Es geht bergauf beim Nordic Team Tirol – in jedem Sinn
„Jetzt sind wir hier mitten im frischen Powder und stehen auf unseren Spaghetti!“ Was Laura ausspricht, hat wohl jeder von uns im Kopf. Zu verlockend schauen die frisch eingeschneiten Hänge um Galtür aus. Trainer Raphi tut mal so, als hätte er diesen kleinen Seitenhieb auf unsere für den alpinen Skifahrer noch immer ungewohnt schmalen Bretter nicht gehört: „Auf geht’s Leute! Champagne Powder! Genau die richtigen Bedingungen für uns.“ Und so startet das Nordic Team Tirol sein drittes Wochenende sportlich mit einer kleinen Nachteinheit auf und vor allem neben der Loipe.
Nächtliche Trainingseinheit neben der Loipe.
Gewöhnen an das Arbeitsgerät, nennt das der Profi. Wie wir im Tiefschnee auf unseren Langlaufski Fangen spielen, wie wir das eine um das andere Mal wahlweise mit Gesicht oder Hintern im Schnee landen, weil der Versuch einer schnellen Drehung im Wegrennen scheitert – ob das auch von außen betrachtet professionell anmutet, das sei mal dahingestellt. Wer ist als nächstes dran mit dem Fangen? „Du, Schreiberling!“, ruft Steve. Schreiberling, das bin dann wohl ich. Wie bei Braveheart renne ich alleine auf eine Wand von hochmotivierten Langlaufski-Tiefschnee-Stolperern zu. Es gelingt mir, Marlene zu erwischen, danach Christian und Laura. Irgendwann sind nur noch unsere beiden Trainer Raphi und Steve auf der Flucht. Und wie. Selbst zu siebt haben wir keine Chance. Die beiden bewegen sich wie Springböcke im Schnee. Beeindruckend.
Wie bei Braveheart renne ich alleine auf eine Wand von hochmotivierten Langlaufski-Tiefschnee-Stolperern zu.
Bei mir sieht es wohl eher nach frischgeborenem Giraffenbaby aus. Eine Mordsgaudi haben wir außerdem beim einbeinigen – oder besser gesagt: einskiigen –Fußballspiel im Tiefschnee. Und ein paar blaue Flecken am Schienbein gibt es obendrein kostenlos dazu. Aber wo gehobelt wird, da fallen bekanntlich Späne. Und wo Newbies zu Langlaufprofis werden wollen, da fallen ganze Menschen. Doch um das vorweg zu nehmen: Bis heute hat sich niemand von uns verletzt oder einen größeren Crash auf seinen „Spaghetti“ gebaut. Zurück ins Hotel. So viel Spaß unsere nächtliche Trainingseinheit auch macht, minus 17 Grad sind nicht gerade unsere optimale Betriebstemperatur.
Kopf und Körper – nicht immer eine Einheit
An Tag zwei ist es nur unwesentlich wärmer. Sofern man überhaupt von warm sprechen kann. Aber unser Trainerteam hat wie immer kein Erbarmen. „Das wird richtig gut heute“, sagt Urban. Und er soll Recht behalten. Auch wenn es sich auf den ersten Kilometern noch gar nicht danach anfühlt.
Keine Stop-And-Go-Übungen, sondern einfach nur Langlaufen steht heute auf dem Programm. Kilometer machen. Seinen Rhythmus finden. Und so geht es los von Galtür aus auf die Zeinisloipe. Die Dreitausender der Silvretta dabei immer als beeindruckendes Panorama im Hintergrund. Zumindest wenn man Zeit hat, darauf zu achten, denn noch konzentriere ich mich ausschließlich auf mich. Es gibt so einiges, was ich gerne verbessern möchte: Die Skier eng nebeneinander aufsetzen und nicht zu breitbeinig laufen. Lange Gleitphasen ermöglichen und nicht zu schnelle, kurze Schritte machen. Mit den Beinen immer effizient zur Seite und nicht nach hinten abstoßen, sonst verliere ich unnötig Kraft. Und zu guter Letzt: der richtige Stockeinsatz. Die Loipe ist an diesem Morgen eher langsam, das macht es schwieriger. Manchmal wage ich einen neidischen Blick nach vorne, wo Christian und Fabian wie ein Uhrwerk bereits ihren Rhythmus gefunden haben. Von so etwas wie Rhythmus bin ich jedoch noch weit entfernt. Nun ja, kenne ich schon vom Tanzen.
Manchmal wage ich einen neidischen Blick nach vorne, wo Christian und Fabian bereits ihren Rhythmus gefunden haben.
