Lernen von früher
Ob Bergführer Horst Fankhauser heute nochmal mit dem alten Equipment einen Berg besteigen würde? – „Ohne Weiteres!“
Ja, so sind wir damals auf den Berg
Kniebundhose, Kniestrümpfe, Lederstiefel, Flanellhemd: Horst Fankhauser liegt im Gras, neben ihm ein Seil aus Hanf. Das Bild könnte einem Sportkatalog entsprungen und mit „Vintage-Trend“ untertitelt sein. Aber es wurde Anfang der 1960er-Jahre aufgenommen. „Ja, so sind wir damals auf den Berg“, erzählt Fankhauser. Zu seiner ersten Bergtour brach er als Neunjähriger gemeinsam mit seinem Vater auf. Es folgten Touren und Besteigungen im Himalaya, in den Anden, in zahlreichen anderen Gebirgen der Welt – und natürlich daheim in Tirol.
Horst Fankhauser heute…
…und früher.
Wir stehen im Materialraum des 75-jährigen Bergführers und bis heute aktiven Kletterers in Neustift im Stubaital. Zwischen bunten, in hellen Tönen klappernden Alu-Karabinern, Friends und Sicherungsgeräten der neuesten Generation zieht Fankhauser ein paar Dinosaurier hervor. Große, schwere Karabiner aus Eisen. Ohne Schraub- oder Schiebesicherung. Mit einfachem Klappmechanismus. „Als dann die Halbmastwurf-Karabiner, also Karabiner mit einer breiten, birnenförmigen Stirnseite, und die ersten Modelle aus Aluminium auf den Markt kamen, sind wir alle sofort umgestiegen“, erzählt er. So ein Umstieg, der Kauf von neuem Equipment, war für Fankhauser eine echte Besonderheit. „Bei uns galt: Wenn es noch funktioniert hat, haben wir es benutzt. Getauscht wurde, wenn etwas wirklich kaputt war oder etwas Sinnvolles und revolutionär Neues herausgekommen ist.“ Neben den Alu-Karabinern waren das vor allem die Synthetik-Seile, welche die schweren, meist 12-Millimeter dicken und im gefrorenen Zustand extrem steifen Modelle aus Hanf ersetzten. „Und die 12-Zacken-Steigeisen“, lacht Fankhauser und zeigt, was deren Vorgänger waren. Eine massive, geschmiedete Eisen-Variante des Steigeisens. Ein Zehnzacker. Eine Sonderanfertigung mit einem Lederverschluss anstelle der damals noch üblichen Bindung mit Gurten. Die neuartige Bindung hatte sich Fankhauser selbst ausgedacht und für seine Besteigung des Manaslu (8.156 Meter) 1972 zusammen mit der Stubaier Werkzeugindustrie umsetzen lassen. „Heute geht es ja oft nicht darum, welche Ausrüstung sinnvoll ist. Man will dabei sein. Man muss dabei sein“, sagt Fankhauser. 30 Jahre lang, bis 2004, war er Betreiber einer Alpenvereinshütte im Stubaital. Nicht wenige Wanderer seien dort, auf 2.147 Metern, mit einer Menge hochalpinen Ausrüstung angekommen. „Als hätten sie noch 6000 Höhenmeter vor sich.“ Wenn Fankhauser über Ausrüstung redet, ist es vor allem eins: ein Plädoyer für Vernunft und Zurückhaltung.
Die Zehnzacker-Steigeisen haben eine besondere Geschichte zu erzählen.
Sie waren eine Spezialanfertigung für Fankhauser...
... mit denen er 1972 die Manaslu-Expedition gegangen ist.
