Offene Augen und ein waches Hirn
„Visionen? Ich weiß nicht… Vielleicht war ich weniger ein Visionär als jemand mit weit offenen Augen.“ Wir sitzen im Wohnzimmer von Walter und Gerda Frenes bei einem Kaffee. Im Wettbewerb „Schönster Ausblick Seefelds“ hätte das „Landhaus Frenes“ beste Chancen auf einen Platz auf dem Stockerl, wie in Österreich das Podest für die besten drei sportlicher Wettkämpfe genannt wird. Der Blick schweift über die dunkle, rustikal behagliche Täfelung zum Panoramafenster, das eine ganze Wand einnimmt, hinaus über das tief verschneite 3500-Seelen-Dorf eine halbe Autostunde nordwestlich von Innsbruck.
Im Wettbewerb „Schönster Ausblick Seefelds“ hätte das „Landhaus Frenes“ beste Chancen auf einen Platz auf dem Stockerl.
Dessen markante Erfolgsgeschichte hat Walter Frenes als Direktor des Tourismusverbandes über mehr als 40 Jahre lang entscheidend geprägt. Frenes hat das Langlaufen nicht erfunden. Aber er hat dafür gesorgt, dass sein Dorf seit Jahrzehnten als eines der Langlaufzentren im Alpenraum gilt. Wenn der heuer 82-Jährige aus seinem Leben erzählt, tut er das ohne Übertreibungen, aber gespickt mit einer Reihe von teils amüsanten, teils erstaunlichen Anekdoten.
Skiwandern statt Langlaufen
Unmittelbar nach seiner Matura an der Handelsakademie, mit gerade einmal 18 Jahren, wurde Walter 1955 als Geschäftsführer des Tourismusverbandes engagiert. Er hatte keine Ahnung von der Branche, woher auch, aber jede Menge Enthusiasmus. Ein waches Hirn. Erfindungsgeist. Und Hartnäckigkeit. 1963 kamen ihm zum ersten Mal Langläufer im heutigen Sinn unter, auf einem Ausflug nach Norwegen in Vorbereitung der Olympischen Spiele in Innsbruck 1964: „In Oslo am Holmenkollen habe ich gesehen, dass die Norweger zu Tausenden auf Langlaufskiern in die Wälder gezogen sind. Alte, Junge, Kinder, die auf Schlitten hinterhergezogen wurden.“ Ein hierzulande als Volkssport noch völlig unbekanntes Phänomen.
1964 fanden in Seefeld die Langlaufbewerbe der Olympischen Winterspiele statt. Foto: Schaadfoto/Frischauf
Ende der Sechzigerjahre sind dann die Skandinavier zu uns gekommen, um sich etwas abzuschauen.
Frenes war klar: Das könnte auch eine Beschäftigung für die Urlaubsgäste auf dem Seefelder Plateau sein, zumal damals, in der Hochblüte des Skiliftbaus in ganz Tirol, auch schon nicht zu leugnen war, dass Seefelds Topographie ein großes Skigebiet nicht hergibt. Nur die Bezeichnung „Langlaufen“ schien anfangs zu abstrakt – Frenes einigte sich mit sich selbst auf den einfacher zugänglichen Begriff „Skiwandern“. Gewandert wurde in Tirol ja massenhaft, quasi immer schon.
Der Lockvogel beim Seekirchl
Ein norwegischer Langlaufprofi musste her, um den Tiroler mit ihren „alpinen Augen“ zu erklären, wie man Langlaufloipen baut. Frenes engagierte einen Sportlehrer und -journalisten, der, bewaffnet mit einem Paar der schmalen Bretter, drei Winter lang vor einer Blockhütte beim berühmten Seekirchl saß, wandernde Passanten einlud, den exotischen Sport auszuprobieren und dann darüber schrieb. Sportgeschäften drängte Frenes aus Norwegen importierte Langlaufskier zum Verleihen auf…
1963 kamen Walter Frenes zum ersten Mal Langläufer im heutigen Sinn unter, auf einem Ausflug nach Norwegen in Vorbereitung der Olympischen Spiele in Innsbruck 1964.
Als der Sport populärer, das Image attraktiver, die Outfits sexier und die Loipenkilometer mehr und mehr wurden, entwickelte der Seefelder ab 1965 mithilfe eines aus Kanada eingeführten Schneemobils das erste Gerät zur mechanischen Loipenpräparierung – weltweit. „Ende der Sechzigerjahre sind dann die Skandinavier zu uns gekommen, um sich etwas abzuschauen“, lächelt Frenes.
Praktisch alles an (touristischer) Infrastruktur, die heute dafür sorgt, dass die Region Seefeld als eine von wenigen in Österreich im Sommer und im Winter mit jeweils rund einer Million Nächtigungen gleich gut bilanziert und nicht längst ausgestorben ist, geht auf Walter Frenes zurück: Vom Golfplatz, Anfang der Siebzigerjahre eine von nur zwei 18-Loch-Anlagen in ganz Österreich, über die Fußgängerzone bis hin zum Sport- und Kongresszentrum, „für das ich Kopf und Kragen riskiert habe. Das war das mit Abstand Schwierigste, was ich jemals gemacht habe.“
In einer Abstimmung zu Silvester 1969 holte sich Walter Frenes vom Gemeinderat die Zustimmung für den Bau eines Sport- und Kongresszentrums.
Seinem Kampf für das Zentrum ging eine messerscharfe und ohne jeden Zweifel visionäre Analyse voraus, die Frenes zu Silvester 1969 (!) dem Gemeinderat unterbreitete: „Wir haben heuer erstmals eine Million Nächtigungen überschritten. Aber wir haben Riesenprobleme vor allem im Winter: 1. Der Ortskern erstickt im Verkehr. Und 2. Wir haben zwar 20 Hallenbäder und noch mehr Saunen in den Hotels, aber keine einzige öffentliche Anlage. Wir haben einen wetterabhängigen Eislaufplatz, aber keine Kunsteisbahn. Und wir haben jede Menge Nachtlokale, aber keinen einzigen öffentlichen Veranstaltungssaal.“ 1973 ging die Abstimmung im Ort mit 375 zu 373 Stimmen hauchdünn für das Zentrum aus.
1976 fanden erneut Olympische Winterspiele in Innsbruck statt, Seefeld war wieder Austragungsort der Langlaufbewerbe. Foto: Schaadfoto/Frischauf
Nordische WM 2019
Zu den zweiten Olympischen Spielen 1976 war das Zentrum bereits in vollem Betrieb. Heute bildet das „Olympia Sport- und Kongresszentrum Seefeld“ den Dreh- und Angelpunkt sämtlicher (sportlicher) Aktivitäten. Und wenn von 19. Februar bis 3. März 2019 zum zweiten Mal nach 1985 die besten Profis auf Langlaufskiern in Seefeld ihre Weltmeisterschaften austragen, werden die Allerbesten beim Seekirchl am Fuße des Zentrums ihre Medaillen entgegennehmen.
Wie Walter Frenes seine Lebensleistung selbst beurteilt? Er trinkt einen letzten Schluck Espresso, denkt kurz nach und antwortet dann schlicht: „Ich habe eine gute Familie. Und ich habe eine Arbeit gemacht, die auch aus heutiger Sicht noch sinnvoll war.“