Bergführer im Porträt – Bernhard Neumann und der Olperer
Es knackt und rauscht, dass man meinen könnte, der Berg bricht auseinander. An der Südflanke des Olperers löst sich ein Eisblock. Es sei selten, dass man solch abbrechende Seracs in Echtzeit beobachten könne, erklärt uns der Bergführer Bernhard Neumann. Wir befinden uns im Aufstieg auf seinen Hausberg, den 3.476 Meter hohen Olperer. Bernhard wirkt wie der Prototyp eines Bergführers: braun gebrannt, dunkle Haare, drahtige Statur, Dreitagebart, Kappe, Sonnenbrille. Das erste Mal am Olperer sei er wohl als Zehnjähriger gewesen, gemeinsam mit seinem Vater, ebenfalls ein Bergführer. So ganz genau weiß er es selbst nicht mehr, nach mehr als einhundert Olperer-Besteigungen.
Gletscherbrüche durchziehen die Südseite des Olperers, den Hausberg des Zillertaler Bergführers Bernhard Neumann.
Bernhard führt eine Alpinschule in Mayrhofen und begleitet Skitourenreisen in alle Welt. Seine Frau Kathrin sei der organisatorische Kopf der Bergschule, das gibt er unumwunden zu. Die beiden haben sogar ihre Hochzeitsreise auf chilenischen Vulkanen verbracht. Mit Tourenskiern. Kathrin haben wir es jedenfalls zu verdanken, dass wir heute mit ihrem Mann unterwegs sind, sie hat den Termin auf unsere Anfrage hin organisiert.
Die erste und leichteste Etappe des Tages liegt bereits hinter uns: Der Aufstieg vom 1.782 Meter hoch gelegenen Schlegeis-Stausee zur Olperer Hütte in 2.389 Metern Höhe. Kurz nach der Hütte kommen uns zwei Frauen und ein Husky entgegen. Die drei kehren zurück von einem morgendlichen Ausflug zum 3.072 Meter hohen Riepensattel. Bernhard kennt eine der beiden gut, Katharina, die Wirtin der Olperer Hütte. „Früher, bevor wir Kinder hatten, sind meine Frau und ich abends nach der Arbeit auf die Olperer Hütte gegangen, zum Abendessen“, sagt Bernhard. „Das Panoramafenster ist einmalig. Und das Hüttenteam um Katharina und Manuel, der kocht, macht einen ausgezeichneten Job.“
Unser Tagesziel auf der Landkarte: Der Olperer.
Die Olperer Hütte, beliebter Ausgangspunkt für die Ersteigung des Olperers.
Wer innerhalb eines Tages auf den Olperer will, muss schnell sein.
Wir schauen Richtung Süden, Bernhard zählt einige der Gipfel in unserem Blickfeld auf: Hochfeiler, der höchste Berg im Zillertal mit 3.510 Metern, hoher Weißzint, Großer Möseler.. In dieser Umgebung ist Bernhard Neumann also aufgewachsen, den Olperer immer im Blick. Als Zwanzigjähriger wagte er mit Freunden eine winterliche Überschreitung des Olperers von Nord nach Süd.. Damals habe er gemerkt, dass zu so einer ernsthaften Bergtour schon einiges dazugehöre, erzählt Bernhard. Manche seiner Freunde auf dieser Tour waren alpinistisch weit weniger erfahren als er. Das sei sicher eines der wichtigsten Erlebnisse gewesen, weshalb er später die Ausbildung zum Bergführer gemacht habe. Heute, mit Anfang Vierzig, bildet er selbst junge Bergführer aus.
Ein dumpfes Brummgeräusch begleitet uns. Diesmal ist es nicht der Eisbruch zu unserer linken, menschenleeren Seite. Rechts, ungefähr einen Kilometer Luftlinie von uns entfernt, erkenne ich eine Pistenraupe am Tuxer Ferner. Jetzt erst bemerke ich die Skipisten, die sich unter dem Doppelgipfel der Gefrorenen Wand ausbreiten. Skifahrer gleiten über den Schnee, und das am 19. Juli.
Der Schlegeis-Stausee, unser ständiger Begleiter am Weg auf den Olperer.
Bernhard seilt uns an. Im Hintergrund zu sehen: Der Gipfelgrat.
