"Es wird schwer"
Anna van der Breggen, Vizeweltmeisterin im Einzelzeitfahren und Olympiasiegerin im Straßenrennen aus den Niederlanden, inspizierte während eines Trainingslagers in Kühtai auch die WM-Strecken in Innsbruck. Ihr Fazit bei einem Gespräch auf der Innsbrucker Seegrube: Es wird zwar hart, aber im Normalfall liegen ihr die Rennen hier.
Anna, wir befinden uns hier auf der Seegrube oberhalb von Innsbruck und überblicken Abschnitte der WM-Strecken. Man sieht die Bergiselschanze und andere Innsbrucker Wahrzeichen, die man auch bei den Rennen in September passieren wird. Was war dein erster Eindruck beim Training auf den Straßen? Anna van der Breggen: Oh, das ist schnell gesagt: Es ist sehr steil hier. (lacht) In anderen Ländern haben wir vielleicht mehr Anstiege, aber hier in Tirol sind sie wirklich sehr steil. Es ist von Vorteil, wenn man gute Beine hat. Man kann auch sehr gut für Bergfahrten trainieren. Aber wenn man sich nicht fit fühlt, ist es echt hart, hier zu fahren.
Hast du das Gefühl, dass dir die Streckenführung bei der UCI Rad-WM im Herbst entgegenkommt? Ja, ich bin eine gute Kletterin, und die Strecke hat definitiv viele Anstiege. Es wird zwar echt hart, aber im Normalfall sollten mir die Rennen hier liegen.
Du bist Goldmedaillengewinnerin und Olympiasiegerin, hast letztes Jahr zwei Silbermedaillen bei der WM in Bergen gewonnen. Fehlt eigentlich nur noch das Regenbogentrikot, oder? Was ist deine Strategie für September? September ist noch immer weit weg. (lacht) Ich mag die Strecken wirklich, aber die Weltmeisterschaften sind jedes Jahr aufs Neue etwas Besonderes und schwer zu meistern. Es ist das große Ziel vieler Athletinnen und sie sind sehr fokussiert darauf. Zudem ist es anders als bei normalen Rennen, weil man nicht mit seinem Team, sondern für sein Land fährt: Du hast Teamkolleginnen, die normalerweise nicht in deiner Mannschaft sind, und das macht es sehr speziell. Ich weiß, dass es schwer wird zu gewinnen und Weltmeisterin zu werden. Ich kann nur mein Bestes geben und hoffen, dass es dieses Mal reicht. In den letzten Jahren war es nicht genug, ich wurde oft Zweite.
Die niederländische Profi-Rennradfahrerin Anna van der Breggen auf der Nordkette. © Klaus Kranebitter
Welche Strecken bevorzugst du generell – hügelige oder flache? Mir gefallen hügelige Strecken, die harten Rennen. Ich mag es nicht unbedingt zu warten. Wenn du in einer Frontgruppe bist, musst du natürlich einige Dinge mit deinem Team versuchen und taktieren. Aber ich bevorzuge jene Rennen, bei denen es am Ende noch einmal richtig zur Sache geht – wenn alle schon fix und fertig sind und dann noch ein schwieriger Anstieg kommt. Ich mag Abwechslung und verschiedene Disziplinen, dadurch kann ich mir unterschiedliche Ziele für die Saison setzen. Das sorgt dafür, dass ich motiviert bleibe.
Der Rennradsport ist traditionell ein von Männern dominierter Sport. Hast du den Eindruck, dass sich das ändert? Ja, ein bisschen. Wir bekommen mehr und mehr gute Rennen, aber letztendlich gibt es noch immer einen großen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Zum Beispiel sind die Teams unterschiedlich: Es gibt weniger Frauen, die Rad fahren, dadurch ist das Fahrerfeld kleiner. Zudem fahren bei den Damenrennen nicht nur Profifahrerinnen. Dadurch variiert das Niveau, während bei den Herren nur Profis mitfahren. Ich glaube, wir brauchen mehr Frauen auf dem Rad. Wir müssen den Sport populärer machen und zeigen, dass Rennradfahren auch für Frauen geeignet ist.