Stoff für Geschichten
Ein Blick in Fankhausers Bilderarchiv zeigt: Bundhose, Hemd und Pullover aus Schafwolle, dazu von der Mutter selbstgestrickte Wollstrümpfe – so ging es einst auf den Berg. Regionale Produkte ohne lange Lieferketten. „Um ehrlich zu sein: Die Knickerbocker waren schon damals eher eine Modegeschichte“, sagt Fankhauser. Materialien wie Gore-Tex und Hyvent-Beschichtungen, die einerseits viele Funktionalitäten kombinieren, andererseits jedoch kaum oder nur mit großer Anstrengung und Energieaufwand zu recyceln sind, gab es einfach noch nicht. „Funktional war die Kleidung damals dennoch“, sagt Fankhauser. Kaum ein Stoff sei atmungsaktiver als Schafwolle. Trocknet auch wesentlich schneller als Baumwolle und riecht weniger als synthetisches Material. Wurde es zu warm, hat man die Socken einfach bis zum Knöchel runtergeschoben. An den Händen: gewalkte Wollfäustlinge. Um diese zu isolieren, wurde manchmal noch ein zweiter Handschuh aus Segelstoff drübergezogen. Ob Waldpfad, Geröllfeld oder Kletterroute im höchsten Schwierigkeitsgrad sowie in Eiswänden – an den Füßen waren immer die gleichen Lederschuhe.
Nein, Fankhauser ist kein Nostalgiker. Die Fortschritte in der Ausrüstung in den letzten Jahrzehnten seien enorm positiv. Ob er heute nochmal mit seinen alten Schuhen, den eisernen Karabinern oder dem schweren Pickel aus Eisen und Holz an den Berg gehen würde? „Zum Spaß ja! Ohne Weiteres!“
So ging man früher in die Berge.
Gletscherbrille, Kniebundhose, Lederstiefel – die Outfits von früher haben heute einen hohen Style-Faktor.
Müll reduzieren und Carsharing 1.0
Über mehrere Jahrzehnte begleitete Fankhauser, der 1966 Bergführer wurde, die unterschiedlichsten Gruppen Richtung Gipfel – und wieder zurück. Welche Entwicklungen sieht jemand, der so viel Zeit hat, die Wahrnehmung der Menschen dem Berg und der Natur gegenüber zu beobachten? „Vor allem viel Gutes“, sagt Fankhauser. „Früher haben wir jeden Sommer mehrmals im Umfeld der Hütte den Müll zusammengesammelt. Heute ist es kaum mehr notwendig.“ Als langjähriger Hüttenbetreiber hat er über die Jahre ähnliches beobachtet. Zwar warfen die Besucher ihre Abfälle mehrheitlich ordnungsgemäß in die aufgestellten Müllkübel, „aber dann hatten wir natürlich den Aufwand und die Kosten, den Müll ins Tal zu bringen und zu entsorgen. Also haben wir die Mülleimer abmontiert.“ Das Ergebnis? „Die Leute produzierten weniger Müll und nahmen ihre Abfälle mit zurück ins Tal“, sagt Fankhauser.
So wie die klassische Wollkleidung jahrelang zu Unrecht in Vergessenheit geriet, verlief auch die Anreise früher – oft aus der Not heraus – nachhaltiger als heute. Nicht jeder hatte ein Auto, also hat man seine Touren genauer geplant und soweit möglich Fahrgemeinschaften gebildet. Die Seilschaft fängt schließlich nicht erst am Berg an. „Wir sind auch oft mit dem Zug angereist, weil das einfacher oder sinnvoller für das gewählte Tourenziel war“, erzählt Fankhauser. Statt Tages- oder kurzen Wochenendtrips hat man längere Touren geplant und sich dafür einen guten Ausgangspunkt gesucht. „Wir sind oft einfach eine Woche auf einer Hütte geblieben und haben unsere Wanderungen und Touren von dort aus gemacht. Da hat man nicht geschaut, wie das Wetter morgen in Italien wird und ist schnell weitergefahren.“
Einblick in ein beeindruckendes Archiv.
