Technik vs. Natur
Text: Daniel Feichtner, Bild: Klaus Kranebitter
Kompetitiv, aber ihrem sportlichen Ursprung nahe: Naturbahnrodler sind das Bindeglied zwischen Freizeitsport und der Hightech-Disziplin Kunstbahnrodeln. Das macht ihren Sport niederschwelliger, aber kein bisschen weniger herausfordernd.
Gut vorbereitet
Wenige Tage, bevor der Tiroler Rodelprofi vor heimischem Publikum ein letztes Mal beim Weltcup-Finale in seiner Heimat Umhausen an den Start geht, gewährt er uns Einblicke in die technischen Aspekte seiner Disziplin.
Der Experte: Thomas Kammerlander gab einen Einblick in die Technik des Naturbahnrodelns.
Die 955 Meter lange Strecke hier im Ötztal ist im idealen Zustand für das Weltcup-Finale. "Da steckt viel Arbeit drin", erklärt Kammerlander. "Immerhin brauchen wir Eis, wie auf einem Eislaufplatz." Um das zu erreichen, wird das Schotterbett der Bahn zu Saisonstart mit einer bis zu 20 Zentimeter dicken Schicht aus Kunstschnee bedeckt. Dabei wird bewusst technischer Schnee verwendet. Er ist kompakter und setzt sich aus runden Körnern anstelle von Eiskristallen zusammen. So friert er schneller und besser zu einer dicken Eisschicht zusammen, die zusätzlich gewässert und mit einem Hobel geglättet wird. Für ideale Bedingungen sorgt zudem eine große Kunststoff-Bürste, mit der die Bahn zwischen den Läufen aufpoliert wird.
Fürs perfekte Eis: Traktor mit Wassertank für die Bahnpräparierung
Aufpoliert: Diese Kunststoff-Bürste dient zum Glätten der Naturbahn während der Läufe bei Rennen.
Schmuckstück
Ideales Eis allein bringt keine Bestzeit. Deswegen ist der Schlitten eines Rodlers ein Präzisionswerkzeug. Um das Optimum aus der Rodel herauszuholen und sie perfekt an sich anzupassen, hat Kammerlander im Laufe der Zeit Modifikationen vorgenommen. "Man ist nie fertig mit dem Tüfteln", meint er. "Weil bei uns die Regulierungen noch nicht ganz so streng sind wie bei den Kunstbahnrodlern, findet sich immer etwas, was man verbessern kann."
Abgesehen von den hölzernen Kufen besteht der Schlitten zum größten Teil aus Aluminium. Zwei seitliche Stützen und Haltegriffe für die Hände sorgen dafür, dass man beim Rennen die ideale Position auf der Rodel behält und der Schwerpunkt genau richtig liegt.
Die Kufen sind nicht direkt mit dem Sitz des Schlittens verschraubt. Stattdessen befinden sich dazwischen vier, in Metallkapseln untergebrachte Gummilager. Sie sorgen für Flexibilität. Denn Naturbahnrodler steuern nicht nur durch Gewichtsverlagerung. "Wir müssen mehr aktiv lenken als in einem Eiskanal", erklärt Kammerlander. "Dazu haben wir ein Lenkseil, mit dem man die Spitze einer Kufe an sich heranzieht. So kann man deutlich engere Kurven nehmen. Die Lager sind außerdem austauschbar. So können wir die Rodel je nach Bedingungen härter oder weicher machen."
In Metallkapseln sind Gummilager untergebracht, die als Bindeglieder zwischen Sitz und Kufen dienen.
Präzisionsschliff
Neben dem Schlitten an sich sind - so wie in jeder Bob- und Rodeldisziplin - die Schienen ein entscheidender Faktor. Auch bei ihnen haben die Naturbahnrodler etwas freiere Hand als in Kunstbahndisziplinen. "Den Krümmungsradius können wir selber wählen", erzählt Kammerlander "und anders als beim Bob theoretisch auch den Stahl. Das wäre aber zu teuer. Deswegen tut das bislang keiner." Reglementiert ist dagegen die Länge der Schienen, ebenso wie der Winkel, in dem sie montiert werden - maximal 45 Grad beim Einsitzer, 40 Grad in Teambewerben.
Um sie so schnell wie möglich zu machen, greift Kammerlander deswegen zu verschiedenen Keramik-Schleifsteinen. Damit verpasst er ihnen in stundenlanger Handarbeit den perfekten Schliff. "Im Idealfall schleift man sie in einer leichten S-Kurve", erklärt er. Mit freiem Auge ist ein solcher Schliff praktisch nicht erkennbar. Deswegen wird auch regelmäßig nachgemessen. Doch in Zahlen lässt sich "der perfekte Schliff" sowieso nicht fassen. "Da ist viel Ausprobieren und Erfahrungswert dabei", meint er. "Und manchmal hat man einfach Schienen, die richtig schnell sind, und weiß nicht genau, warum - oder man bekommt sie einfach nicht schnell."