Den Olperer kann man vom Hintertuxer Skigebiet aus mittlerweile als Tagestour machen. In früheren Zeiten war dieser Berg eine extreme Herausforderung. Bevor es die Gletscherbahn in Hintertux gab, mussten Bergsteiger zunächst zum Spannagelhaus aufsteigen, an dessen Stelle noch heute eine Hütte steht. Von der rund 2.600 Meter hoch gelegenen Hütte aus war der 3.476 Meter hohe Olperer immer noch eine knackige Tagestour – mit einem langen Gletscher dazwischen. „Der 86-jährige Onkel von meiner Frau, ein Bergführer und Schustermeister, hat das noch gemacht“, erzählt Bernhard. „Das war früher für die Bergsteiger schon eine große Herausforderung.“ Auch heute noch sei eine Olperer-Besteigung aus dem Skigebiet nicht leicht, denn es gebe einen gewissen Zeitdruck: „Der Lift sperrt um 8:15 Uhr auf und die letzte Bahn hinunter geht um 16 Uhr. Also ist das Zeitfenster dazwischen klein. Olperer-Aspiranten, die über den Nordgrat rauf wollen, müssen gut klettern können. Es sind irrsinnig glatte Plattenstellen drin und das heißt, sie müssen wirklich ein gutes Niveau mitbringen. Gleichzeitig darf man auch eines nicht vergessen: Durch die schnelle Bergfahrt mit der Bahn sind die Leute oft nicht so gut angepasst an die Höhe, wie zum Beispiel jemand, der über die Olperer Hütte aufsteigt. Der Körper braucht Zeit, um sich auf das einzustellen. Und deswegen sind diese Tagestouren nicht einfach.“
Wir haben die technisch leichtere Variante über die Südseite gewählt, allerdings auch als Tagestour mit rund 1.700 Metern Höhenunterschied im Aufstieg. Ob wir das – inklusive unserer vielen Fotostopps – tatsächlich schaffen, bezweifle ich inzwischen. WWir ziehen die Klettergurte an und klinken uns ins Seil ein. Die Schuhe sinken im weichen Schnee ein. Bernhard geht voran durch ein Schneefeld, das ihm zufolge den Namen „Schneegupf“ trägt. „Erst vor ein paar Tagen musste ich eine Tour auf den Olperer abbrechen“, sagt Bernhard, „wegen Lawinengefahr“. Und das Mitte Juli. Heute haben wir mehr Glück, der Schnee hat sich bereits etwas verfestigt, eigentlich optimal zum Hinaufgehen. Nur an ein paar steilen Stellen müssen wir besonders aufpassen, denn dort blitzt das blanke Eis hervor.
Wir queren den „Schneegupf“ in 3.000 Metern Höhe.
Bernhard kurz vor dem Gipfelgrat. „Erst vor ein paar Tagen musste ich eine Tour auf den Olperer abbrechen“, sagt Bernhard, „wegen Lawinengefahr“.
Wir erreichen eine Höhe von rund 3.200 Metern und kraxeln über Felsblöcke weiter nach oben – bis zu einer drahtseilversicherten Passage. Dazwischen entdecken wir alte Eisentritte. Hier sind im Jahr 1867 die Olperer-Erstbesteiger Paul Grohmann, Georg Samer und Jackl Gainer hinaufgeklettert. Damals allerdings ohne ein Fixseil aus Stahl. Wir sind froh um die Stahlseilversicherung an dieser luftigen Passage. Neben uns bricht der Berg hunderte Meter weit senkrecht ab.
Minuten später, in rund 3.450 Metern Höhe sehen wir bereits das Gipfelkreuz. Er wirkt zum Greifen nahe, aber vor uns liegt noch ein gutes Stück des schroffen Gipfelgrates. Langsam läuft uns die Zeit davon, denn uns steht auch noch ein langer Abstieg bevor. Ich bin erschöpft. „Wir werden ja alle müde – ich auch, ich bin ja auch keine Maschine“, sagt Bernhard zu uns. Nachdenklich schaut er uns an.. „Ihr werdet immer müder“, sagt Bernhard, „je länger wir hinauszögern, umso schneller verschlechtert sich die Situation. Und wir sind wirklich weit gekommen. Es ist zwar nicht mehr weit, aber drehen wir lieber um, wir haben noch einen weiten Abstieg.“
Wir steigen wieder ab zur Olperer Hütte, wir essen noch etwas, bevor wir wieder zurück zum Auto gehen. Hüttenwirtin Katharina versucht, uns zu trösten. „Dann habt ihr wenigstens einen Grund, dass ihr nochmal kommt. Das ist gut.“ Der Olperer glänzt nochmal in den letzten Sonnenstrahlen, die Wolkenfetzen rund um den Gipfel haben sich fast völlig verzogen. Bernhard schaut hinauf. „Ich war schon über hundert Mal oben, aber er hat mich noch nie abgeworfen.“ Auch diesmal nicht.
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Vom Großglockner bis zur Wildspitze, vom Großvenediger und dem Wilden Kaiser bis zum Olperer: In einer fünfteiligen Porträtserie erzählen wir diesen Sommer die Geschichten von fünf Tiroler Bergführern und ihren Hausbergen.
Falls ihr auch mit Bernhard Neumann auf Tour gehen möchtet, findet ihr hier seinen Kontakt: www.mountain-sports-zillertal.com