Eine Auswahl an E-Bike-Touren mit Streckenbeschreibung und GPS-Track.
Easy Biker: Teilnehmer bei der E-Bike Weltmeisterschaft
Es gibt Leute, die meinen: „Formel 1 ist kein Sport!“ Es gibt Leute, die meinen „E-Mountainbiken ist kein Sport!“. Es gibt eine Formel-1-Weltmeisterschaft. Auf der ganzen Welt. Und es gibt eine E-Bike-Weltmeisterschaft. Nur in Tirol. Unser Autor war dabei.
Maximilian Reich, Weltmeister.
„Na, wie klingt das?“ frage ich meine Freundin, als wir gemeinsam über den Münchner Hauptbahnhof laufen. Stephie verdreht die Augen. „Guck lieber, dass du heil nach Hause kommst“, sagt sie und gibt mir zum Abschied einen Kuss. Dann steige ich in den Zug.
In Ischgl in Tirol findet an diesem Wochenende zum fünften Mal die E-Bike-WM statt. Dabei handelt es sich um ein Jedermann-Rennen. Heißt: Jeder darf mitfahren. Und ich bin auch dabei. Wann bekommt man schon mal so leicht die Gelegenheit, einen Weltmeister-Titel zu gewinnen? Immerhin geht es um E-Bikes. Das „E“ steht zwar für „Elektrisch“, könnte aber auch genauso gut die Abkürzung von „Easy“ sein. Denn mal ehrlich: Wie anstrengend kann ein Radrennen werden, bei dem man nicht treten muss? Oder zumindest kaum.
Denn strenggenommen fahren wir nicht mit E-Bikes sondern Pedelecs. Die sind auf etwa 25 km/h gedrosselt und brauchen Pedalunterstützung. Ein klassisches E-Bike würde auf Knopfdruck auch von allein fahren. Anders ausgedrückt: Ein E-Bike ist sowas ähnliches wie ein Moped und ein Pedelec ist das, was sich mein 70 Jahre alter Vater gekauft hat, als während des Corona-Lockdowns sein Aqua-Aerobic-Kurs ausgefallen ist. Ein Herz-Trainer für Rentner. Den Titel habe ich so gut wie in der Tasche.
Frühstück der Champions
Erste kleine Zweifel kommen mir, als ich am Vormittag über das Gelände schlendere und meine Kontrahenten sehe. Vor den Zelten, in denen die Aussteller ihre neusten E-Bike-Modelle präsentieren, Sonnenbrille, und eben alles, was der Zweirad-Fan sonst noch so gebrauchen könnte, stehen die Event-Besucher in voller Tour-de-France-Montur: Quietschbunte Fahrrad-Trikots, grelle Sonnenbrillen und hautenge Radhosen, unter denen muskulöse Waden hervortreten. Keine Ahnung, wo man solche Beine bekommt, aber bestimmt nicht vom Aqua-Aerobic.
Habe ich meine Gegner etwa unterschätzt? Plötzlich fühle ich mich in meiner blauen Jogginghose und dem schlichten Baumwoll-T-Shirt doch etwas underdressed. Ich benutze das Fahrrad hauptsächlich, um damit zum See zu fahren oder in den Biergarten. Da braucht es keine ergonomisch geschnittene Radhose aus Stretch-Gewebe mit Silikoneinsatz. Ich zieh mir ja auch keine Driver-Handschuhe an, wenn ich im Toyota Yaris den Sperrmüll wegfahre.
Beim Essenszelt bestelle ich Pommes mit Ketchup. Das Frühstück der Champions. Während ich die Energiespeicher meines Körpers für die anstehende Etappe mit Kohlenhydraten auffülle, dröhnt aus den Lautsprechern „It’s my life“ von Jon Bon Jovi, auf der Bühne führt Bike-Trial-Weltmeister Tom Öhler ein paar Kunststücke auf dem Bike vor.
Ich gehe näher hin, um besser sehen zu können, und entdecke dabei einen Mann, der aussieht als wäre er der in die Jahre gekommene Kino-Held „Mad Max“. Sein Fahrrad hat eine Verkleidung aus Kupfer und Rost, an der Handgranaten-Attrappen und Totenköpfe prangen. Ein Jahr lang hat er daran gearbeitet, wie er mir erzählt. Um die Hüfte trägt er einen Patronengürtel. Immerhin einer, der noch unpassender angezogen ist als ich, denke ich mir. Aber da relativiert der post-apokalyptische Biker auch schon: mitfahren will er nicht. Er ist nur wegen der Stimmung hier. Ach so.
