Mein Onkel auf der Alm
Ich muss mich bücken. Der Türstock ist niedrig, das Holz alt und verzogen. Ich trete auf den Holzboden, er knarrt. Meine Augen gewöhnen sich langsam an das Dunkel im Inneren der Hütte. Links neben der Tür erkenne ich eine alte Feuerstelle. Hier lagert das Brennholz. Längst steht an anderer Stelle ein ebenso in die Jahre gekommener Holzherd aus Edelstahl. Es gibt mittlerweile Strom. Eine Duschkabine im Raum nebenan. Und ein Wasserklosett, wer hätte das gedacht. Das Dach ist neu.
Trotz dieser Modernisierungen ist die Hütte in ihrem Wesen geblieben, was sie ist. Eine 250 Jahre alte Almhütte, die so einiges erzählen könnte über die Senner und Hirten, die hier viele Sommer verbracht haben. Jahreszahlen und Namen, geritzt in die alten Balken sind Zeitzeugen.
Diesen Sommer ist die Hütte das Reich von Franz Rendl, Hirterbua und Onkel. Seit ich denken kann, haben wir als Familie Onkel Franz auf seinen Almen besucht. Ich liebte die frische, sahnige Kuhmilch, die wir Kinder dort zu trinken bekamen. Und das süße Melchermus, das wir alle dicht aneinander gedrängt direkt aus der Gusseisenpfanne löffelten.
Die Nockalm im Brixental ist seit ein paar Jahren sein Domizil. Seit kurzem wurde der Stall neu gebaut. Ein großer, heller Stall, in dem die Kühe ein- und ausgehen können, wie sie wollen. Eine moderne Melkanlage. Ein Kühlhaus. Die Erleichterung hat aber auch eine große Umstellung für den Hirten mit fast 60jähriger Almerfahrung bedeutet. Ich will wissen, wie es meinem Onkel damit geht. Und wie das Leben auf der Alm überhaupt ist. Und was ihm daran gefällt. Oder auch nicht.
Onkel Franz, seit wann verbringst du deine Sommer auf Almen?
„Seit 59 Jahren. Aber auch schon früher, als 13 Jähriger Bua hab ich immer wieder auf der Alm mitgearbeitet.
Für uns klingt das romantisch. So ein Leben auf der Alm. Wie ist es wirklich?
„Nun, schon viel Arbeit. Ich habe 25 Kühe zur Aufsicht bekommen. Melken. Ausmisten. Und was sonst noch zu tun ist. Mehrere Stunden am Vormittag und abends, jeden Tag. Gottseidank hilft mir fleißig meine Barbara.“ Er lächelt seine Lebensgefährtin, die seit einigen Jahren an seiner Seite ist, an. Sie lächelt zurück. Schön.
Ist es durch den modernen Stall nicht einfacher geworden?
„Weniger gefährlich. Früher hab i die Kühe zusammentreiben müssen und zum Melken anbinden. Da hat’s immer wieder Kühe geben, die sich wehrten. Da musste man schon aufpassen, nicht verletzt zu werden. Heute gehen die Kühe fast alle von selbst zur Melkanlage. Eine spinnerte ist aber immer drunter.“ (Jetzt muss ich schmunzeln – ist das dann die berühmte blede Kuah?)
„Jeweils acht Kühe können gleichzeitig gemolken werden. Zuvor müssen sie gesäubert, ihre Zitzen desinfiziert und an die Melkmaschine angeschlossen werden. Der Melkvorgang, der einige Minuten dauert, muss überwacht werden. Außerdem wird der Stall täglich sauber gemacht. Ich mag es nicht, wenn die Tiere in ihrem eigenen Dreck liegen müssen.“
Der Stall ist großzügig, hell und freundlich. Schon besser für die Tiere, oder?
„Ja, schon, weil sie sich frei bewegen können. Es gibt aber auch Nachteile. Die Bremsen fühlen sich im hellen und offenen Stall deutlich wohler und piesacken die Kühe anständig. Die alten dunklen Ställe wurden von diesen lästigen Insekten eher gemieden.“
Die alte Hütte, im Hintergrund der moderne Stall
Was geschieht mit der Milch?
