Bergführer Thomas Rabl und der schönste Arbeitsplatz der Welt
Wir treffen uns auf 1804m Seehhöhe auf der Terrasse des Wildseeloderhauses bei Fieberbrunn. Thomas kommt gerade vom Marokka-Gipfel retour, von einer zweistündigen Klettersteigtour, die er geführt hat. Und freut sich auf den flaumigen Kaiserschmarrn, den er gerade bestellt hat.
Thomas, warum bist du Bergführer geworden?
„Das lag auf der Hand. Schon als kleines Kind sind meine Eltern viel mit mir gewandert. Die erste fünfstündige Bergtour unternahmen meine Eltern mit mir, als ich zweieinhalb Jahre war. Mit Vierzehn habe ich meine erste eigenständige Gebirgsdurchquerung im Steinernen Meer organisiert. Ein Freund von mir und ich waren eine Woche allein in den Bergen unterwegs, 6 bis 7 Stunden am Tag.“
Mit Vierzehn allein in den Bergen? Hat sich da niemand gewundert?
„Doch, natürlich. Auf den Hütten wurden wir immer wieder gefragt, wo denn unsere Eltern wären.“ Thomas schmunzelt. „Aber wir wussten uns zu helfen. Ein älterer Mann machte offensichtlich eine ähnliche Runde wie wir – wir trafen ihn immer wieder. Wir haben dann einfach behauptet, das wäre unser Papa. Dann hatten wir unsere Ruhe.“ Schlau, die Burschen.
Somit wurde das Bergsteigen in den Tiroler Bergen deine Lieblingsbeschäftigung?
„Nicht nur das Bergsteigen. Auch das Klettern. Im Winter das Skitourengehen. Und nicht nur in Tirol – ich war in den Dolomiten, den hohen Tauern, den Westalpen, den Anden und im Himalaya.“ Ich überlege mir gerade, wie viele Höhenmeter Thomas bereits in den Wadeln hat. Das müssen einige sein.
Immer nur in deiner Freizeit?
„Ja, zuerst schon. Als gelernter Innenarchitekt absolvierte ich nebenberuflich vor einigen Jahren die zweijährige Intensivausbildung zum staatlich geprüften Bergführer. Es ist einfach eine Leidenschaft von mir, Touren zu planen und bergbegeisterte Menschen auf ihren Wanderungen zu führen. Also machte ich mein Hobby zum Hauptberuf und die Innenarchitektur zum Nebenjob. Das passt jetzt sehr gut so für mich.“ Interessante Kombination.
Welche Voraussetzungen braucht man, wenn man Bergführer werden will?
„Man sollte ein guter Allround-Alpinist sein. Es reicht nicht, wenn man entweder nur sehr gut Ski fährt, dafür nicht gut klettert oder umgekehrt. Man sollte immer über dem Niveau sein, welches die Tour fordert. Und man sollte Freude daran haben, Menschen zum Sport am Berg zu motivieren.“
Das stelle ich mir nicht so einfach vor! Anfänger sind ja oft unsicher… braucht man da nicht unglaublich viel Geduld?
„Das ist kein Problem, darauf stelle ich mich ein. Es geht um viel mehr, als jemanden nur auf den Berg zu bekommen. Ich ermögliche dem Gast Erlebnisse, die er allein nie machen könnte. Diese Erfahrungen mitzuerleben, ist etwas sehr Schönes für mich.“
Wann lohnt es sich, einen Bergführer zu engagieren?
„So gut wie immer! Bei einer geführten Tour kann man viel erfahren und lernen. Die Gäste bekommen Tipps von mir, auch zum Thema Sicherheit. Leider werden die Gefahren am Berg oft unterschätzt. Ich kann sie vor gefährlichen Situationen bewahren, indem ich sie darauf aufmerksam mache und ihnen helfe, sie zu vermeiden oder richtig damit um zu gehen. Außerdem zeige ich ihnen, wie ein Bergsteiger seine Kräfte am besten einteilt, um eine längere Tour zu bewältigen. Wichtig ist hier vor allem, das persönliche Schritttempo zu finden und richtig zu atmen.“
Buchen dich auch bergerfahrene Gäste?
„Ja, natürlich. Mittlerweile habe ich etliche Stammgäste, die neue Gegenden kennen lernen wollen und keine Zeit oder Lust haben, die Tour zu planen. Das mach ich dann gerne für sie. Es gibt auch geübte Wanderer, die zum Beispiel das erste Mal einen Klettersteig begehen möchten. Ich zeige ihnen, wie sie sicher durch die Tour kommen und stelle ihnen für das erste Mal die Ausrüstung zur Verfügung, dann müssen sie diese nicht gleich kaufen.“
Und was ist, wenn ein Gast eine Tour bei dir bucht und sich selbst überschätzt?
