Beim Pilgern hingegen sind die Etappen prinzipiell flexibel, die Unterkünfte damit auch weniger planbar und so weiß man oft nicht, wo man denn am Abend schlafen wird. Meister, wer mit dieser Situation entspannt umgehen kann und darauf vertraut, dass sich schon alles fügen wird.
Was kann man vom Pilgern in Tirol erwarten?
Am Jakobsweg Tirol zwischen St. Johann und Going
Wer in Tirol pilgert, darf sich auch wenig überlaufene Pfade und viel Zeit für und mit sich selbst freuen. Im Vergleich zum spanischen Jakobsweg ist der Tiroler Abschnitt wenig bekannt, was das Pilgern hier für mich ganz ursprünglich macht. Wo in Spanien Pilger zur Tagesordnung gehören, sind sie in Tirol so selten gesehen, dass man als Pilger schon mal zu Kaffee und Kuchen bei völlig Fremden oder gar zu Übernachtungen eingeladen wird. In jedem Fall aber bieten sich zahlreiche Gelegenheiten, mit Spaziergängern, Wirten oder Anrainern entlang des Pilgerwegs in ein kurzes (oder auch längeres) Gespräch zu kommen.
Die geringe Anzahl an Pilgern in Tirol hat noch einen weiteren Vorteil: es gibt kaum Konkurrenz um die vorhandenen Betten in den Herbergen bzw. anderen Unterkünften, was den Weg (und vor allem den Start in der Früh) nicht nur stressfreier macht, sondern auch dem eigenen Schlafbedürfnis entgegenkommt (-> um 4 Uhr in der Früh wird man bestimmt nicht durch lautes Rucksackpacken geweckt). Allerdings gibt es auch weniger offizielle Pilgerherbergen, dafür aber viele Unterkünfte, die Pilgerrabatte gewähren.
Nicht unwesentlich für Pilger dürfte außerdem die Tatsache sein, dass entlang der Pilgerwege in Tirol in praktisch jedem Ort (und manchmal auch dazwischen) ein Dorfbrunnen mit Trinkwasser steht. Darüber hinaus ist auch die Infrastruktur sehr gut ausgebaut, und es gibt zahlreiche Gelegenheiten, sich entlang des Weges mit Lebensmitteln auszustatten oder einfach einzukehren.
In Tirol gibt es sowohl im Tal als auch am Berg zahlreiche Trinkwasserbrunnen (wie hier in Unterperfuss), die nicht nur bestes Quellwasser sondern auch eine wohltuende Abkühlung für müde Pilgerfüße versprechen. (c) TVB Innsbruck – Christof Lackner
Welche Pilgerwege gibt es in Tirol?
Der Jakobsweg
Zwischen St. Johann und Going
Der derzeit berühmteste aller Pilgerwege führt natürlich auch durch Tirol. Der Tiroler Jakobsweg (oder auch Via Tirolensis) führt von Strub/Waidring durch das Inntal bis nach St. Christoph und von dort weiter über Vorarlberg in die Schweiz, wo in Maria Einsiedeln ein beliebtes Zwischenziel liegt. Zahlreiche Orte und Kirchen entlang der Strecke sind dem Heiligen Jakob gewidmet und bezeugen, dass bereits im Mittelalter Pilger auf dem Weg nach Santiago den Weg durch das Inntal gewählt haben.
View this post on Instagram pilgern verleiht flügel und wurzeln zugleich. jeder schritt sorgt für noch mehr verankerung. insofern scheint das pilgern womöglich doch ein religiöser akt zu sein?! weil religare bedeutet "wieder verbinden dessen, was getrennt war“. man tritt in kontakt mit seiner inneren haltung, in der eine große offenheit und achtsamkeit besteht. es wird wieder etwas verbunden, was getrennt war. gleichzeitig hat mich diese verbundenheit durch das pilgern wiederum beflügelt (ohne energy drink versteht sich), leichtigkeit eingeflößt, die einen förmlich fliegen lässt. – also ist dies alles eine lüge… ich gehe keine 3000km. ich fliege 3000km! ? #redbull #sommer #lovetirol #pilgern #pilgrimage #religion #visittirol #neuehorizonte A post shared by Ernst Merkinger (@ernstjetzt) on Jul 7, 2017 at 10:22pm PDT
Wegbeschaffenheit
Die Strecke des Tiroler Jakobswegs verläuft meist auf Forst- und Asphaltstraßen sowie Waldwegen – stellenweise muss man auch mit Karrenwegen rechnen, sollte aber – bei guter Trittsicherheit und Kondition – gut mit Trekkingschuhen vorankommen. Der Weg verläuft meist recht eben, etappenweise sind aber auch größere Steigungen und nicht zuletzt auch der Arlbergpass (über die Rosannaschlucht und Maienseen) zu bewältigen – wird dafür aber mit einer großartigen Aussicht belohnt. Übrigens: wer den Arlbergpass erreicht hat, steht damit am höchsten Punkt des gesamten Jakobsweges!
