Bergführer im Porträt
Links hinter der schneebedeckten Spitze liegt unser Ziel: Der Gipfel des Großvenedigers.
Aufstehen, rausgehen und was erleben. Zum Beispiel einen Berg besteigen und dabei den Elementen trotzen. Genau das tun Bergführer - sie gelten als Abenteurer. Zumindest war das meine Erwartungshaltung an die fünf Bergführer, die ich auf ihre Hausberge begleitet habe: Den Großvenediger, den Olperer, den Großglockner, die Wildspitze und den Wilden Kaiser.
Was sind das für Typen, deren Job es ist, beinahe jeden Tag mit anderen Leuten Berge zu besteigen? Vergangenes Jahr habe ich fünf Bergführer kennengelernt, die mich den Antworten darauf ein Stück näher gebracht haben.
Mit Bergführer Bernhard Neumann am Olperer.
Über den Mythos vom einsamen Helden
Ich hatte gedacht, Bergführer seien wortkarge Einzelgänger, die ungern über Gefühle sprechen. Kurz gesagt: Schwierige Interviewpartner. Durch meinen Kopf spukte das Bild von verschlossenen Typen, die ihre Emotionen verbergen. Soll ich ehrlich sein? Ja, ich habe auch solche kennengelernt. Doch der erste Eindruck täuscht. Einer der Bergführer erzählte mir begeistert davon, wie sein Onkel ihn als Jugendlichen zu den ersten Klettertouren im Wilden Kaiser mitnahm. Und er sprach ganz offen über den folgenschweren Bergunfall, welchen dieser Onkel später hatte. Ein anderer erzählte, dass seine Familie das Wichtigste in seinem Leben sei. Er nahm seinen zehnjährigen Sohn mit auf unsere Hochtour zum Großvenediger. Und was ich am Großglockner erlebte, war das glatte Gegenteil von Einzelgängertum. Den dortigen Bergführer lernte ich inmitten einer geselligen Runde auf der Stüdlhütte kennen. Selbst am Tag der Glocknerbesteigung gab es ein großes Hallo, als wir gemeinsam nach der Rückkehr vom Gipfel in der Adlersruh einkehrten. Sigi. Bernhard. Matthias. Kilian. Guido. Je besser ich jeden dieser fünf Bergführer kennenlernte, desto mehr bröckelte das Bild vom einsamen Helden am Berg.
Bergführer Matthias Wurzer (r.) begrüßt einen Freund auf der Adlersruh am Großglockner.
Über die Rastlosigkeit
Wer ständig auf irgendwelche Berge steigt – läuft der vielleicht vor irgendwas davon? Diese Frage geisterte in meinem Kopf herum. Einer der Bergführer sagte, er sei schon über 900 Mal am selben Berg gewesen. Das klingt irgendwie rastlos und ist vielleicht auch sinnlos. Aber es ist eben sein Job. Wie oft habe ich in meinem Berufsleben schon das Gleiche getan wie am Tag zuvor? Andererseits sprachen alle fünf Bergführer auch von der Ruhe, die sie am Berg finden. Weniger am Gipfel, da trifft man häufig auf andere Menschen. Schon eher bei einer schwierigen Kletterpassage. Beim Anblick eines Gletscherbruchs. Oder frühmorgens, bevor die Sonne sich zeigt. In diesen Momenten gingen die Bergführer meist wortlos voran. Und ich sprachlos hinterher. Nicht alles lässt sich in Worte fassen.
Der Großglockner kurz vor dem Sonnenaufgang.
Über das Fremdsein
Chile. USA. Italien. Schweiz. Norwegen. Island. Schottland. Kanada. Die Liste der Länder, wo einige der fünf Bergführer bereits waren, lässt sich beliebig fortsetzen. Vor allem die Jüngeren unter ihnen sind weitgereist. Und dennoch wohnen sie alle in unscheinbaren Städten und Dörfern irgendwo in Tirol: Mayrhofen, Vent, Lienz, Wörgl, Prägraten. Dort sind sie aufgewachsen, dort liegen ihre Wurzeln. Die Berge sind ihr Fenster zur Welt und zu anderen Lebensweisen. Einen der Bergführer habe ich bei einer privaten Reise in Chile nochmals getroffen, um dort mit seiner Hilfe einen Vulkan zu besteigen. Er stieg schon mehrmals auf Berge am anderen Ende der Welt. Ihm ist es wichtig, einen Blick über das eigene Tal hinaus zu werfen, um anderswo das eigene Fremdsein kennen zu lernen.
Bergführer Guido Unterwurzacher beim Gipfelbucheintrag am Wilden Kaiser.
Über die Riesen vor der Tür
Berge prägen den Charakter von Menschen. Klingt das pathetisch? Möglicherweise. Auf jene fünf Menschen, die ich kennenlernen durfte, trifft es jedenfalls zu. Sie haben tiefen Respekt vor den Bergen. Einer der Bergführer erzählte mir über seinen Erlebnisse mit unvorsichtigen Bergsteigern, die er aus Gletscherspalten bergen musste. Ein anderer Bergführer sprach über die Drahtseilversicherungen am sehr ausgesetzten Gipfelgrat seines Hausberges. Er würde die Versicherungen am liebsten entfernen, wenn er könnte – weil sie seiner Ansicht nach nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bedeuten. Außerdem würde der Berg so sein ursprüngliches Gesicht zurückerhalten. Viele der Bergführer sprachen davon, wie ihr Hausberg im Laufe der Jahre zu einem guten Freund geworden sei.
Es scheint, als hätte jeder dieser fünf Menschen eine spezielle, beinahe zwischenmenschliche Beziehung zu seinem jeweiligen Hausberg – dem Riesen vor der Tür.
Abstieg bei der Wildspitze mit Bergführer Kilian Scheiber.
Vom Großglockner bis zur Wildspitze, vom Großvenediger und dem Wilden Kaiser bis zum Olperer: In einer fünfteiligen Porträtserie erzählen wir diesen Sommer die Geschichten von fünf Tiroler Bergführern und ihren Hausbergen. Die Serie „Bergführer im Porträt“ startet im Mai 2017 hier am BlogTirol.
Fotos: Tirol Werbung / Jens Schwarz