Wurstbrot im Zeitungspapier – doppeltes Recycling
Statt Power-Riegel und Elektrolyt-Drinks hatte Fankhauser bei seinen Touren ein Käse- oder Wurstbrot als Verpflegung dabei. Plastikfrei, versteht sich. „Wir haben’s eben in irgendein Papier eingepackt. Zeitungspapier, Butterpapier, was man gerade so gehabt hat. Und wenn man nach der Jause hinter einem Stein verschwunden ist, hat man das Papier gleich nochmal verwenden können“, lacht er. „Das war Recycling!“
Die Frage, ob Plastik-, Alu- oder Glasflasche die günstigste Wahl für Tourengeher ist, hat sich für Fankhauser noch nie gestellt. Wasser gehört nicht zu seinem Gepäck. Niemals. Gebirgsbäche, Schnee, Gletscherseen – getrunken wird, was man auf dem Weg findet. Wenn der Mund zu trocken wird und nichts Trinkbares da ist, erzählt Fankhauser, gibt’s eine einfache Methode: Einen kleinen Stein suchen, in den Mund nehmen und lutschen. „Dann bildet sich wieder Speichel und der Mund ist nicht mehr trocken.“ Manchmal hat er früher trotzdem eine Flasche mit an den Berg genommen – statt aus Plastik aber eine aus altbewährten Materialien: eine dünne Aluflasche mit Filz-Überzug. Fankhauser zeigt ein Foto mit der alten Flasche. Die stamme aus der Generation vor ihm. Nur: Wasser war da selten drin. Stattdessen: gezuckerter und mit Wasser verdünnter Rotwein.
Bei der Verpflegung am Berg hat sich einiges getan – auch auf den Hütten. Fankhauser betrachtet das mit gemischten Gefühlen. „Es muss nicht sein, dass es auf einer Hütte eine Speisekarte mit dreißig Gerichten gibt.“ Eine bloße Schutzhütte ginge aber auch am Geist der Zeit vorbei. Fankhauser hat eine klare Meinung: Die flächendeckende Einführung von speziellen Halbpensionsangeboten auf den Hütten könnte helfen, viel Energie einzusparen. Ein Fleischgericht, eins für Vegetarier und ansonsten: Jause, Brotzeit und Marschtee vom Frühstücksbuffet. So lasse sich der Aufwand deutlich reduzieren – bei der Anlieferung und Zubereitung der Speisen genauso wie beim Abtransport und der Aufbereitung des Mülls. „Gerade bei der Anlieferung zu den Hütten sehe ich noch Potential“, sagt Fankhauser. Genau wie bei der Form der Energiegewinnung für Hütten. Wo es sinnvoll ist, sollte vermehrt auf Wasserkraft statt auf Blockkraftwerke gesetzt werden, sagt er, um sich die Gewinnung von Strom aus Rapsöl zu sparen, welches ohnehin erst aufwendig angeliefert werden müsse.
Materialien, Techniken, Mode – vieles hat sich geändert in den letzten Jahrzehnten. Eines ist jedoch gleichgeblieben: Horst Fankhauser geht noch heute gerne in die Berge. Zum Berg- und Skitourengehen oder zum Klettern. Jetzt allerdings mit Synthetik-Seil und Alu-Karabinern. Wasser nimmt er noch immer nicht mit.
Fankhauser blickt mit Spaß auf vergangene Zeiten zurück.
5 schnelle Tipps, die wir uns heute von früher abschauen können
- Nicht jeden Equipment- und Outdoor-Trend mitgehen. Neue Kleidung und neues Material dann kaufen, wenn es nötig ist oder eine Innovation die Bergtour wirklich erleichtert.
- Bei den Kleidungsstücken auf natürliche Materialien setzen, auf regionale Wollprodukte setzen – zumindest für die Zwischenschicht.
- Nicht jeder muss mit dem eigenen Auto anreisen – Fahrgemeinschaften bilden und wenn möglich mit dem Zug anreisen.
- Naturschutz hört nicht beim Mitnehmen des eigenen Mülls auf. Auch auf Hütten darauf achten, regionale Speisen zu bestellen.
- Altes Papier statt Plastikbeutel zum Verpacken der Jause benutzen. Eine nachhaltige Verpackungsalternative aus Tirol: das Bienenwachstuch
Fotos: Matthias Ziegler und Horst Fankhauser