Ganz und radikal ehrlich
Katharina Schaller, ihr Debütroman "Unterwasserflimmern" wurde in zahlreichen Medien für seine sinnliche und schnörkellose Sprache gefeiert.
Einen Roman wie „Unterwasserflimmern“ hat noch nie ein Mensch aus Tirol geschrieben. Schonungslos schreibt die junge Autorin Katharina Schaller über Sex, Sinnlichkeit und Erwartungen, die bis heute an Frauen gestellt werden. Unser Autor traf die Schriftstellerin in ihrem Innsbrucker Büro.
Lass uns über den Arsch deiner Hauptfigur reden. Wenn deine Erzählerin über ihren Körper nachdenkt, sagt sie nicht Hintern oder Po, sondern Arsch. Hast du bei der Wortwahl je gezögert?
Überhaupt nicht. Das ganze Buch findet ja im Kopf dieser Frau statt. Mir war die Nähe zu der Protagonistin wichtig. Ich wollte alle Menschen, die das Buch lesen, direkt in die Erzählerin hineinschauen lassen. Nichts beschönigen.
Ich hab mich gefragt, ob diese Direktheit etwas mit der Derbheit zu tun haben könnte, die Tirolern ja manchmal nachgesagt wird, beispielsweise von Hamburgern?
Klar ist Direktheit Teil der Tiroler Mentalität. Wir duzen uns alle immer gleich und benutzen bevorzugt informelle Sprache. Trotzdem schlägt die deutschsprachige Literatur auch in Österreich eher selten eine wirklich drastische Tonlage an. In Frankreich, wo es diese starke libertäre Tradition gibt, klingt das schon ganz anders. Aber ich finde solche schonungslosen Texte wichtig, weil dann etwas mit dem Bild passiert, das wir uns von Frauen machen.
Apropos drastische Tonlage. Das Appartement, in dem die Erzählerin, eine junge Frau, deren Wohnort absichtlich sehr neutral bleibt, ihren Lover trifft, nennt sie „Fickwohnung“.
Ja, sie benutzt eine ganz und gar unverblümte Sprache, ist sich selbst gegenüber radikal ehrlich. Wenn der Text von einem Mann stammte, würde man ihn ganz anders lesen. Bei Michel Houellebecq, beispielsweise, geht es ja noch viel härter zu.
In „Unterwasserflimmern“ erlebt eine Frau eine sexuelle Freiheit, die meist nur männlichen Romanfiguren zugestanden wird. Gleich zu Beginn hat die Erzählerin Sex mit ihrem Partner – kurz zuvor hatte sie mit ihrem Lover geschlafen. Trotzdem, im Laufe des Romans flieht sie vor der Enge der traditionellen Partnerschaft – und kommt noch anderen Männern und Frauen nahe.
Das Thema Betrug zieht sich als roter Faden durch den ganzen Roman hindurch. Ich hatte nicht damit gerechnet, was das bei manchen Leserinnen und Lesern triggert. Wie extrem und aggressiv die Reaktionen auf das Verhalten der Erzählerin sein würden. Sie bekommt die ganze Kritik ab, nicht die Männer, die ja auch betrügen. Das sagt natürlich viel über die gesellschaftliche Rolle von Frauen aus, die stets nett, lieb und sympathisch sein sollen. Es wird nach wie vor mit zweierlei Maß gemessen.
Empfindest du deine Umwelt auch manchmal selbst einengend?
Mit Tirol verbindet mich eine Hassliebe. Wie die meisten Tiroler verbringe ich gerne Zeit in der Natur und den Bergen, mache ich viel Sport. Es ist aber auch eine sehr kleine, überschaubare Welt, in der wir hier leben. Nicht nur in dem Dorf, in dem ich groß geworden bin. Tirol ist nach wie vor sehr katholisch und auf Traditionen bedacht. Es geht hier noch sehr patriarchalisch zu. Es ist schon bezeichnend, dass ein hochrangiger Tiroler Politiker eine Umweltaktivistin als „widerliches Luder“ bezeichnen kann und nichts passiert. Aber es gibt inzwischen zum Glück auch Frauen, die laut werden. Ich nehme eine große gesellschaftliche Spannung wahr.
Wann hast du angefangen, gegen diese Mentalität zu rebellieren?
Eigentlich erst sehr spät. Ich hatte es sehr schön als Kind. Ich bin auf einem Bauernhof in Obsteig auf dem Mieminger Plateau aufgewachsen. Bei Oma und Opa. So ein bisschen Heidi-mäßig, mit Kühen, Schweinen und Hühnern. Meine Großeltern hatten eine sehr große Toleranz. Und sie haben andere nicht ständig bewertet und kritisiert, wie das auf dem Land ja sonst sehr üblich ist. Für mich war diese offene Haltung sehr prägend.
In der Tiroler Gegenwartsliteratur ist oft von einer Sprachlosigkeit die Rede, von der Schwierigkeit, Gefühle auszudrücken. Empfindest du das auch so?
Ja, und bei den Männern ist es noch schlimmer als bei den Frauen. Man diskutiert das ja heute oft im Kontext mit der traumatisierten Kriegsgeneration, die ihre Unfähigkeit, Gefühle auszudrücken, an die Nachkommen weitergegeben hat. Ein Teil der Härte, die die Menschen hier oft ausstrahlen, hat natürlich auch mit unserer rauen Umgebung zu tun. Die Menschen im Gebirge mussten sich diese Härte zulegen, um überleben zu können. Reste dieses Wertesystems tragen wir sicher immer noch in uns.
