Ein Schutzraum für alle: Die Amberger Hütte
Ein Haus im Schnee: Die Amberger Hütte in den Stubaier Alpen.
Ein alleinstehendes Haus in einem einsamen, tief verschneiten Bergtal. Man erreicht es auf Skiern von einem Gletschergebiet. Aber genauso zu Fuß aus dem Tal. Doch trotz der guten Erreichbarkeit verkörpert die Amberger Hütte in den Stubaier Alpen das, was eine Hütte eben ist: ein Schutzraum in den Bergen.
„Über dem alten längst verwachsenen Gletschervorfeld des Sulztalferners steht über dem verzweigten Bachgerinne am Fuß des Sulzkogels mit schönem Blick auf den Ferner und seine Umrahmung die Hütte …“ – Mit schöneren Worten kann man die Lage der Hütte eigentlich nicht beschreiben. Sie stehen in einem vergilbten AV-Führer mit dem Stempel „Sektion Amberg“ auf jeder Seite, der sich auf einem der Holzregale in der Stube findet.
Wenn man sie erreicht, fühlt man sich tatsächlich zurückversetzt in jene Zeit, als der Besucher der Bergwelt die Natur noch mit staunenden Augen beschrieb wie ein großes Theaterstück, das vor seinen Augen aufgeführt wird – besonders im Winter. Denn außer diesem einen Haus ist hier, in einem südöstlichen Tal der Stubaier Alpen, von Zivilisation nichts zu erkennen. Doch dass es Leben gibt, hier oben, das sehen wir schon von weitem, als wir über das tief eingeschneite „Bachgerinne“, wie es im antiquarischen Buch so schön heißt, mit kräftigen Stockschüben auf Ski und Snowboard eine Spur den letzten Kilometer durchs tiefe Weiß legen. Denn da ist eine Gestalt zu sehen, die gerade den frischen Schnee von der Terrasse räumt, welche all die großartigen Blicke freigibt.
Auf unserer Suche nach den spektakulärsten Winterunterkünften Tirols haben wir uns auf den Weg zu Hütten gemacht, so abgelegen, dass ein wenig Aufwand nötig ist, um sie zu erreichen. Die Amberger Hütte erleben wir als Allround-Ziel und Basislager ein wenig fernab der meistbesuchten Hütten in den Stubaier Alpen, die sich von Innsbruck bis zum Ötztal erstrecken – und die im Vergleich zu anderen Gebirgsgruppen erstaunlich viele im Winter geöffnete Berghütten aufweisen. Auch wenn die Amberger Hütte im Winter vor allem von Skitourengängern besucht wird, gelangen auch Rodler und Schneeschuhgänger vom Ötztal aus in leichter Wanderung hinauf – auf dem Weg, den auch die meisten Tourengänger aus dem Tal wählen.
Wir hingegen sind auf dieser Mission keine strengen Alpinisten und nehmen gerne mögliche Hilfe in Anspruch. In diesem Fall die der luxuriösen Gondeln und Lifte im Stubaier Gletscherskigebiet, die eine prächtige Abfahrt zur Amberger Hütte ermöglichen, solide Fertigkeiten und Kenntnisse im freien Skigelände natürlich vorausgesetzt. Ganz ohne Anstrengung: Man muss tatsächlich kaum einen Höhenmeter erklimmen, von der Sesselbahn Daunjoch auf 3.000 Metern Höhe geht es mit einer Abfahrt über 850 Höhenmeter zur Hütte hinab.
Der bequemste Aufstieg zur Amberger Hütte startet im Skigebiet Stubaier Gletscher. Klassisch steigt man aus dem Ötztal auf.
Vom Daunjoch auf den Hinteren Daunkopf. Danach warten über 1000 Höhenmeter Abfahrt zur Hütte.