Fakten zum Jakobsweg Tirol:
Länge: 270 Kilometer
Etappen: individuell einteilbar, empfohlen werden 11-13 Etappen
Weitere Infos: www.tirol.at
Der Romediusweg
Der erst 2014 ins Leben gerufene Romediusweg führt auf alten Pfaden vom Romedikirchlein in Thaur bis zum Wallfahrtsort San Romedi im Trentino. Den Spuren des mittelalterlichen Pilgers, Volksheiligen und Einsiedlers Romedius folgend, finden heutige Pilger unterwegs Wallfahrtsstätten wie Maria Waldrast, Marterln und Bildstöcke, die inmitten von wunderschönen Landschaften zur Momenten der Besinnung und des inneren Friedens einladen.
Wegbeschaffenheit
Die Etappen am Romediusweg sind so gelegt, dass am Ende jeden Tages in einem gemütlichen Gasthof im Tal übernachtet werden kann – vorher überschreiten Pilger aber Pässe, Jöcher und Grenzen! Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und alpine Erfahrung sind daher genauso notwendig wie alpine Ausrüstung. Mit seinen knapp 10.000 zu überwindenden Höhenmetern ist der Romediusweg darüber hinaus auch sehr anspruchsvoll und erfordert von jedem eine gute Kondition. Wer sich aber den Romediusweg zutrauen kann, darf sich auf einen Pilgerweg der ganz besonderen Art freuen: Weitblick, Grenzüberschreitungen und fabelhafte Aussichten inklusive.
Hoch und Heilig in Osttirol
Der alpine Bergpilgerweg Hoch & Heilig führt vom Osttiroler Lavant über Innichen in Südtirol bis nach Heiligenblut in Kärnten. Die Strecke folgt alten Pilgerpfaden und führt zu Wallfahrtsstätten, Kapellen und Kraftplätzen in der Natur. Jede der neun Etappen steht unter einem eigenen Motto, zu welchem es jeweils auch begleitende Geschichten, Denkanstöße und Übungen gibt. Am Ende jeder Etappe finden Pilger eine Pilgerbox mit dem Stempel für den Pilgerpass und einem Segensband. Die Segensbänder haben jeweils die Farbe der jeweiligen Etappe und bilden zusammen einen Pilgerregenbogen.
Wegbeschaffenheit
Die Etappen des Hoch & Heiligwegs sind so konzipiert, dass bei jeder Etappe der Ein- bzw. Ausstieg möglich ist und sich Pilger gegebenenfalls auch ihren persönlichen Weg zusammenstellen können. Asphaltstraßen werden wenn möglich vermieden. Mit seinen 13.000 zu bewältigenden Höhenmetern im Aufstieg und den vier Bergübergängen gilt der Pilgerweg als insgesamt anspruchsvoll: gute Kondition, Bergerfahrung und entsprechende Ausrüstung dürfen keinesfalls fehlen! Wer sich ganz sicher sein mag, kann für den Hoch & Heilig speziell ausgebildete Pilgerführer buchen – für den ganzen Weg, aber auch für einzelne Etappen.
Wallfahrten
Zu guter Letzt möchte ich noch kurz auf Wallfahrten eingehen. Diese gelten ja gemeinhin als die kleine Schwester der Pilgerreise und erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. In Tirol finden sich hauptsächlich Marienwallfahrtsziele, die auf Marienerscheinungen zurückgehen. Die bekanntesten Ziele in Tirol sind: Maria Waldrast, Maria Brettfall, Maria Stein, Maria Klobenstein und Maria Locherboden. Ein ebenfalls beliebtes Wallfahrtsziel in Tirol ist der Georgenberg bei Vomp, der im Übrigen über den Jakobsweg als auch über die spannende Wolfsklamm zu erreichen ist und zu dem regelmäßig auch organisierte Wallfahrten führen. Und weil wir schon beim Thema sind: mein Kollege Jannis hat in seinem Blogbeitrag eine Liste mit 15 außergewöhnlichen Kapellen in Tirol veröffentlicht.
Bildnachweise
Jakobsweg: Verein Regionalmanagement regio³
Romediusweg: Hans Staud
Hoch & Heilig: Martin Schönegger
Wallfahrten: Tirol Werbung – Bernhard Aichner