„Die kommt automatisch über die Melkanlage in einen vorgesehen Behälter und wird auf 4 Grad abgekühlt. Jeden zweiten Tag wird sie abgeholt.“
Machst du noch Butter und Käse?
„Heute nicht mehr, früher schon. Graukas hab ich viel gemacht. Gebuttert hab ich auch selber. Da wurde die Butter im Holzbottich geschlagen und gestampft, bis sie geschmeidig wurde. Das war recht lustig, denn so mancher Tourist, der zufällig vorbei gekommen ist, hat mich gefragt, was ich da mache. Ich hab dann behauptet, ich erzeuge Strom.“ Er lacht schelmisch. „Sie haben nicht daran gezweifelt“.
Ziehst du in die neu gebaute Wohnung, die beim Stall gerade fertig gestellt wird?
„Nein, sicher nicht! Hier in dieser Hütte ist mein Platz. Nach dem Bau des neuen Stalles hätte sie abgerissen werden sollen. Wie kann man so etwas nur ernsthaft überlegen? Da sie auch als Lager dient, ist das Gottseidank vom Tisch. Es ist mehr als eine Hütte. Da steckt 250 Jahre Almgeschichte in den Wänden.“
Wie kommen die Kühe eigentlich auf die Alm?
Und wieder runter?
Sie werden mit Anhängern im Frühsommer raufgebracht. Und runter gehen sie von selber, wir treiben sie direkt über die Hänge ins Dorf. Dort werden sie dann aufgeputzt. Almabtrieb halt. Ein Fest.
Ein gemütlicher Ratscher mit Gästen, die vorbeischneien, geht sich am frühen Nachmittag noch aus
Man könnte die Kühe ja rein theoretisch wieder rauftreiben und für die Touristen wieder abtreiben?
(Ich kann mir diese Frage nicht verkneifen)
Franz lacht. „Ja, in einem Ort haben sie das schon mal probiert. Da hat’s irgend ein Jubliäumsfest gegeben und da wurden die Kühe 14 Tage früher abgetrieben, sozusagen als Einlage beim Fest. Danach hätten die Kühe wieder rauf sollen. Keine Chance! Wenn die mal unten sind, datreibt die keiner mehr rauf. Die mögen nimma.“
Ein paar Mal im Leben hat Franz schon ein Melchermuas gemacht…;-)
Was machst du, wenn nichts zu tun ist?
„Zu tun ist immer was. Aber wenn Zeit ist, schnitze ich Edelweiss aus Holz. Oder ich trink mit meiner Barbara einen Kaffee und wir machen einen Karschta (Karten spielen). Wer verliert, muss das Geschirr abspülen. Meistens gwinnt sie. I weiß nit genau, wie sie das macht“ Er zwinkert Barbara zu, die geheimnisvoll lächelt.
Schnitzen von Holz-Edelweissen, wenn Zeit ist
Was magst du an diesem Leben?
Die Natur. Die Arbeit mit den Tieren. Die Ruhe.
Alles zusammen ist einfach schön, egal wie beschwerlich es auch sein mag.
Das Schnapserl nach dem Melchermuas ist eine unausgesprochene Notwendigkeit
Onkel Franz, du bist heuer 80 geworden.
Wann geht jemand wie du in Pension?
„Nun ja, die 60 Jahre möchte ich schon noch voll machen.“ Er zögert. „Danach.“
Er lacht verschmitzt. „Vielleicht.“
Franz zwinkert mir zu und schenkt mir ein Schnapserl ein. Das Schnapserl hab ich auch dringend nötig. Denn sahnige Milch und leckeres Melchermuas hat es auch heute wieder für mich gegeben.
Wie früher war der Besuch bei Onkel Franz etwas Besonders. Und irgendwie bin ich mir sicher, ich werde meinen Onkel noch weitere Jahre auf seinen Almen besuchen kommen. Ich freu mich schon darauf.
Vorbereitung des Milchbehälters
Die Kühe kommen von selbst zur Melkanlage
Die Euter werden vor dem Melkvorgang desinfiziert
Zeit für ein paar Streicheleinheiten muss sein
Franz schließt die Melkanlage an die Zitzen an
Während die Kühe beim Melken sind, wird der Stall gesäubert
nach dem Melken sind die „Kuselen“ wieder ganz entspannt
Schmeckt am besten mit frischer Kuhmilch