Sonnwendfeuer in Tirol
„Der schönste Moment beim Feuern war, als ich vor ein paar Jahren frühmorgens auf den Gipfel gestiegen bin, um die Fackeln zu verteilen. Plötzlich war da dieser unglaubliche Sonnenaufgang. Da habe ich mich hingekniet, so bewegend war das“, erzählt Thomas Koch aus Lermoos.
Der sympathische Enddreißiger ist einer dieser Typen, die in Tirol recht häufig anzutreffen sind: Sie können alles und haben lange Tage. Neben seinem Brotjob im Tourismusbüro ist er auch noch Tischler, Bauer, Vizebürgermeister, Bildhauer und Vater von zwei Töchtern. Und einmal im Jahr: Bergfeurer.
Thomas Koch vor der Gartjoch-Hütte, dem Basislager seiner Feurer-Gruppe.
Audio: Thomas Koch plaudert aus dem Bergfeurer-Nähkästchen.
Eine uralte Tradition
Wenn der astronomische Sommer beginnt, wird in Tirol der längste Tag des Jahres mit Feuern auf den Bergen gefeiert. Diese Tradition lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen. In den Dörfern rund um die Zugspitze wird der Brauch am intensivsten gepflegt und die Feuerbilder fallen besonders facettenreich aus: So leuchten etwa Kreuze, Herzen oder der Tiroler Adler hinunter ins Tal.
Doch auch Papa Schlumpf und Donald Duck wurden schon in der Bergwelt des Außerfern gesichtet. Solche Motive sorgen immer wieder für Debatten, da der Feuerbrauch sehr wichtig für viele traditionsbewusste Tiroler ist. Thomas sieht das Thema dennoch gelassen: „Wir in unserer Gruppe feuern ohnedies fast immer religiöse Bilder.“
Tausende kleine Lichtpunkte bringen die Berge zum Leuchten.
Sonnwendfeuer: Blick auf die Ehrwalder Sonnenspitze
Smartphone und Pythagoras
Steil bergauf geht es zur Almhütte der Familie Koch. Thomas‘ Rucksack bringt es auf stolze 30 Kilo: Fackeln, Proviant und das ein oder andere Bier wollen auf den Berg geschafft werden. „Als Bergfeurer muss man Trittsicherheit, Kondition und räumliches Verständnis mitbringen. Bis jetzt ist es eher eine Männer-Domäne, aber es sind immer mehr Frauen dabei“, erklärt Thomas.
Gemeinsam mit 15 Mitstreitern feuert er Jahr für Jahr ein anderes Bild auf seinen Hausberg. Damit das Motiv gut zu erkennen ist, werden bis zu 400 Lichtpunkte gesetzt. Je abschüssiger das Gelände, desto komplizierter ist das. Einst halfen dabei Schnüre und der gute alte Pythagoras, heute werden die Lichter vom Tal aus per Fernglas und Handy-Anweisung positioniert.
Jede Feurer-Gruppe hat ihre Geheimnisse, was die Planung und die Fackeln angeht.
Am häufigsten werden religiöse Motive gefeuert.
Nebel ist der Feind des Feurers
Ungefährlich ist das Ganze freilich nicht: Vor allem Gewitter und die Rutschgefahr sind Risikofaktoren. Der größte Feind der Bergfeurer ist jedoch der Nebel, der eine Positionierung der Fackeln nahezu unmöglich macht. „Wenn es losgeht, ist immer auch ein gewisser Nervenkitzel dabei. Man muss sich konzentrieren und darf keine Fehltritte machen“, erklärt der Routinier.
In der Region rund um die Zugspitze sind es an die 300 Personen, die sich dem Feuern widmen. „Jede Gruppe hat ihre Kniffe, was die Machart der Fackeln angeht. Und natürlich gibt es ein gewisses Konkurrenzdenken zwischen den Dörfern. Letztendlich zählt für alle aber die Gaudi“, sagt Thomas.
Lermoos in der kürzesten Nacht des Jahres.
Im Hüttenbuch auf dem Gartjoch sind die Feuerbilder früherer Jahre verewigt.
Das Feuern liegt in der Familie
Um Punkt 22 Uhr werden dann im gesamten Wettersteingebirge mehr als 10.000 Lichtpunkte entzündet. Ein beeindruckendes Schauspiel. „Wenn alles gut klappt, ist das ein toller Moment“, sagt der Bergfeurer. An diesem besonderen Tag sind auch Thomas‘ Töchter mit dabei auf dem Gartjoch.
Sein eigener Papa hat ihn im Alter von vier Jahren erstmals zum Feuern mitgenommen. „Ich war sehr stolz, dass ich so jung dabei sein durfte“, sagt er. Kurz danach ist der Vater verstorben. Über 30 Mal ist Thomas seitdem zur Sonnenwende auf den Berg gestiegen.