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„Ich habe überhaupt nichts riskiert“ – Besuch bei Jazztrompeter Franz Hackl
Franz Hackl, Kosmopolit mit Tiroler Wurzeln, lebt als international bekannter Jazzmusiker den größten Teil des Jahres in New York. Warum er auch Volksmusik mag und weshalb er „im Kopf nie ausgewandert“ ist, erzählt er bei einem Besuch in der Trompeten-Werkstatt seines Vaters in Schwaz.
Herr Hackl, warum haben für unser Treffen die Trompeten-Werkstatt im Haus Ihres Vaters gewählt?
Wenn ich Messing rieche, fühle ich mich heimisch. Für mich ist das wirklich ein magischer Ort, wo man herumpobiert und tüftelt. Gerade bei dem, was ich tue – Musik –, besteht natürlich eine ganz enge Beziehung zum Instrument, wenn es im Elternhaus gebaut wird.
Hier veranstalten Sie sogar Konzert-Sessions.
Genau, einmal im Sommer, und einmal im Winter – also ein Weihnachtskonzert. Hier in dem Raum. Im Sommer tun wir ein Zelt raus und lassen das offen. Es ist super, Konzerte dort zu machen, wo seit über fünfzig Jahren Instrumente gebaut werden.
Wenn ich Messing rieche, fühle ich mich heimisch.
Nun leben Sie schon einige Jahre in New York. Wie kam es dazu?
Wenn man etwas zum Lebensmittelpunkt macht wie ich den Jazz, dann sollte man da hingehen, wo es am besten gespielt wird und wo es am meisten Konkurrenz gibt, damit man sich die Midlife-Crisis erspart. Es gibt überall tolle Musiker, aber diese Dichte an tollen Musikern gibt es in keiner anderen Stadt auf der Welt. Dort werden so viele verschiedene Arten von Musik und anderen Kunstformen auf Weltklasseniveau gemacht. Ob es jetzt Jazz, Pop, Klassik, Rock oder Modern Dance Ballet ist – es gibt einfach alles. Keine andere Stadt deckt das qualitativ und quantitativ so breit ab.
Ich bin acht Monate im Jahr in New York und arbeite vorwiegend dort. Auch mein Sohn geht dort zur Schule. Zwei Monate bin ich in Tirol und zwei Monate irgendwo auf Tour: Brasilien, Indonesien oder irgendwo sonst. Wenn ich etwas in Europa zu tun habe, dann plane ich eine Zwischenlandung in Innsbruck ein und bin einen oder zwei Tage da. Ich rufe jeden Tag meinen Vater an und wir telefonieren darüber, was wir an den Instrumenten verbessern können.
Wie eng ist denn die Beziehung zu Ihrem Vater?
Es geht nicht enger. Durch die Musik war das auch schon früher so. Durch ihn habe ich angefangen, Trompete zu spielen, und wir haben gemeinsam Volksweisen gespielt. Er ist ein super Trompeter, spielte in der Militärmusik und war Solotrompeter bei den Kaiserjägern. Und ich bin meistens in seine Position nachgefolgt. Mit elf Jahren habe ich angefangen, bei der Blasmusik solo zu spielen, mit 14 war ich mit den Kaiserjägern auf Tournee in den USA und Kanada – das war für meine Entwicklung eine große Sache. Mein Vater und ich haben auch den gleichen Schmäh. Ich habe das nie verstanden, wenn meine Schulkollegen gesagt haben: „Schon wieder ein Familientreffen!“ Ich habe mich immer darauf gefreut, weil da rennt der Schmäh. Es klingt zwar abgedroschen, aber mein Vater ist für mich wie der beste Kollege.
Ihr Vater war noch nie bei Ihnen zu Besuch in New York, obwohl Sie ja dort leben. Warum das?
Er hat Angst vorm Fliegen. Ich möchte es ihm auch nicht mehr antun. Bei der Amerika-Tournee mit den Kaiserjägern, als ich 14 war, wollte er mich nicht allein lassen und ist mitgeflogen. Da hat er meine Hand krampfhaft gehalten und hatte sieben, acht Stunden lang wirklich Angst. Ich habe versucht, ihn zu beruhigen. Das war eine verdrehte Situation. Und dann setzte sich neben uns eine ältere Frau, Griechin, schwarz gekleidet und betete den Rosenkranz. Und das ist, jetzt bin ich wirklich viel geflogen, mir vorher und nachher nie mehr passiert, dass sich jemand schwarz gekleidet neben mich hockt und Rosenkranz betet. In den 17 Tagen sind wir 26.000 Kilometer geflogen. Also für jemanden mit Flugangst ist das nichts. Da hätte der Papa nichts davon, wenn er mich zwei Wochen besuchen kommt. Er würde sich wochenlang davor grämen und die zwei Wochen nicht genießen können, weil er gleich wieder zurückfliegen muss.
In meinem Kopf bin ich ja nie ausgewandert.
Wie fühlt es sich für Sie an, wenn Sie nach längerer Zeit mal wieder hier in Schwaz sind?
