Wer an Tiroler Drehorte denkt, hat schnell den Wilden Kaiser und den…
Das Wunder von Wörgl
Während die Arbeitslosenzahlen weltweit stiegen, konnten sie dank des Schwundgelds in Wörgl und Umgebung deutlich gesenkt werden.
Wie gelingt mitten in der Weltwirtschaftskrise der Aufschwung? Der Bürgermeister der Tiroler Kleinstadt Wörgl, Michael Unterguggenberger, machte es Anfang der 1930er-Jahre vor. Mit der Einführung des „Wörgler Schwundgelds“ fand er einen Weg, die wirtschaftliche Lage seiner Mitbürger:innen zu verbessern.
Das „Industriedreieck“ in der Krise
1932 steckte die Welt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Mächtige Länder wie die USA und kleine Staaten wie die damals junge Republik Österreich kämpften gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Bankinsolvenzen. In Tirol traf es das „Industriedreieck“ Wörgl – Kirchbichl – Häring besonders hart, als dort die Zementwerke und die Zellulosefabrik geschlossen wurden. Allein in Wörgl und Umgebung zählte man 1.500 Arbeitslose, im gesamten Bezirk Kufstein waren es bis zu 2.900. Als Folge der schlechten wirtschaftlichen Lage war immer weniger Geld in Umlauf.
5 Schilling: Auf der Rückseite sind Zweck und Funktion der Arbeitswertscheine erläutert.
Ein eigenes Geld für Wörgl
Hilfe von Land und Bund war kaum zu erwarten, doch der Wörgler Bürgermeister Michael Unterguggenberger erinnerte sich an ein Wirtschaftsmodell, von dem er einige Jahre zuvor gelesen hatte: die „Freiwirtschaft“ von Silvio Gesell. Sein Vorschlag, zur Bezahlung von Arbeitern „Schwundgeld“ einzuführen, überzeugte auch den Wörgler Gemeinderat, und so erhielt Wörgl im Juli 1932 eine eigene Währung. Das Besondere daran: Die Scheine, die den Wert der geleisteten Arbeit bestätigten, verloren jeden Monat an Wert, mussten also rasch ausgegeben werden, wenn man etwas dafür bekommen wollte.
1 Schilling: rechts die Klebemarken der sogenannten Notabgabe
5 Schilling: Vorderseite
10 Schilling: mit Aufdruck „Lindert die Not, gibt Arbeit und Brot“
Mit Geldzirkulation zum Erfolg
Ab Juli 1932 beschäftigte die Gemeinde Arbeiter in Bauprogrammen und entlohnte sie mit den Arbeitswertscheinen. Da diese – um den Schwund zu vermeiden – auch bald in der Stadt ausgegeben wurden, zirkulierte in Wörgl nun wieder das Geld. Die Einnahmen von Wirtschaftsbetrieben stiegen und mit ihnen auch die Steuerzahlungen an die Gemeinde. Sie konnte weitere Arbeitsplätze schaffen und Investitionen tätigen. Das Projekt war so überzeugend, dass es als „Wunder von Wörgl“ bezeichnet wurde. Andere Tiroler Gemeinden wollten die Idee übernehmen, ja sogar Édouard Daladier, Kabinettsmitglied und mehrfach Premierminister in Frankreich sowie andere internationale Politiker interessierten sich für das Konzept „Freigeld“.
Obwohl die österreichische Bauwirtschaft 1933 massive Einbußen hinnehmen musste, zeigte sich in Wörgl ein ganz anderes Bild.
Etwas mehr als ein Jahr dauerte das Experiment „Wörgler Schwundgeld“ – vieles wurde in diesen wenigen Monaten errichtet, wie etwa die Müllnertalbrücke.
Nachhaltige Investments
Im Zuge des Experiments wurde nicht nur Infrastruktur wie Straßen und Brücken repariert beziehungsweise neu errichtet, es entstanden sogar touristische Attraktionen wie die Sprungschanze und der Trittsteig durch die Aubachschlucht. Insgesamt investierte die Gemeinde 1932 und 1933 182.000 Schilling, nach heutiger Kaufkraft mehr als 800.000 Euro. Auch das benachbarte Kirchbichl folgte dem Beispiel und errichtete mit Wörgler Schwundgeld das Moorstrandbad.
Der „Freigeld Rundweg“ führt Interessierte heute an einige Schauplätzen des Wörgler Wunders: vom Infobüro zum Heimatmuseum der Stadt Wörgl und zu Bauten, die damals entstanden sind. Wer dabei über die Müllnertalbrücke bis zur Sprungschanze spaziert und auf dem weiteren Weg zurück in die Innenstadt die Aubachklamm passiert, lernt nicht nur das ländliche Wörgl kennen, sondern wandelt auch auf historischen Pfaden.
Die Auchbachschlucht wurde durch einen 1,2 Kilometer langen Trittsteig auch für Gäste erlebbar gemacht. Heute ist der Steig nicht mehr begehbar.
Auch das Moorstrandbad in Kirchbichl wurde mit Wörgler Schwundgeld finanziert.
Das Ende des „Schwundgelds“
Insgesamt beschäftigte die Gemeinde in der Zeit des „Schwundgelds“ rund hundert Personen und senkte die Arbeitslosigkeit um 16 Prozent, während sie zugleich in ganz Österreich um 19 Prozent stieg. Doch Erfolg hin, Aufschwung her, schon im Januar 1933 verbot das Land Tirol im Auftrag des Bundeskanzleramts die weitere Ausgabe der Arbeitswertscheine. Selbst eine Beschwerde der Gemeinde Wörgl beim Verwaltungsgerichtshof änderte daran nichts. Banknoten auszugeben war und blieb Sache der Österreichischen Nationalbank, das Wörgler Experiment verschwand – so rasch, wie es gekommen war – wieder aus dem Wirtschaftskreislauf. Erst Jahrzehnte später wurden Idee und Erfinder wieder vielfach gewürdigt: unter anderem in der Komposition „Wörgler Freigeld“ (1998–2001) von Werner Pirchner, dem Theaterstück „Unterguggenberger & das Freigeldexperiment“ (2007) und dem TV-Film „Das Wunder von Wörgl“ von Urs Egger (2018), zu dem das Tiroler Ensemble Knödel die Musik beisteuerte.
© Epo Film
Freigeld heute – das Unterguggenberger Institut
Auch wenn das Experiment Wörgler Freigeld nur von kurzer Dauer war, die Idee dahinter findet sich auch heute noch in regionalen Währungsmodellen. Um die Geschichte des Freigelds und aktuelle Konzepte zu dokumentieren und vorzustellen, wurde 2003 in Wörgl das Unterguggenberger Institut gegründet. Mit zahlreichen Projekten, Vorträgen, Filmvorführungen gibt es Einblick in die Welt des Geldes abseits von Börsenspekulation und Finanzwirtschaft.