Es weihnachtet sehr: Traditionelle Tiroler Weihnachtsbräuche im Überblick.
„Früher war mehr Lametta“ – Tiroler Weihnachten anno dazumal
Ein Baum voller Lametta, 1950. © Ferdinandeum Innsbruck
Weihnachten naht und somit für viele das schönste Fest des Jahres. Das war schon immer so, wurde mir gesagt. Ich habe mich umgehört, wie das Weihnachtsfest früher gefeiert wurde. Eine besinnliche Reise in eine längst vergangene Zeit, die ganz anders war als heute. Und trotzdem: an der Art, Weihnachten zu feiern, hat sich nicht viel geändert.
Christbaum vor dem Goldenen Dachl, 1951. © Stadtarchiv Innsbruck
Die nachstehenden Interviews habe ich 2017 geführt.
Agnes Wippler, geboren 1925 (†2021), aufgewachsen in Zirl
Dass Agnes zum Zeitpunkt unseres Interviews schon über 90 war, merkte man der fröhlichen Frau nicht an. Aufgewachsen in einer Zeit, die alles andere als leicht war, sprach sie dennoch von einer glücklichen Kindheit. Im Gegensatz zu anderen im Dorf gab es bei ihr daheim immer genug zu essen, weil die Eltern eine Landwirtschaft hatten. Als Kind half sie beim Türken (Mais) ausnehmen und trug Milch aus, wofür sie einen Schilling (7 Cent) bekam. Agnes machte ihre Schulabschlussprüfung in der Bürgerschule in Innsbruck, während die Sirenen wegen eines drohenden Bombenangriffs heulten.
Agnes, wie hast du als Kind Weihnachten erlebt?
„In der Adventzeit gingen wir Kinder morgens vor der Schule in die tägliche Rorate, eine Messe, die sehr weihnachtlich gestaltet war. Der Männerchor hat so schön gesungen. Wir hatten immer sehr viel Schnee.
Der Vater hat im eigenen Waldteil den Christbaum geholt. Er hatte schon im Sommer geschaut, welcher sich eignete. Dem alten Ehepaar in unserer Gasse hat er einen kleinen Baum mitgenommen, die konnten ja selber keinen mehr holen. Der Baum wurde bis zum Heiligen Abend im Stadl gut vor uns Kindern versteckt.
Am Heiligen Abend war die Stubentür abgesperrt. Natürlich haben wir durchs Schlüsseloch g'schaut! Aber nie was gesehen. An diesem Tag wurde nicht gearbeitet, nur das Vieh versorgt. Wir mussten in der Küche geduldig warten, was sehr schwer für uns war. Die Großmutter zündete heimlich die Kerzen an und läutete das Glockerl. Der Baum war voller bunten Kugeln und viel Lametta. Da gab’s ein Elektrogeschäft in Zirl, die hatten so etwas. Wir haben „Stille Nacht“ gesungen und die Geschenke ausgepackt. Meistens haben wir Kleinigkeiten wie Socken und Handschuhe bekommen. Die Großmutter hat das alles heimlich unter dem Jahr gestrickt. Sie war eine sehr liebe Frau.
Auch heute noch ein begehrtes Fotomotiv: Leuchtende Kinderaugen unter dem Christbaum, 1950. © Ferdinandeum Innsbruck
Manchmal gab es auch außergewöhnliche Geschenke. Einmal hab ich goldene Ohrringe bekommen! Wohl deshalb, weil der Augenarzt in Innsbruck gesagt hatte, Ohrringe wären gut für meine Augen, die ständig tränten. Es stimmte, als ich diese trug, tränten sie nicht mehr. Mein Bruder hat einmal eine Ledertasche bekommen. Besorgt hat die Geschenke mein Onkel, der als Postbote viel herum gekommen ist. Das hab ich natürlich erst erfahren, als ich nicht mehr ans Christkindl geglaubt habe.