Dressed to win
Neben dem Helm und der Schutzbrille, die bei Geschwindigkeiten von bis zu 95 Stundenkilometern ein absolutes Muss sind, trägt Kammerlander einen Rennanzug, der sich erstaunlich dünn anfühlt. Allerdings ist das hautenge Gewebe auch nicht dazu gedacht zu wärmen. Dafür, dass die Rodler auch bei tiefen Minusgraden nicht frieren, sorgen Thermo-Unterwäsche und vor allem der Körpereinsatz, den ihnen jeder Lauf abverlangt. Sowohl im Schnitt als auch beim Material ist der Anzug ident mit denen, die die Kunstbahnrodler tragen - es gibt nur einen Unterschied: Kammerlanders Reißverschluss ist nicht am Rücken, sondern vorne. "Das ist zwar ein ganz kleines bisschen weniger windschlüpfrig", meint er. "Dafür aber bequemer zum Anziehen. Und bei uns geht es nicht um Hundertstel wie im Eiskanal."
Naturbahnrodler tragen dünne aerodynamische Rennanzüge.
Stabil statt windschlüpfrig
Beim Schuhwerk geht auf der Naturbahn robuste Bauweise klar vor. Denn gebremst wird nicht nur am Ende der Bahn: "Enge Kurven bei hoher Geschwindigkeit können wir nur nehmen, wenn wir sie anbremsen", erklärt Kammerlander. Zusätzlich zu einer stabilen Schnürung helfen ihm dabei mit Spikes versehene Metallplatten, die in die dicken Sohlen der Schuhe eingelassen sind. Sie geben ihm den extra Grip, um auch bei hohen Geschwindigkeiten die Kurve zu kriegen.
Helme sind Pflicht auf der Naturrodelbahn und Spikes an den Schuhsolen sorgen für Extra-Grip.
Starthilfen
Als finaler Teil der Montur dürfen die Handschuhe nicht fehlen. Während Kunstbahnrodler Handschuhe mit nach innen gerichteten Spikes tragen, sind die scharfkantigen Anschub-Hilfen bei Naturbahnrodlern an der Außenseite angebracht. So können sie problemlos nach den Haltegriffen oder dem Lenkseil greifen. Allerdings können sie deswegen beim Start nicht mit den Handflächen beschleunigen. "Stattdessen gibt es bei uns den Paddelschlag", erklärt Kammerlander. "Wir schieben auf den ersten Metern mit den Fingerknöcheln der Faust an, damit wir den optimalen Start hinlegen."
Bester Naturbahnrodler
Thomas Kammerlander war bereits mit sieben Jahren bei Rodelbewerben am Start. 2006 gelang dem gelernten Spengler erstmals der erste Platz im Weltcup – ebenfalls in Umhausen. Mit insgesamt 25 Weltcupsiegen, vier Gesamtweltcupsiegen und zweimal WM-Gold ist Kammerlander bis dato der erfolgreichste österreichische Naturbahnrodler.
Olympische Zukunft?
Während andere Rodeldisziplinen schon lange zum olympischen Repertoire gehören, ist den Naturbahnrodlern diese Anerkennung bislang vorenthalten. Das soll sich ändern, erklärt Gerald Kammerlander, Cheftrainer des Naturbahnrodler-Nationalteams:
Gerald Kammerlander, Cheftrainer des Naturbahnrodler-Nationalteams
Was würde es für das Naturbahnrodeln bedeuten, olympisch zu werden? Der Sport würde mehr in die mediale Öffentlichkeit rücken. Und er würde auch von anderen Nationalverbänden, die ihn momentan ein wenig stiefmütterlich behandeln, professioneller betrieben werden. Wenn es um olympische Medaillen geht, dann fließen andere Fördermittel. Man sieht ja auch in anderen Sportarten wie beim Skeleton, dass Nationen außerhalb der Kernländer auf den Zug aufgesprungen sind und es mittlerweile genauso professionell betreiben wie andere olympische Disziplinen auch. Und schlussendlich würde es auch zur Breitenwirkung des Sports und damit auch zu mehr Nachwuchs beitragen.
Wie sieht der weitere Weg aus? Ich sehe das als eine rein sportpolitische Entscheidung. Objektiv betrachtet, spricht nichts gegen das Naturbahnrodeln als olympische Disziplin. Die Infrastrukturkosten sind in olympischen Maßstäben gleich null. Bahnen können sowohl temporär als auch permanent errichtet und auch touristisch nachgenutzt werden. Wir benötigen keine künstlichen Kühlungen, sondern nur Schnee, der bei Winterspielen so oder so vorhanden ist, und Wasser zur Vereisung. Ebenso brauchen wir keine gewaltigen Erhebungen – ein Höhenunterschied von hundert Metern reicht aus. Und der Sport ist dem klassischen Breitensport Rodeln sehr nahe.