Gehen Sie mit Tirols Bergen auf Tuchfühlung: In zahlreichen Klettergärten…
Aufstehen
Eines vorweg: Es gibt Menschen, die stehen jeden Morgen ganz selbstverständlich auf, weil sie zur Arbeit oder in die Schule müssen. Es gibt aber auch Menschen, die einfach liegen bleiben, weil sie nicht aufstehen wollen. Und dann gibt es Menschen, die jeden Tag nach dem Motto aufstehen (müssen): „Je steiniger der Weg, desto wertvoller das Ziel.“
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht rollt uns Jasmin entgegen. Neben ihr, kaum von ihrer Seite weichend, Chiara. Der Husky-Schäfer-Mischling ist ihr vierbeiniger Begleiter oder, wie Jasmin zu sagen pflegt, ihr Seelenhund. Das breite Grinsen der 33-Jährigen gilt wohl eher der Kletterhalle als unserem Kamerateam. Obwohl, ein bisschen öffentliche Aufmerksamkeit könnte dem Paraclimbing-Team nicht schaden. „Wir sind der Randsport vom Randsport“, bringt es Jasmin auf den Punkt und heißt uns im Kletterzentrum Innsbruck Willkommen.
Die Hallerin gehört zu den besten Para-Kletterinnen der Welt. Ihr Handicap nennt sich beinbetonte spastische Tetraparese. Eine Erkrankung, die sich in Schüben meldet. Wenn das passiert, spielen Jasmins Nerven verrückt. „Dann machen sie einen auf ADHS“, beschreibt es Jasmin mit einem Augenzwinkern. Für uns Laien erklärt, äußert sich ihre Erkrankung in starken Spastiken, wodurch sich ihr gesamter Körper und vor allem ihre Gliedmaßen verkrampfen. An solchen Tagen, die zudem mit starken Schmerzen verbunden sind, fällt das Aufstehen besonders schwer. Es sind jene Tage, an denen die sonst so starke Kämpferin mit ihrem Schicksal hadert.
Hündin Chiara weicht Jasmin nicht von der Seite.
Klettern, meine persönliche Kopf-Freizeit
2016, nach einem weiteren starken Schub und dem damit verbundenen Reha-Aufenthalt, findet Jasmin zum Klettersport. Es ist ein Neustart, der Beginn einer Leidenschaft und der Anfang einer Spitzensport-Karriere. Das Paraclimbing-Team befand sich damals gerade im Aufbau. Heute ist Jasmin eine wichtige Stütze innerhalb der Mannschaft – nicht nur menschlich, auch sportlich. 2018 erreicht sie bei der Heim-Weltmeisterschaft in Innsbruck den 5. Platz. Für Trainer Lukas Knapp gehört Jasmin aktuell zu den Top-3 ihrer Kategorie weltweit.
Der Wettkampf ist aber nur eine von vielen Facetten. Für Jasmin ist das Klettern ihre persönliche Kopf-Freizeit. In der Wand gibt es weder Sorgen oder Ängste noch Kummer. Da zählt nur das Hier und Jetzt. „Dieser mentale Teil ist das Wichtigste für mich. Nebenbei lerne ich durch den Sport meinen Körper besser kennen, das hilft mir in meiner Therapie enorm weiter,“ erklärt Jasmin.
Beim Klettern zählt für Jasmin nur das Hier und Jetzt.
Immer wieder aufstehen
Im Herbst 2018, just nach ihrem Erfolg bei der Heim-WM, erfüllt sich Jasmin ihren Traum einer Mehrseillängen-Tour in den Dolomiten. Dieses Erlebnis sollte jedoch kein Happy End für sie bereithalten. Jasmin verletzt sich beim Abstieg durch einen Steinschlag an der Hand und am Ellbogen. Der Unfall löst einen weiteren Schub aus, Jasmin wird in Folge viermal operiert. Sie landet im Rollstuhl. Doch es wäre nicht Jasmin, würde sie nicht ein weiteres Mal aufstehen. „Viele meiner Freunde und Bekannten dachten, ich würde nie wieder klettern. Das hat mich motiviert. Eine Woche nach meiner Rückkehr aus der Klinik war ich wieder in der Kletterhalle.“
Heute ist es eine 7a+, die Jasmin zum ersten Mal durchsteigt. Eine Route, die sie eigentlich gar nicht mag, weil sie ihre Beine an die Belastungsgrenze bringt. Durch die mangelnde neuronale Ansteuerung kann Jasmin ihre Muskulatur der unteren Extremitäten nur bedingt einsetzen. Routen mit komplexen Zügen, wo vermehrt die Beinmuskulatur zum Tragen kommt, stellen für Jasmin eine zusätzliche Herausforderung dar. Heute scheint sie das Kamerateam zu beflügeln. Chiara indessen lässt der Durchstieg unbeeindruckt. Erst als Jasmin mit einem Leckerli zum Heimgehen auffordert, wird die Hündin aufmerksam und folgt Jasmin zum Parkplatz. „Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen“, prangt groß am Heck von Jasmins Fahrzeug. Den Spruch fest im Blick folgen wir ihr nach Hause.