„In der Regel sehe ich beim Kennenlernen sofort, was dem Gast zumutbar ist. Das macht die Erfahrung. Ich lerne durch meine Touren sehr viele unterschiedliche Menschen kennen und kann sie gut einschätzen. Und wenn ich sehe, dass der Gast mehr will als er mit großer Wahrscheinlichkeit kann, schlage ich etwas anderes vor, was ihm genauso gut gefällt und er leichter bewältigen kann. Die Freude und die Sicherheit sollen immer im Vordergrund stehen.“
Was ist für dich die größte Belohnung?
„Wenn wir am Gipfel stehen und mein Schützling aus dem Strahlen nicht mehr heraus kommt. Wenn er stolz auf sich ist, was er geschafft hat. Und wenn er zurück kommt nach Tirol, nur um dieses Gefühl wieder zu erleben. Das ist für mich das Größte.“ Jeder, der schon mal auf einen Gipfel war, kann das nachvollziehen. „Nicht selten werden Anfänger zu geübten Alpinisten. Bei dieser Entwicklung behilflich gewesen zu sein, ist eine große Selbstbestätigung meiner Arbeit. Hinzu kommt, dass ich diese Arbeit in einer unglaublich schönen Umgebung ausüben kann. Schau dich um, für mich habe ich den schönsten Arbeitsplatz, den ich mir vorstellen kann.“ Gerade an diesem wolkenlosen Tag kann ich gut verstehen, was er meint.
Wie oft wirst du gebucht?
„Ich bin durchschnittlich an 150 Tagen im Jahr unterwegs. Dabei bin ich nicht nur in Tirol. Stammgäste buchen mich auch für Touren im Ausland. Zum Beispiel werde ich nächstes Jahr vier Wochen auf einer Expedition in Kanada unterwegs sein um den Mount Logan, 5959m, zu besteigen. Ein Stammgast hat mich dazu gebucht.“ Warum zeichnet sich jetzt ein Grinsen auf Thomas Gesicht ab? Ich ahne es. So etwas muss für einen erfahrenen Alpinisten wie ihn etwas ganz Großartiges sein.
Wie komme ich zu einem kompetenten Bergführer hier in der Gegend?
„Bei uns gibt es die „Kitzbüheler Bergführer„. Das ist eine Gruppe staatlich geprüfte Bergführer, die sich ständig weiterbilden, auch in Trendsportarten, welche dann angeboten werden. Wenn du mal was probieren willst, rufst bei mir an und ich sehe, wer frei ist und gebucht werden kann.“
Und was ist, wenn ich deine Nummer nicht habe?
„Kein Problem! Du findest sie hier: Kitzbüheler Bergführer Wir arbeiten aber auch eng mit den hiesigen Tourismusverbänden zusammen, die melden sich dann bei uns, wenn sie eine Anfrage für einen Bergführer bekommen. Zusammen mit ihnen bieten wir auch geplante Führungen an, wie zum Beispiel Sonnenaufgang-Wanderungen.“ Das ist finde ich besonders toll. Vielleicht, weil ich einen Sonnenaufgang am Berg gerade heute früh hier erlebt habe.
Verrätst du uns deinen ganz privaten Lieblingskraftplatz?
Thomas überlegt nicht lange. „Es gibt keinen bestimmten Platz, sondern Momente. Zum Beispiel wenn ich im Dunkeln zum Berg aufbreche und es wird dann Tag – idealerweise an einer Stelle, an der sonst keine Menschen unterwegs sind. Abseits der klassischen Trampelpfade.“ Da kann ich jetzt mitreden. Wirklich wunderschön.
Woher bekommst du die Energie für deine Wanderungen?
„Ich stärke mich an der Tiroler Küche. Ich liebe Knödel in allen Variationen. Und natürlich Kaiserschmarrn.“ Thomas lächelt und steckt sich eine große Gabel voll mit Kaiserschmarrn in den Mund.
Ich bedanke mich für das nette Gespräch und schau gleich nach, was die Speisekarte des Wildseeloderhauses noch so an Tiroler Köstlichkeiten zu bieten hat. Obwohl ich keine Tour geführt habe, bin ich mindestens genauso hungrig wie Thomas. Dann muss wohl allein die gute Tiroler Bergluft daran Schuld sein… auch egal. Schmecken tut es mir trotzdem gut, da bin ich mir sicher.
Fotos: Marokka-Gipfel und Marokka-Klettersteig, Wildseeloderhaus.
Fotografiert von Robert Pupeter