Aber man kann – und so haben wir mit einem Anstieg vom Daunjoch über den südlichen Rücken den Hinteren Daunkopf als Einstiegsgipfel mitgenommen, bei guten Verhältnissen ein beinahe geschenkter Ski-Dreitausender. Die Abfahrt über mehr als 1.000 Höhenmeter nordseitiges, perfektes Skigelände allein wäre das ganze Unternehmen wert – als Zustieg zur Hütte ist sie einfach nur phänomenal, zumal wenn sie wie heute noch unverspurt ist. Eine riesige S-Kurve nach Norden und Westen hinab auf den Sulztalferner, wie man sie sich mit Ski oder Snowboard prächtiger kaum wünschen mag. Doch darum muss es gar nicht gehen: Es reicht allein, wenn man oben, auf dem Daunkopf stehend, hinunter blickt auf das Spielzeughäuschen, das da inmitten der Arena aus Touren- und Klettergipfeln kauert, ein einzelnes Haus, an dem Ort, wo man sich ein Basislager wünscht, eine Unterkunft mitten in den Bergen, ganz allein umgeben von der wildesten Natur. Und da steht sie eben tatsächlich, genau an der Stelle, an der man sie hinstellen würde in einer perfekten Miniaturlandschaft.
Picture perfect: Umgeben von den Schneemassen im Sulztal bietet die Amberger Hütte Schutz und Verpflegung.
Der Mann, der nach unserer Abfahrt gerade die Terrasse freimacht, bewegt sich wie ein Braunbär. Gleichzeitig strahlt er eine große Ruhe und Gelassenheit aus, und wenn er lacht, was er oft tut, kommt das Lachen etwas zeitverzögert, dafür ganz tief aus seinem bärigen Inneren. Serafin heißt er, und während er noch die Lage um das ihm anvertraute Haus prüft, bringt seine Frau Lydia uns Bier und Schnaps und schon fühlen wir uns sowas von angekommen in diesem Winkel der Stubaier Alpen, wie man sich nur angekommen fühlen kann. Und ja, zu Essen gibt es natürlich auch bald etwas.
So nebenbei und selbstverständlich, wie sie die anstehenden Arbeiten erledigen, merkt man Lydia und Serafin Gstrein an, dass sie nicht den ersten Winter eine Berghütte bewirten. Serafin erklärt uns die Technik in der Hütte, das Kraftwerk, das Klärwerk, die UV-Anlage, die zu einer autarken Einheit im Gebirge gehören: „Das muss funktionieren. Man braucht genügend Trinkwasser, man muss aufpassen, das nichts abfriert. Teile der Hütte sind schließlich über 130 Jahre alt.“ In der Küche rollt Lydia währenddessen Knödel, ganz locker mit Spinat, mit Speck und dann noch mit Käse. Die Suppe ist schon fertig, und Schnitzel gibt es an diesem Abend zusätzlich hinterher.
Gastfreundschaft und Herzlichkeit, das verkörpern die beiden durch und durch – und doch bleibt in ihren Augen ein klarer Fokus auf das, was natürlich auch eine gut zugängliche Hütte wie die Amberger Hütte ist: ein Schutzraum. Was aus seiner Sicht der Unterschied zwischen Berghütte und Hotel ist, fragen wir Serafin. „Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wir bieten hier eine Grundversorgung. Es heißt ja auch Schutzhütte. Nicht Wellnesshotel. Wir versuchen, das gut zu machen. Aber wir sind nicht da, um die Leute zu belustigen. Unterkunft, Verpflegung, darum geht es.“
Dass man auf einer Berghütte – trotzdem oder gerade deshalb – im Winter viel mehr erleben kann, wird jeder bestätigen, der einmal eine Nacht an einem dieser besonderen Orte verbracht hat. „Wenn es stürmt, wenn man eingeschneit ist, wenn man Dinge tun muss, für die man eigentlich nicht hier ist, dann erlebt man das, was eine Hütte ausmacht“, erklärt auch Serafin. „Auf einmal knüpfen die Menschen Freundschaften, interessieren sich für andere. Weil sie gezwungen sind, auf der Hütte zu bleiben.“
Hüttenwirte aus Leidenschaft: Lydia und Serafin Gstrein habe jahrzehntelange Erfahrung in der Hüttenbewirtung.
Auch wenn die Amberger Hütte nicht den Komfort eines Hotel bietet, kommt der Genuss nicht zu kurz.
Serafin befreit die Hüttenterrasse vom Neuschnee.