Von guten Feen und Geistern umgeben
Zuhause ist Jasmin gerne umgeben von guten Geistern und positiven Energien.
Wenige Minuten später empfangen uns rund 50 Feen, 30 Schutzengel und 1 Einhorn. In ihrem Zuhause ist Jasmin gerne umgeben von guten Geistern und positiven Energien. „Ja, ich bin ein bisschen spirituell angehaucht“, gesteht Jasmin und fügt hinzu: „Ich bin mir sicher, dass ich eine alte Seele bin. Ich denke, ich brauche dieses schwierige Leben, um mich weiterzuentwickeln.“
Was uns beeindruckt: Jasmin spricht die Dinge offen an. Sie teilt ihre Geschichte, um anderen Mut zu machen. Ihre Oma starb, als sie noch ein kleines Mädchen war, bei ihrem Vater erfolgte kurz darauf die Diagnose Krebs. Den Kämpfergeist hat sie von ihm geerbt. „Er hat nie aufgegeben. Das habe ich mir zum Vorbild gemacht.“
Jasmin hat gelernt, im Hier und Jetzt zu leben. Was morgen kommt, sei unwichtig, morgen könne es schlechter sein. Auf die Frage, was für sie Einschränkung bedeute, antwortet sie nur: „Einschränkungen entstehen im Kopf. Die macht sich jeder Mensch selbst.“
Wenn man mit Menschen, wie mit Jasmin Plank spricht, ist es hilfreich, die eigenen Barrieren im Kopf beiseitezulegen. Aufstehen kann vieles bedeuten. Menschen wie Jasmin zeigen uns auf unverblümte Weise, dass vieles im Leben relativ ist. Gleichzeitig machen sie uns Mut, aufzustehen und aufrecht durchs Leben zu gehen, egal ob mit oder ohne Rollstuhl. Ihr Leben will sie dennoch kein zweites Mal. Das muss sie auch nicht. „Im nächsten Leben werde ich ein Einhorn“, weiß Jasmin. Wenn man sich mit der Symbolik des Einhorns beschäftigt, so verwundert einen das nicht, denn das Einhorn steht dafür, sich selbst treu zu bleiben und sich aus allen Zwängen zu befreien, es ist ein Symbol für Heilung und das Gute in der Welt, ein Symbol, das zweifelsohne zu Jasmin passt.
Jasmin mit ihrer treuen Begleiterin Chiara.
Jasmin Planks Erfolgsbilanz
Zu den herausragenden Erfolgen in der faszinierenden Geschichte von Jasmin Plank, die 2021 und 2023 mit dem Viktor als Tiroler Behindertensportlerin des Jahres ausgezeichnet worden ist, zählen mittlerweile vier Worldcup-Siege (Los Angeles 2021, Salt Lake City, Innsbruck, Villars 2022), sowie die ersten Plätze im Masters von Imst (2018/2022/2023) und natürlich auch der jeweils fünfte Rang bei den Weltmeisterschaften von Innsbruck (2018) und Moskau (2019).
Alle Erfolge im Überblick
Ergebnisse 2017
Paraclimbing Masters in Imst: 2.place (RP3)
Paraclimbing WC Edinburgh: 5.place (RP3)
Paraclimbing WC Sheffield: 3.place (RP3)
Ergebnisse 2018
Masters in Imst: 1. Platz (RP2)
Paraclimbing Cup Briacon: 5.Platz (RP2)
World Championship Innsbruck/Tirol: 5.Platz (RP2)
Ergebnisse 2019
Masters Imst: 4. Platz
Ergebnisse 2021
Worldcup Innsbruck : 4.Platz (RP3)
Worldcup Briaćon: 2. Platz (RP2)
Worldchampionship Moskau: 5. Platz
(RP2)
Worldcup Los Angeles: 1. Platz (RP2)
Ergebnisse 2022
Worldcup Salt Lake City: 1.Platz (RP1)
Worldcup Innsbruck: 1. Platz (RP1)
Masters Imst: 1. Platz (RP1)
Worldcup Villars: 1. Platz (RP1)
Ergebnisse 2023
2. Platz WC Salt Lake City (RP1)
1. Platz Masters Imst (RP1)
2. Platz WC Innsbruck (RP2)
8. Platz WC Villars (Rp3)