Versuchst du, andere Frauen zum Rennradfahren zu motivieren? Ich hoffe, wir Fahrerinnen tun das alle zusammen mit unseren Rennen. Es ist erfreulich und ein wichtiger Schritt, dass mehr und mehr Rennen im Fernsehen gezeigt und auch in verschiedene Länder übertragen werden. Wenn Zuschauerinnen unsere Rennen sehen, bekommen sie vielleicht Lust, es selbst mal zu versuchen.
Glaubst du, dass größere Präsenz im Fernsehen dazu beitragen kann, mehr Frauen in den Radsport zu bringen? Ja, das ist das Wichtigste, denn davon hängen viele Dinge ab. Natürlich braucht man auch Sponsoren, um größere Teams aufzustellen und folglich mehr Frauen in die Teams zu holen. Aber auch das Geld kommt mit den Übertragungen. Denn je mehr TV-Übertragungen es gibt, desto interessanter wird es für Sponsoren, in die Sportart zu investieren.
Was macht eine gute Rennradfahrerin aus? Ist es Kraft, Ausdauer, die richtige Mentalität, die richtige Taktik? Ich glaube, innerhalb der Top-Ten-Plätze gibt es wenig, was uns voneinander trennt. Natürlich unterscheiden wir uns hinsichtlich der Vorbereitung oder Herangehensweise an das Rennen, aber wir alle haben eine Leidenschaft für den Sport und trainieren viel. Ich glaube, das, was eine gute Fahrerin ausmacht, ist der Anspruch, die Beste zu sein. Natürlich musst du auch Vertrauen in deine Kraft haben, denn wenn du nicht an dich glaubst, wirst du auch kein Rennen gewinnen. Wichtig ist also die richtige Einstellung – und am richtigen Tag gute Beine zu haben. (lacht)
Du hast an der Universität eine Ausbildung als Krankenpflegerin gemacht, stimmt das? Es war also nicht immer dein oberstes Ziel, Profi-Rennradfahrerin zu werden? Eigentlich hatte ich nie darüber nachgedacht. Ich habe drei Brüder und eine Schwester, wir alle mussten eine Ausbildung machen. Für mich war es das Normalste, was man in diesem Alter tun konnte. Also habe ich mit der Pflegerausbildung begonnen, sie beendet, und mich danach gefragt: Was mache ich jetzt? Dann hatte ich die Möglichkeit, Rennradfahrerin zu werden, und ich dachte: Warum nicht? Trotzdem hatte ich nie den Plan, Profi zu werden, ich wusste anfangs nicht mal, dass das möglich ist.
Welchen Stellenwert hatte der Radsport in deiner Familie? Mein Bruder und mein Vater mochten es. Es war der Sport, den wir an Wochenenden ausübten. Training hatten wir dienstags und donnerstags. Jedes Kind muss irgendeinen Sport ausüben, und für mich war es eben Radfahren. Meine Mutter mochte es allerdings nicht wirklich. Sie und mein Vater sind nicht wirklich sportlich, Radfahren war also in Sachen körperlicher Ertüchtigung das Höchste der Gefühle. (lacht)
Im Grunde hast du also erst relativ spät damit begonnen, den Sport richtig auszuüben, oder? Du hast zwar früh damit angefangen, aber ... aber nicht mit dem Ziel, in Zukunft Olympiasiegerin zu werden. (lacht) Nein, das kam mir als Kind nie in den Sinn.
Vielen Dank für das Gespräch.
© Klaus Kranebitter
Zur Person:
Anna van der Breggen wurde am 18. April 1990 in Zwolle (Niederlande) geboren. Mit sieben Jahren begann sie, an Radrennen teilzunehmen. Seit 2012 ist sie Profi-Rennradfahrerin. Aktuell fährt sie für das Team Boels-Dolmans Pro Cycling. Van der Breggen gewann im Jahr 2016 Gold beim Straßenrennen bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro, 2017 Silber beim Einzelzeitfahren bei der WM in Bergen und ist zweifache Siegerin (2015 und 2017) des Giro d’Italia Femminile, auch Giro Donne oder Giro Rosa genannt.