Prominentes Fahrerfeld
Die Wettkampf-Strecke verläuft 26,3 Kilometer durch das Paznauntal, von Ischgl bis nach Galtür und wieder zurück. Es soll das größte E-Bike-Rennen aller Zeiten werden. Um das zu beurkunden ist extra eine Richterin von „Guiness World Records angereist“. Mehr als 1.000 Fahrer:innen haben sich angemeldet, von ambitionierten Bike-Clubs wie den Fichtl Raidern über Familien, die mit ihren Kindern hier sind, bis hin zu ein paar Stars, die heute ebenfalls dabei sind.
Der ehemalige österreichische Fußball-Nationalspieler Walter Schachner fährt wohl mit, sowie die Ski-Olympia-Siegerin Sigrid Wolf und der dreimalige Rad-Weltmeister Roland Königshofer. Von denen ich aber ehrlich gesagt keinen erkennen würde, selbst wenn er mir mit dem Bike übers Gesicht fährt. Im Grunde ist mir ja auch schnurz, wer am Ende hinter mir landet.
PENG!
Das Startfeld ist aufgrund der hohen Teilnehmerzahl in zwei Blöcke unterteilt. Die Startnummern 1 bis 500 starten um 12:30 Uhr. Und alle mit einer höheren Zahl vorne am Bike fahren ab 13:30 Uhr los. Innerhalb dieser Blöcke gibt es noch nochmal eine Staffelung. Alle drei Minuten starten 50 Fahrer:innen. Auf diese Weise gibt es keinen Massenstart, bei dem alle dicht gedrängt durch die Gassen fahren und ein stürzender Fahrer gleich das ganze Fahrerfeld abräumt.
Jetzt um kurz vor halb zwei finde auch ich mich mit meinem Bike an die Startlinie ein. Die Stimmung unter den Teilnehmer:innen ist ausgezeichnet. Der DJ spielt „Macarena“ und eine Dame im mittleren Alter mit rosa Leibchen, das ihr einen Look verleiht, als wäre sie mit ihren Freundinnen hier, um den Junggesellinnenabschied ihrer zweiten Ehe zu feiern, führt an der Startlinie den entsprechenden Tanz dazu auf. Dann hebt einer der Mitarbeiter den Arm, richtet die Startpistole gen Himmel und ... PENG!
Eine steile Überraschung
Vom Start geht es zunächst durch den Ort. Am Straßenrand stehen ein paar Zuschauer und klatschen in die Hände, jubeln und feuern mich an, was irgendwie nett ist, mich aber auch ein bisschen verlegen macht. Nach ein paar Minuten verlassen wir den Ort und es geht steil bergauf in einen Waldt hinein. Da merke ich zum ersten Mal: Hoppla! Ein E-Bike kann ja doch anstrengend sein. Ich schalte in den ersten Gang und trete ordentlich in die Pedale.
750 Höhenmeter gilt es auf der Strecke zu überwinden. Hoffentlich sind die bald geschafft. Bergauffahren ist echt das unangenehmste. Aber dafür entschädigt am Ende oben die Aussicht. Wenn sich unter einem das Tal ausbreitet und am Horizont die mächtigen Berggipfel thronen, das sieht schon toll aus, diese Idy ... „LINKS“, reißt mich ein Fahrer hinter mir aus den Gedanken und schießt an mir vorbei.
„Komm, auf geht’s!“
Die Organisatoren haben ganze Arbeit geleistet. Alle paar Meter stehen Streckenposten und Sanitäter, falls ein Problem auftritt. Außerdem weisen Schilder an jeder Abzweigung den richtigen Weg. An ausgewählten Streckenabschnitten kann man zwischen zwei Routen wählen: „Adventure“ und „Comfort“. Bei der ersten Gabelung stelle ich allerdings fest: Der Weg ist ungefähr so komfortabel wie die Comfort-Seats bei TUI. Direkt hinter der Abzweigung geht es so steil nach oben, dass ich in den niedrigsten Gang schalten muss und kurz überlege, ob ich das Bike nicht einfach den Hang hinaufschiebe. Die Blöße will ich mir dann aber doch nicht geben und strampele lieber weiter. Ich scheine eine klägliche Figur dabei abzugeben. Denn als ein drahtiger Kerl an mir vorbei radelt, lächelt er mir aufmunternd zu, und sagt: „Komm, auf geht’s!“ Und ich stelle fest: E-Biker ziehen sich beknackt an, aber nett sind sie.