Nach der Bescherung wurde eine kräftige Fleischsuppe mit Nudeln gegessen. Würsteln waren auch drin, die bekam mein Vater von den Metzgern im Ort. Mein Vater war amtlicher Fleischbeschauer und Nottierarzt, obwohl er nie studiert hatte. Man nannte ihn den „Viech-Engel“. Geräuchert wurde am Heiligen Abend auch am Hof, insgesamt glaub ich drei Mal in der Adventszeit. Da gab es eine alte Pfanne, die auf dem Herd erwärmt wurde. Woher sie den Weihrauch hatten, weiß ich nicht. Es wurde jedes Zimmer geräuchert, auch der Stall, und es wurde jeweils ein „Vater Unser“ gebetet. Meine Großmutter sagte, das machen wir, damit alles gesund bleibt. Es war schon eine besondere Atmosphäre damals. Eine sehr schöne Zeit, gerade für uns Kinder.“
Der Christkindl-Einzug hat in vielen Orten Tirols schon sehr lange Tradition. Hier in Zirl 1932. © Heimatmuseum Zirl
Ein sichtlich entzücktes Christkind beim Innsbrucker Christkindlempfang mit dem damaligen Landeshauptmann Hans Tschiggfrey, 1959: Der Roller war’s. © Tiroler Landesarchiv
Gertrud Nagele, geboren 1933, aufgewachsen in Innsbruck
Gertrud ist mit vier Geschwistern in der Höttinger Gasse groß geworden. Im Haus gab es am Gang noch ein Plumpsklo. Das Wasser musste in Kübeln vom hinteren Haus geholt werden. Gertruds Großmutter arbeitete in der Klinik im Verbandszimmer, ihre Mutter war Schneiderin, der Vater ist vom Krieg nicht mehr nach Hause gekommen. Für das tägliche Essen gab es Marken, die man gegen Lebensmittel tauschte. Ein Wecken Brot pro Tag für alle, er wurde genau aufgeteilt. Gertrud versteckte ihren Brotanteil unter dem Bett, weil ihre Schwester immer sehr viel Hunger hatte und nichts Essbares vor ihr sicher gewesen ist.
Wie waren Ihre Weihnachten als Kind, Gertrud?
„Zu Weihnachten hat meine Mutter viele Kekse gebacken. Wir durften helfen, sie zu verzieren. Diese wurden dann „ans Christkind geschickt“, damit wir sie nicht gleich alle aufessen konnten. Den Christbaum hat unser Zimmerherr (Untermieter) geholt, er war beim Feiern dabei. Der Baum war sehr schön geschmückt, mit vielen bunten Kugelen, Glockelen und natürlich Lametta.
Am Nachmittag des Heiligen Abends wurden wir Kinder verschickt. Wir sind rodeln gegangen, das war ein Spaß! Damals gab es immer sehr viel Schnee in der Stadt. Wir zogen unsere Schlitten bis zur Hungerburg und rodelten bis vor die Haustüre, Autos gab es ja noch so gut wie keine. Später sind wir dann meistens mit der Hungerburgbahn hinauf gefahren. Die lag zwar ein Stück weit entfernt, aber der Weg war nicht so steil wie die Höttinger Gasse.
Vor der Bescherung haben wir „Stille Nacht“ gesungen. Geschenke gab es immer. An ein besonderes kann ich mich noch erinnern. Ich bekam eine Babypuppe mit beweglichen Gliedern. Sie hatte Sachen aus Wolle an, die hatte wohl meine Großmutter gestrickt. Wechselkleidung, ein Faltenrock und eine Jacke, war auch dabei. Was ja auch nötig war, wir möchten ja auch nicht immer das gleiche anziehen, oder nicht? Die Nudelsuppe mit Würstel gab es bei uns auch, am nächsten Tag eine Ente. Zur Mitternachtsmette sind wir nicht gegangen, weil meine Mutter nicht wollte, dass wir so spät nachts noch in der Stadt unterwegs sind. Weihnachten roch für mich immer nach Essen.“
Ein seltenes Fotodokument aus so früher Zeit: Weihnachten im Jahre 1900 bei der Familie Kneußl in Schwaz. (Auch wenn es so aussieht: die Dame rechts hat kein Handy in der Hand) © Sammlung Kneußl – TAP, Lienz
Meinrad Rendl, geboren 1931 (†2018), aufgewachsen in Brixlegg
Meinrad lebte mit seinen zehn Geschwistern und seiner Mutter in einem Haus in Mährn bei Brixlegg. Sein Vater starb, als Meinrad zehn Jahre alt war. Sie waren arm, mussten aber nicht hungern weil sie selber ein paar Nutztiere hielten und einen Garten mit Gemüse und Obst bepflanzten. Als Meinrads Mutter von einem Baby erfuhr, dessen Eltern es im Stich lassen wollten, hat sie das Neugeborene ohne zu zögern bei sich aufgenommen. Sein neuer kleiner Bruder wurde von Meinrads älterer Schwester in einem Koffer mit Luftlöchern nach Hause gebracht. Nun waren es zwölf Kinder. Bei dieser Anzahl machte es keinen Unterschied mehr, einen Mund mehr oder weniger füttern zu müssen.
Meinrad, kannst du uns von deinen Weihnachten als Kind erzählen?
„Der Heilige Abend war immer ein ganz besonderer Tag. Das Räuchern der Räume in Haus und Stall mit Weihrauch, die frisch gebackenen Kiachel mit Kraut oder weißen Bohnen von Mama am Abend, der nächtliche Gang zur Mitternachtsmette auf dem tiefverschneiten Weg zur Kirche. Etwas Magisches lag in der Luft. Man spricht ja auch heute noch von den Rauhnächten, in denen das Tor zur anderen Welt offener sein soll als sonst. Wer weiß, vielleicht stimmt es.