Die Leidenschaft, mit der das Paar die Hütte bewirtschaftet, wirkt einerseits erstaunlich, andererseits aber auch wieder nicht, wenn man Serafins Geschichte hört. Aufgewachsen ist er auf dem Hochjochhospiz, drüber in den Ötztalern, eine der ganz hohen Hütten, die seine Familie 45 Jahre bewirtschaftet hat. „Den ersten Sommer im Tal habe ich mit 20 verbracht“, erzählt er. „Ich hab’ mir geschworen: Ich setze nie wieder einen Fuß in eine Hütte.“ Dann hat er Lydia kennengelernt und ein paar Jahre später haben sie dann schon die Pfeishütte im Karwendel bewirtet. Auf der sind dann die eigenen Töchter aufgewachsen. Und weil die nicht erst mit 20 den ersten Sommer im Tal erleben sollten, haben sie dann die Amberger Hütte übernommen, wo sie zumindest im Sommer in einer Dreiviertelstunde unten im Tal sind.
Die Qual der Wahl: Die Amberger Hütte liegt in einem riesigen Tourengebiet. © Tirol Werbung / Frank Stolle
Geteilte Bergeinsamkeit auf dem Weg zur Kuhscheibe, ein Ski-Dreitausender oberhalb der Hütte.
Unter dem Gipfel der Kuhscheibe.
Über eines darf aber eben auch der mit der Raupe hergerichtete Weg aus dem Ötztal nicht hinwegtäuschen. Die Umgebung der Amberger Hütte ist im Winter wilde, manchmal auch gefährliche Natur, über deren Gefahren sich der Besucher unbedingt informieren sollte. Dass das keinesfalls übertriebenes Gerede ist, zeigt uns Serafin kurz vor Einbruch der Dunkelheit: In den Westhängen oberhalb des Zustiegswegs hat sich in der Nachmittagssonne ein großes Schneebrett gelöst. Wir fahren im Pistenfahrzeug ein paar hundert Meter, bis ein Lawinenkegel den Zustieg großflächig versperrt. Es braucht tatsächlich den kräftigen Diesel, das Tonnengewicht und die breite Raupenschaufel, um den Zustieg wieder freizulegen.
Der Zustieg zur Amberger Hütte wird von steilen Flanken überragt, vor Aufbruch sollte man sich unbedingt über die Lawinensituation informieren.
Mit der Schneeraupe hält Serafin den Zustiegsweg aus dem Ötztal in Schuss.
Wer die Amberger Hütte besuchen möchte, sollte sich also bewusst sein, dass die winterliche Bergnatur eben Gefahren birgt. Die man freilich gut einschätzen kann, und auf die sich auch Winterwanderer und Rodler besser vorbereiten. Im besten Fall mit einer Sicherheitsausrüstung, für den Fall, dass etwas passiert und immer mit einem kurzen Anruf auf der Hütte oder einem Check des aktuellen Lawinenlageberichts. Gerade im Frühling empfiehlt sich ein Aufstieg am Morgen, wenn die Sonne den Schnee in den Westhängen noch nicht behelligt hat.
Man kann dann natürlich gleich wieder hinunter rodeln. Das Beste ist es aber, die Chance zu nutzen und eine Nacht in einem Zimmer mit Aussicht zu verbringen. „Das schönste Zimmer?“ Da muss sogar Serafin kurz überlegen. „Viele mögen die kleinen, einfachen Hüttenzimmer im Altbau. Ich würde aber das Sechsbettzimmer Kuhscheibe nehmen. Das hat so schöne große Fenster nach Süden.“ Und Süden, das ist natürlich die Blickrichtung auf das verschneite Bachgerinne, das Sulztal und das ganze, ewige Bergtheater.
Zimmer mit Aussicht auf Schnee
Geschichten über Leidenschaft, Abgeschiedenheit und die Kräfte der Natur im winterlichen Hochgebirge: In einer Porträt-Serie haben wir die außergewöhnlichsten Winterhütten in den Tiroler Bergen besucht.
Das schönste Winter-Zimmer der Stubaier Alpen? Der Amberger Hütte auf jeden Fall.