Es ist nach wie vor gleich vertraut, es ist nichts abgerissen. Das Komische ist: In meinem Kopf bin ich ja nie ausgewandert. Und das kann sich ja auch wieder ändern. Die Leute sagen zu mir: „Du bist schneidig gewesen, hast was riskiert.“ Ich habe überhaupt nichts riskiert. Wer an so einem wunderbaren Ort lebt wie Tirol, kann immer wieder zurückkommen. Das Schlimmste, was mir passieren hätte können, wäre ein vorverlegtes Rückflugticket gewesen. Andere Leute riskieren tatsächlich etwas, wenn sie aus ihrer Heimat auswandern oder flüchten, weil sie wirklich nicht mehr zurückgehen können. Ich wäre auch total glücklich und erfüllt, wenn ich mein ganzes Leben lang Instrumente gebaut hätte. Und ich habe diesen Beruf auch erlernt. Sicher ist auch die Verwurzelung hier ein wichtiger Teil von meinem Erfolg.
Musik fängt da an, wo man sie nicht mehr aufschreiben kann.
Einerseits Blasmusik und Volksmusik, andererseits Jazz: Sind das nicht völlig verschiedene Welten?
Jazz ist die Volksmusik der Afroamerikaner. Blasmusik ist auch enorm wichtig, weil man da viel für die Ausbildung lernt. Im Endeffekt ist es so: Du musst einfach mit deiner Musik etwas erzählen können. Ich sage immer, Musik fängt da an, wo man sie nicht mehr aufschreiben kann. Ob man Volksmusik oder Jazz macht, ist da nicht so ein großer Unterschied. Es geht mehr um die Vielfalt und darum, sich auf andere Sachen, Kulturen einzulassen, ohne auf die eigene zu vergessen. Aber die Unterschiede gibt es nicht. Auch wenn man in die Tiefe der Musik geht, ist es überall gleich. Die essenziellen Fragen sind einfach: Kann ich etwas dazu beitragen und ist das authentisch? Wird mir die Geschichte geglaubt, die ich erzähle? Und: Kann ich etwas zur Weiterentwicklung der Geschichte beitragen? Da werden künstlich Grenzen aufgezogen.
Sie sind auch eng mit der Geschichte des Outreach Festivals in Schwaz verbunden. Wann fing das an?
1993 haben wir in der Musikschule einen Workshop gemacht. Auf der Pölzbühne waren die Konzerte. Das war noch ziemlich klein – mit einem glorreichen Gesamtbudget von 10.000 Schilling.
Die Trompete ist kein Blasinstrument.
Sie unterrichten an der Outreach Academy in Tirol , an diversen Master Classes und entwickeln nebenher neue Blasinstrumente. Dabei erklären Sie Ihren Schülern, dass die Trompete gar kein Blasinstrument sei. Wie kommen Sie zu dieser ungewöhnlichen Erkenntnis?
Ich behaupte, die Trompete ist kein Blasinstrument, weil den Ton die stehende Luftsäule macht. Würde ich also blasen, dann wäre es gleich einmal vorbei, da könnte niemand länger als fünf Sekunden einen Ton halten. Der Ton wird von den Lippen gemacht, während die Trompete als Filter und Verstärker funktioniert. Die Vibration der Lippen bringt eine stehende Luftsäule zum Schwingen. Das ist es eigentlich.
In der Eremitage in Schwaz habe ich dann Leute wie Chick Corea oder Pat Metheny gehört.
Zurück zu Ihren Anfängen als Jazzmusiker in Tirol: Was hat eigentlich Ihre Begeisterung für die Jazzmusik geweckt?
Thomas Stöwsand hat damals für das Plattenlabel „ECM“ Touren und Konzerte organisiert, um die Platten zu promoten und damit die Jazzmusiker live ein bisschen spielen, bevor sie ins Studio gehen. Stöwsand hat sich dann selbständig gemacht und in Schwaz sein Büro aufgemacht. An den Stehtagen haben die Künstler, anstatt in Paris oder London zu übernachten, einfach in der Eremitage in Schwaz ein Konzert gespielt – die hat 50 oder 60 Sitzplätze. Und da habe ich dann Leute wie Chick Corea oder Pat Metheny gehört. So große Stars hört man sonst nur in New York in so einem kleinen Rahmen. Und das war in Schwaz der Fall. Das hat mich geprägt.
Ein anderes Schlüsselerlebnis hatte ich mit ungefähr 17 bei einer Party. Die Leute haben gewusst, dass ich Trompete spiele. Ich habe damals schon alle möglichen Soli und virtuose Sachen gespielt – auch im Fernsehen. Und die haben bei der Party einfach ein Radio aufgedreht und gesagt: „Spiel was dazu!“, was natürlich für einen klassisch ausgebildeten Musiker der Tod ist. Dann habe ich mir gedacht, das ist eigentlich schon ein Armutszeugnis. Da kann ich die ganzen schnellen und technisch schwierigen Sachen spielen. Aber wenn man mir das Notenblatt nimmt, kann ich nicht so kommunizieren, wie mit den Leuten zu reden.
Danach habe ich angefangen, mich mit Jazz zu beschäftigen. Der gibt mir die Freiheit, im Jetzt zu sein und zu reagieren. Gemeinsam kann das ganz woanders hingehen als ursprünglich geplant. Und das ist ja auch im Leben nicht schlecht ist, wenn man diese Einstellung hat.