Von Köln bis Buenos Aires: Tiroler Glaskunst für die Welt
Die „Tiroler Glasmalerei und Mosaikanstalt“ hat mehr als 4.000 Gebäude mit kunstvollen Fenstern verschönert, darunter die berühmtesten Kathedralen der Welt. Womöglich wird die Liste bald prominent erweitert: Um Notre-Dame de Paris. Natascha Mader führt uns durch ihre versteckte Wunderwelt.
"Es stand für mich außer Zweifel, dass ich den Betrieb weiterführe", sagt Natascha Mader.
Es ist markantes Gebäude mitten in Innsbruck. Die verwitterte Fassade lässt vermuten, dass es seine besten Tage hinter sich hat. Vielen ist das gleichnamige Restaurant im Erdgeschoß bekannt, aber was der "Tiroler Glasmalerei" ihren Namen gibt, liegt weiter oben verborgen. Die Inhaberin Natascha Mader öffnet uns die Tür zu einer versteckten Wunderwelt.
Altes Holz prägt das Bild in ihrem Büro, die Glasgemälde in den Fenstern leuchten in der Morgensonne. Alles scheint mit einer Patina aus Erfolg, Niedergang und Wiederauferstehung überzogen. Die Firmenchefin blättert in einem dicken Lederband und erzählt vom Glanz vergangener Tage.
Einen Teil dieses Glanzes hat sich der Traditionsbetrieb bis heute erhalten. Schon bald reist Mader für Verhandlungen nach Paris. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass ihre Firma Teile der abgebrannten „Notre Dame de Paris“ renovieren darf. Von ihrem spannenden Arbeitsalltag erzählt uns die Unternehmerin in diesem Video:
Video: Firmenchefin Natascha Mader gewährt uns einen seltenen Einblick in die Tiroler Glasmalerei und Mosaikanstalt.
Fenster für die Welt
Gegründet wurde die „Tiroler Glasmalerei“ 1861. „Wegen der hohen Nachfrage im 19. Jahrhundert hatten wir bald 100 Angestellte, später dann eine Filiale in New York“, erzählt die Erbin. Der Kölner Dom, der Stephansdom oder der Dom in Prag sind nur drei von 4.000 Kirchen auf der ganzen Welt, die von der Firma mit Fenstern verschönert wurden. Sogar bis nach Südamerika wurde die Tiroler Glaskunst verschifft.
Dass der Betrieb noch aufrecht ist, ist nicht selbstverständlich. Konrad Mader führte die Firma in fünfter Generation. Als er 2013 überraschend verstorben ist, hat seine Witwe Natascha ohne Fachkenntnisse die Firmenleitung übernommen. „Für mich war klar, dass ich es weiterführen werde. Zum Glück arbeiten hier großartige Menschen, die mir alles beigebracht haben“, sagt die Unternehmerin.
Die alten Skizzen, Maße und den gesamten Schriftverkehr hütet Natascha Mader im Herzen von Innsbruck – etwa die Korrespondenz mit den Habsburgern oder ein Sanctus des Vatikans. „Wenn ich eine Anfrage für eine Restaurierung bekomme, kann ich nachschauen, ob wir die Fenster hergestellt haben und wer die Entwürfe gemacht hat. Wir könnten jedes Fenster wiederherstellen, ohne das Gebäude sehen zu müssen“, sagt die Unternehmerin.
Kunstwerke im Miniatur-Format im Büro der Tiroler Glasmalerei.
Auch moderne Arbeiten hat die Glasmalerei im Repertoire.
Glanz und Gloria: Eingebrannt für die Ewigkeit
In der Werkstatt warten gläserne Schutzpatrone, Ornamente und antike Lampen auf ihre Reparatur. Michaela Delic ist gerade dabei, eine Scheibe mit feinen Pinselstrichen zu bearbeiten. Sie ist eine der wenigen, die die Kunst der Glasmalerei in Perfektion beherrscht. „Wir arbeiten viel mit Licht und Schatten. Das ist für mich der wichtigste Teil der Atmosphäre in einem Gebäude“, sagt die junge Künstlerin.