Es ärgert mich, in der Theorie ganz genau zu wissen, was ich verbessern möchte, es aber nicht auf meine Bewegungen übertragen zu können. „Des kimmt scho“, beruhigt Raphi. Was stattdessen kommt, sind die ersten Ermüdungserscheinungen. Denn es geht aufwärts – also mit der Loipe. Mal steiler, mal kaum spürbar, aber doch: ein steter Anstieg. Jetzt rächt sich, dass ich in den letzten Wochen kaum Zeit hatte, mich an meinen Trainingsplan zu halten. Jeder spricht über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber wer spricht über die Vereinbarkeit von Beruf und Langlauftraining? Ich denke nur noch darüber nach, wann wir es wohl geschafft haben werden, und vergesse dabei völlig, mich auf meine Skier zu konzentrieren. Und plötzlich ist er da: der Rhythmus. Die Bewegungen sind flüssig, ich merke, dass ich viel weniger Kraft für jeden Schritt brauche als noch vor einer halben Stunde. Ein tolles Gefühl! Ich bin so glücklich über den Flow, dass ich mit meinem Ski neben der Loipe in den Tiefschnee stochere und mich gerade noch mit einer Charlie-Chaplin-Slapstick-Einlage fangen kann.
Nach einer kurzen Rast im „Weiberhimml“ geht es weiter auf der Hochloipe. „All smiles and happy faces“, ruft Meike. In der Tat. Jeder von uns hat ein Lachen auf dem Gesicht. Es läuft nämlich. Pausen lege ich nur ein, um mit Christian ein paar Fotos zu machen. Zu schön sind das Wetter und das Panorama – das muss man ausnutzen. Und nach etwa 25 Minuten taucht es plötzlich vor uns auf, das Schild: Vorarlberg. Wir sind tatsächlich an die Grenzen des Paznaun bis nach Vorarlberg gelaufen. 10 Kilometer vom Hotel aus. Fast 400 Höhenmeter. Und das an unserem dritten Wochenende. Ich bin ein bisschen stolz. Auf mich, auf uns. Die Trainer ebenfalls. Das sieht man.
Was für ein Panorama: Für diesen Ausblick haben sich alle Mühen gelohnt.
Einmal Wellenpiste und Sprungschanze, bitte
Bergab geht es wesentlich entspannter. Und schneller. Bis wir uns entscheiden, die rote Piste mit unseren Langlaufskiern abzufahren. Nach etwa einem Drittel der Strecke brechen alle das Vorhaben ab. Alle? Nein! Kaddi und Fabian stürzen sich wagemutig die Piste hinab. „Seid’s ihr verrückt?“, denke ich und schaue ihnen hinterher, wie sie bergab davonwedeln. Wir anderen bekommen Privattaxen – in Form von Schneemobilen. Da wollte ich ohnehin schon immer mal mitfahren.
Das Wetter spielt auch bei unserem Probelauf für den Hindernisparcours mit.
Unten wartet der Urbanisator – Urban Lentsch – auf uns. Mit einem süffisanten Grinsen und einem Hindernisparcours. „Strengt’s eich an! Es gibt an ganz an netten Preis“, sagt er. Folgendes gilt es zu meistern: Sprint den Hügel hinauf, Slalom-Abfahrt, rückwärtslaufen, seitlicher Sprint bergauf, Wellenpiste, nochmal den Hügel hinauf und dann mit Volldampf über die kleine Schanze. Ich erhalte eine Lektion in Demut, Fabian nach einem packenden Kopf-an-Kopf-Finale gegen Christian den Tagespreis. Und der kann sich mehr als sehen lassen. Zwei Nächte für zwei Personen im 4-Sterne-Hotel in Galtür zum Nordic Night Race Galtür – eine hochkarätige Skating-Sprint-Veranstaltung mitten im Ort und gleichzeitig ein Riesenspaß. Klar, dass Fabi auch einen Startplatz zu seiner Übernachtung dazu bekommt. Ich gönne ihm das Wochenende, denn immerhin weiß ich: Selbst ohne meine drei Stürze bei der Slalom-Abfahrt hätte ich Mr. Marathon wohl kaum das Wasser reichen können.
Fazit des Tages: Mit unseren Skills geht es vielleicht nicht ganz so steil aber doch ebenso kontinuierlich bergauf wie mit der Loipe. Anders ausgedrückt: Jeder Schritt ist ein Fortschritt. Das tut gut. Ganz besonders mit Blick auf diesen immer näherkommenden mentalen Schneesturm namens Koasalauf. Auf Talfahrt befindet sich gerade bei den entspannten abendlichen Runden lediglich unser Niveau. Also im positiven Sinne. Da wird gelacht, gewitzelt und gefrotzelt. Jedes Wochenende bin ich wieder aufs Neue überrascht, wie gut wir uns als bunt zusammengewürfeltes Team mit einem maximalen Altersunterschied von zwanzig Jahren verstehen. Langlauf als verbindendes Element.