Die Formel 1 in Paznaun
Nach dem Anstieg geht es nun abwärts. Und zwar steil abwärts. 35 km/h zeigt mein Tacho an und dabei krallen sich meine Finger bereits um die Bremse. Krampfhaft versuche ich mit steifen Handgelenken den Lenker in der Spur zu halten, um auf dem Schotterweg nicht zu stürzen, während mir ständig Insekten ins Gesicht klatschen. Abwärtsfahren ist echt am unangenehmsten.
Auf der rechten Seite unter mir fließt die Trisanna. Glaub ich jedenfalls. Sehe ja kaum was, hab lauter Mücken im Auge. „LINKS“ schreit schon wieder einer, und schießt an mir vorbei, mit locker über 55 km/h. Bergab kann man rollen lassen, da gibt es keine Drosselung. Und manche Kollegen scheinen die Gelegenheit nutzen zu wollen, um die Schallmauer zu durchbrechen. Bitte lieber Gott, lass nicht zu, dass ein Mann im bonbonfarbenen Polyester-Trikot meine Todesursache wird! Vom E-Bike überrollt. So will ich einfach nicht sterben.
Ein Königreich für eine Radhose
Nach halber Strecke lautet mein Zwischenfazit: Radhosen sind doch nicht so doof. Jedenfalls besser als Jogginghosen. Der Sattel hat meinen Schritt wundgescheuert. Außerdem brennen meine Oberschenkel vom Bergauffahren, die Handgelenke schmerzen vom Bergabfahren, auf dem linken Arm kündigt sich ein Sonnenbrand an, und nachdem mich vor knapp zwei Kilometern selbst die Macarena-Braut überholt hat, ist auch mein Selbstwertgefühl ramponiert.
An einem kleinen Stand am Streckenrand mach ich Pause. Durchatmen. Gewinnen werde ich wohl ohnehin nicht mehr. Eine kleine Familie hat mit ihrer Tochter einen Tisch aufgebaut, mit Bananen und Wasserbechern, die sie den Fahrer:innen im Vorbeifahren in die Hand drücken. Irgendwie nett, denke ich mir, schäle eine halbe Banane und bewundere die Landschaft.
Das 40 Kilometer lange Paznauntal, oder einfach nur Paznaun, liegt im Westen von Tirol und wird von drei Gebirgsgruppen umringt. Dadurch ist es sowohl für Wintersportler als auch im Sommer für Wanderer und Action-Urlauber ein beliebtes Ziel.
„Wie weit ist es noch?“ frage ich den Mann, der gerade zurück zum Stand kommt, um neue Wasserbecher zu holen. „Nicht mehr weit. Die Höhenmeter hast du schon geschafft. Jetzt wird’s fast langweilig.“ „Ein Glück“, seufze ich und schwinge mich wieder auf mein Fahrrad. Anfahren im höchsten Gang ist echt das ätzendste.
Geschafft!
Ich bin fast da. Unter mir kann ich schon Ischgl sehen. Bloß noch ein paar hundert Meter über einen Feldweg, dann geht es durch ein kleines Wasserhindernis, zwei scharfe Kurven, und dann ist da endlich vor mir die Ziellinie. Aber eigenartig: Der Zieleinlauf ist verwaist. Kein Moderator, der die Ankömmlinge begrüßt, keine Zuschauer an den Absperrungen, die die heimkommenden Helden in Empfang nehmen. Stattdessen sehe ich bloß die Rücken der Teilnehmer*innen, die schon nebenan an der Waschstation die Spuren des Rennens vom Bike beseitigen, die geliehenen Bikes zurückgeben oder sich im Speisezelt stärken. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich …
And the winner is …
„Und? Bist du Weltmeister geworden?“ fragt Stephie am Telefon, als ich wieder im Zug sitze, auf dem Weg nach Hause. „Naja, nicht so ganz. Aber ich bin im vorderen Feld gelandet“, sage ich und ernte dafür anerkennende Worte. Was ich lieber verschweige: Mit dem „vorderen Feld“ meinte ich das Feld vor dem Letzten. Ich bin nämlich tatsächlich Vorletzter geworden. Nicht ganz das, was ich mir vorgenommen hatte.
Spaß hatte ich trotzdem. Und zwei Lektionen habe ich auch noch gelernt: Erstens, E-Bikes sind gar nicht so schlecht, weil man dabei Ausflüge unternehmen und Ziele erreichen kann, die mit einem normalen Bike niemals möglich wären. Und zweitens: Bis zur WM im nächsten Jahr muss ich dringend mehr Sport treiben. Und dann hol ich mir den Titel!