An zwei Erlebnisse kann ich mich noch besonders gut erinnern. Einmal hab ich Tage vor dem Heiligen Abend heimlich im Zimmer meiner Eltern gestöbert und mein Geschenk gefunden. Ich wusste, dass es für mich bestimmt war, ich hatte es mir so sehr gewünscht! Es war ein Holzpferd mit einem Anhänger. Ich glaubte noch ans Christkind und hatte ein wahnsinnig schlechtes Gewissen. Tage später habe ich es Mama gebeichtet. Sie gab sich schockiert, aber auch tröstend. Ich sollte ein paar Vaterunser beten. Ich betete. Und bereute gleichzeitig, das Geschenk nicht gleich an mich genommen zu haben. Dann hätte das Christkind keine Chance gehabt, es wieder mit zu nehmen. Das Geschenk lag am Heiligen Abend unter dem Christbaum. Ich war so erleichtert!
Als Vater gestorben war, gab es zu Weihnachten meist nur mehr Selbstgestricktes von Mama. Bis auf einmal. Ich hab gerade nicht mehr ans Christkind geglaubt. Wir saßen in der Stube um den Christbaum, der sehr schön mit Kerzen und Strohsternen geschmückt war. Ja, ich glaub Lametta war auch drauf. Wir haben Weihnachtslieder gesungen wie „Stille Nacht“ und „Es wird schon glei dumpa“. Da hörten wir draußen plötzlich einen lauten Knall. Wir waren alle wie gelähmt. Bis wir nach einer Weile neugierig geworden sind. Vor der Tür stand eine riesige Proviantkiste – bis an den Rand gefüllt mit Spielzeug für uns alle. Der laute Knall, das wurde uns später bewusst, war wohl das Geräusch des Abladens gewesen. Wer uns diese Geschenke spendiert hatte, haben wir nie erfahren. An diesem Abend glaubte ich wieder an das Christkind.“
Der Heilige Abend im Kreise der Familie. Innsbruck, 1938. © Ferdinandeum Innsbruck
Maria Karbon, geboren 1937, aufgewachsen in Pankratzberg, Zillertal
Maria war eines von sieben Kindern. Leider starben ihre drei Brüder im Kindesalter. Ihre Eltern bewirtschafteten in Pankratzberg einen Hof auf Pacht. Um ins Tal zu gelangen, gingen sie eine Stunde lang zu Fuß. In den tief verschneiten Wintermonaten um einiges länger, außer sie hatten ihre Rodel dabei.
Maria, erzähl uns bitte von deinen Weihnachten als Kind!
„Zu Weihnachten hat meine Mutter viel Wäsche gewaschen und kiloweise Kekse gebacken. Es gab nur eine Sorte: einfache Butterkekse. Davon durften wir die etwas zu braun geratenen gleich essen, der Rest wurde für Weihnachten zurückgehalten. Kurz vor Weihnachten wurde ein Schwein geschlachtet, davon verwerteten wir alles. Hungern mussten wir nie. Am Heiligen Abend wurden der Stall und die Räume im Haus geräuchert. Den Christbaum hab ich aus dem Wald geholt. Ich kann mich noch erinnern, ich war höchstens 12 Jahre alt. Jeder musste mithelfen und ich machte das. Die Kekse lagen in einer Schüssel, ein paar hingen auf dem Christbaum. Kirchtagskrapfen gab es auch. Der Baum war außer mit den Keksen mit bunten Kugeln, Laternen, Vögeln, Zuckerlen in Papier und Kerzen geschmückt. Auf dem Tisch stand eine kleine Weihnachtskrippe.
Die Geschenke waren meistens Sachen zum Anziehen, wie zum Beispiel Doggln, eine Art Filzpatschen, die Mama heimlich nachts während des Jahres angefertigt hat. Selten gab es Spielzeug für uns Kinder. Einmal hab ich eine Puppe aus Holz bekommen. Die hat ein Bekannter geschnitzt. Die Puppe verschwand jedes Jahr kurz vor Weihnachten und lag dann mit neuem Gewand unter der dem Weihnachtsbaum. Einen Holz-Puppenwagen hab ich auch mal bekommen, da hab ich mich sehr gefreut. Weihnachtslieder haben wir nie gesungen, weil keiner in der Familie singen konnte. Mit den Filzpatschen an den Füßen und Fackeln in der Hand sind wir Kinder zur Mitternachtsmette ins Tal gerodelt.“
Christbaummarkt vor der Johanneskirche in Innsbruck, 1936/1937. © Stadtarchiv Innsbruck
Skifahren in den Weihnachtsferien stand schon 1968 am Programm. © Stadtarchiv Innsbruck