Der Wachslkoffer des Urbanisators
Schon fast so legendär wie der Koasalauf selbst ist beim Nordic Team Tirol Urbans Wachslkoffer. Und am Abend kommt er erstmals zum Einsatz. „So wie er hier steht, kostet er einige Tausend Euro“, erklärt Raphi. Und dann wird gewachselt. Erst Wachs mit einem bügeleisenähnlichen Wachsleisen gleichmäßig auftragen, dann Kanten, Spurrille und Fläche abziehen und anschließend sorgfältig ausbürsten. Je nach den Tagesverhältnissen (Nassschnee, Neuschnee, Sonne, Regen, trockene Luft, feuchte Luft …) wählt der Profi sein Wachs und testet dieses vor jedem Rennen.
Das Wachsln macht überraschend viel Spaß, außerdem, so denke ich mir, schadet es sicherlich nicht, mich mit meinem Ski etwas intensiver zu beschäftigen. „In den Dialog treten“, wie der Bildhauer das nennt, wenn er an seinem Stein rumklopft.
Käse, Käse und noch mehr Käse. Und Schnaps.
Aber was wäre ein Tirol-Wochenende ohne spannende Erlebnisse neben der Loipe? Wir besuchen die Hofkäserei von Senner, Koch und Hotelier Hermann Huber. Zwischen Almkäse, Bergkäse, Weichkäse, Trüffelkäse oder KuZi-Käse (Kuh-Ziege) erzählt Hermann von den Besonderheiten und Schwierigkeiten des Senner-Handwerks. Schon geringe Mengen an Keimen können den Prozess negativ beeinflussen und hunderte Kilo an Käse vernichten. Dreißig Tonnen Käse entstehen mittlerweile jährlich in der Hofkäserei Huber. Viele seiner Sorten haben Preise gewonnen, ein hochkarätiges Lokal im Paznaun ohne Huber-Käse ist kaum vorstellbar. Ebenso wie die Tatsache, dass der beißende Ammoniak-Geruch in der Reifekammer mit den zwanzig Kilo schweren Käselaiben später zum guten Bergkäse-Aroma wird. Was man mit dem Käse in der Küche alles anstellen kann, zeigt Hermann Huber in den heiligen Hallen seines Restaurants Almhof. Dort lernen wir, die perfekten Kaspressknödel herzustellen. Außerdem im Programm: Karamellisierter Ziegenkäse mit Almblütensalat.
Ein Besuch in der Sennerei: Hermann Huber spricht über die Herstellung von Käse in seiner Hofkäserei.
Hier Lagern die Bergkäse-Laibe für mehrere Monate – oder gar drei Jahre. Dreißig Tonnen Käse stellt Hermann Huber jährlich her.
Das kulinarische Käse-Highlight steht jedoch abends an. Fondue-Time! Klassisch und Käse. Hatten wir in Obertilliach noch Tech Porn mit unseren Fischer-Skiern, steht diesmal Food Porn auf dem Plan. Unterschiedliches Fleisch für das klassische Fondue, Apfel im Speckmantel, frische Brotwürfel, Essiggurken, Ofenkartoffeln und gefühlt noch hundert weitere Schüsseln. Der Tisch im Almhof von Hermann Huber ist komplett voll – mein Magen am Ende ebenfalls. Gut, dass wir das Käse-Fondue nach olympischem Reglement essen: Für jedes verlorene Stück im Käsetopf ein Schnaps. Willi und Marille werden das Völlegefühl schon wieder richten.
Von Galtür nach Ischgl – auf der Loipe
Am letzten Tag geht es nochmal um Kilometer und einen motivierenden Abschluss. Perfekte Bedingungen auf der Loipe von Galtür nach Ischgl. Und wieder: All smiles and happy faces. Durch traumhafte Landschaften, direkt am Flussbett entlang geht es geschmeidig gen Ischgl. Stock–Schritt–Stock–Schritt–Stock–Schritt. Der Rhythmus ist sofort da. Der Kopf spielt mit, der Körper auch. Was für ein Abschluss. Widerwillig lege ich meine Skier in den Kofferraum. Eigentlich wäre ich lieber noch weitergelaufen. Die Trainer haben mal wieder nicht nur sportlich, sondern auch psychologisch alles richtig gemacht. Chapeau, liebe Trainer. Und Chapeau, liebes Nordic Team Tirol – vielleicht wird’s ja doch was mit unserem Koasalauf.
Nächste Station: Tannheimer Tal. Dort werden wir vom 25. bis zum 27. Jänner unsere Spuren auf den Loipen hinterlassen und hoffnungsvollerweise unsere Technik perfektionieren. Oder sagen wir lieber: verbessern. Zudem nehmen wir dort am SKI-TRAIL Langlauf-Marathon statt. Skating über 36 Kilometer. Die eisige Feuerprobe für den Koasalauf. Angst? Aufregung? Vorfreude? Von allem etwas.