Nach dem Bemalen kommt das Kunstwerk bei 550 Grad in den Ofen. Zuletzt werden die Teile zusammengebaut wie ein Puzzle und mit Metallstegen verbunden. Viele aufwändige Arbeitsschritte sind nötig, bis ein Fenster in neuem Licht erstrahlt. „Das hier ist mein Traumjob“, sagt die Glasmalerin.
Die Glasmalerei muss wohlüberlegt sein, weil es nicht nur das Auftragen von Farben bedeutet, sondern auch das Wegnehmen von Licht.
Für die Glasmalerei werden zum Teil Restbestände an Spezialfarben verwendet, die heute gar nicht mehr erhältlich sind.
Aufstieg und Niedergang einer uralten Kunst
Als Blüte der Glasmalerei gilt die Gotik, mit dem Barock verlor sie an Bedeutung. Mitte des 19. Jahrhunderts erlebte die Kunstform erneut einen Aufschwung und war in Gasthäusern, Bürgerwohnungen und öffentlichen Bauten beliebt. Dann kamen die Weltkriege und mit ihnen eine massive Zerstörung der historischen Bausubstanz. „Das war ein trauriger Anlass, aber der Wiederaufbau war für die Firma eine florierende Zeit", erzählt Natascha Mader.
Irgendwann waren die Kirchen in Europa renoviert, in der Architektur setzte sich der Funktionalismus durch. Die Glasmalerei kam erneut aus der Mode, ebenso die arbeitsintensive Dekoration mit Mosaiken. So wurde das Auftragsbuch der Tiroler Glasmalerei von Jahr zu Jahr dünner. Die Filiale in New York musste in den 1970er Jahren schließlich zusperren.
Butzenscheiben aus Antikglas werden in Fenstern von Kirchen und Schlössern verbaut.
Farblich sortierte Schatzkammer: Das Lager der Tiroler Glasmalerei
Erfolgreich in der Nische
Violett. Blau. Rot. Scheiben in allen Größen und Farben warten im Glaslager darauf, in einem Schloss oder eine Kirche verbaut zu werden. Weiter hinten liegen kistenweise runde Butzenscheiben, kaum jemand stellt sie heute noch her. „Das ist alles mundgeblasenes Antikglas aus Bayern. Das wird von einem Team aus fünf Glasbläsern hergestellt, weil man das allein nicht ‚derschnaufen‘ würde, erklärt die Schatzmeisterin.
Von einst hundert Stellen im internationalen Großbetrieb sind noch fünf übrig. Heute ist die „Tiroler Glasmalerei und Mosaikanstalt“ in der Nische erfolgreich. „Inzwischen hat die Kunstform eine Renaissance. Wir haben viele Anfragen, auch von Privaten“, erzählt die Firmen-Patronin. Neben modernen Arbeiten sind es vor allem Kirchenrenovierungen, die das Geschäft am Laufen halten.
Natascha Maders größter Wunsch ist es, die 160-jährige Geschichte der Firma der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eines Tages soll der Traditionsbetrieb ein Museum werden, damit all die wertvollen Schätze nicht länger verstauben. Sollte das klappen, stehen der "Tiroler Glasmalerei und Mosaikanstalt" die besten Tage erst bevor.Skizzen und Maße: "Wir könnten jedes unserer Fenster nachbauen, ohne die Kirche sehen zu müssen", sagt Natascha Mader.
Glaskunst in Tirol
Tirol blickt auf eine lange Tradition in der Glasverarbeitung zurück, was unter anderem mit dem Wasserreichtum zu tun. Bäche und Flüsse wurden zur Energiegewinnung und zum Abkühlen des Glases benötigt. Bis heute gibt es mit der "Fachschule für Glastechnik und Gestaltung" in Kramsach eine Ausbildungsstätte für alle, die mit dem Material arbeiten möchten. Gleich nebenan liegt Rattenberg: Die kleinste Stadt Österreichs hat sich ganz der Glasbläserei und dem Kunsthandwerk verschrieben.