Die Hauptfigur in deinem Roman ist im Gegensatz dazu eine sehr empathische Person.
Ich würde sagen: Sie ist sich selbst gegenüber ehrlich. Die Vorstellung, dass es eine Hauptbeziehung geben muss und man romantische Gefühle nur in einer gereiften Zweisamkeit erleben kann, teilt sie nicht. Auch kurze Begegnungen haben für sie eine Existenzberechtigung. Es geht mir mit dieser Geschichte schon auch darum darzustellen, wie sehr wir von bestimmten Bewertungssystemen geprägt sind. Viele Menschen haben in ihrem Leben Affären, aber kaum jemand will sich dieser Realität stellen. Eine andere gängige Vorstellung ist die Idee, dass man seinem Partner einen Fehltritt beichten sollte und sich damit die Absolution holen muss. Warum? Das sind ja sehr katholische Muster.
Deine Protagonistin wäscht sich ganz physisch im Meer rein.
Oder unter der Dusche. Man kann sich im Wasser eben ganz wunderbar von seiner Umwelt abschotten, untertauchen, sich von allem befreien.
Hast du den Roman eigentlich am Meer geschrieben? Man kann das Salz auf der Haut fast schmecken.
Ja, Teile sind in Portugal entstanden, aber das meiste habe ich hier in Innsbruck geschrieben.
Und gab es Momente, in denen du gezögert hast, den Text so radikal weiterzuschreiben?
Eigentlich nicht. Die Handlung war nicht von Anfang an festgelegt, sondern wurde von meinen Erfahrungen während des sehr intensiven Schreibprozesses beeinflusst. Ich habe mich frei gemacht von dem Gedanken, was andere über den Roman denken könnten. In vielen Interviews wurde ich gefragt, wie meine Familie auf das Buch reagiert hat. Dazu nur so viel: Ich habe den Text meiner Oma zum Lesen gegeben und er hat ihr abgesehen von ein paar Ausdrücken gut gefallen. Meine Oma ist 82.
„Unterwasserflimmern“ ist ein sehr körperliches Buch. Deine Erzählerin nimmt ihre Umwelt mit allen Sinnen wahr. Man kann das sehr gut nachspüren. Auch als Mann übrigens.
Obwohl es eine erfundene Geschichte ist, haben diese Beschreibungen viel damit zu tun, wie ich selber durch die Welt gehe. Ich erinnere mich oft an Situationen, indem ich mir körperliche Details vergegenwärtige. Wie die Muscheln meine Fußsohlen am Strand gepikst haben, wie es in einer Wohnung gerochen hat oder wie sich das anfühlt, wenn man barfuß über einen klebrigen Fußboden läuft.
Der klassische Lebensentwurf „Kinder und Hausbau“ kommt in deinem Roman nicht gut weg. Es gibt eine Szene, wo die Protagonistin und ihr Partner ein befreundetes Paar besuchen, das gerade ein neues Eigenheim bezogen hat. Deren selbstgerechte Gemütlichkeit hat mich als Leser mit blankem Horror erfüllt.
Wenn Menschen Anfang 30 sind und in einer Partnerschaft leben, müssen sie ständig damit rechnen, gefragt zu werden: Kinder? Haus? Wann ist es bei euch so weit? Die Selbstverständlichkeit, mit der dieses Muster wiederholt wird, ist schon unglaublich. Frauen, die keine Kinder haben, werden immer noch bemitleidet. Viele Kritiker haben die Protagonistin als eine Person beschrieben, die nicht erwachsen werden will.
Wie hast du entdeckt, dass eine Schriftstellerin in dir steckt?
Ich hab schon immer gern geschrieben, aber das mussten nicht unbedingt literarische Texte sein. Das literarische Schreiben hat sich erst später entwickelt. Ich habe Sprachwissenschaften studiert und in einer Werbeagentur gearbeitet. Da wurde es mir aber schnell langweilig. Ich wechselte dann ins Verlagswesen und bin heute Lektorin. Es fasziniert mich, mit ganz verschiedenartigen Autor:innen zu tun zu haben. Mir gefallen besonders gut Texte, die sehr direkt sind. Eine Autorin, die mich schon lange sehr begeistert hat, ist beispielsweise die amerikanische Punk-Autorin Kathy Acker. Das ist einerseits sehr experimentell, aber das Erzählte sprudelt direkt aus ihr heraus. Der Elfenbeinturm spricht mich eher nicht so an.
In deinem Roman gibt es einige zentrale Figuren, die sehr viel lesen, und man bekommt den Eindruck, dass sie zu viel lesen. Ich frage dich als Schriftstellerin und Lektorin: Gibt es Menschen, die zu viel lesen?
Sich hinter Wissen zu verstecken, kann durchaus eine Weigerung sein, sich mit der Realität und den Mitmenschen auseinanderzusetzen. In meinem Buch ist das Tanzen eine Art Gegenmodell zum Lesen. Dieser Ausdruck von voller Körperlichkeit ist ja übrigens etwas, das in unserer Tiroler Mentalität nicht so sehr verhaftet ist.
Katharina Schaller, Jahrgang 1989, studierte Sprachwissenschaften und arbeitet heute als Lektorin im Löwenzahn und Haymon Verlag in Innsbruck. Ihr Debütroman „Unterwasserflimmern“ wurde in zahlreichen Medien für seine sinnliche und schnörkellose Sprache gefeiert.