Von Hawaii bis in die Antarktis: Heute wird „Stille Nacht“ überall auf der Welt gesungen - fröhlich sommerlich auf der Südhalbkugel und besinnlich nördlich des Äquators. Sein Erfolg mag auch dem Umstand zu verdanken sein, dass es als Wiegenlied komponiert wurde und uns deshalb so tief berührt. Insgesamt wurde das Lied in mehr als 350 Sprachen und Dialekte übersetzt. Das erfolgreichste Cover gelang Bing Crosby. Seine Aufnahme von „Silent Night“ im Jahr 1935 ist mit ca. 30 Millionen verkauften Platten die dritterfolgreichste Single aller Zeiten.
Lange Zeit ging man davon aus, dass „Stille Nacht“ ein Tiroler Volkslied sei. Das liegt an den Sängergruppen aus dem Zillertal, die das Lied international verbreiteten. Das Lied wurde (vermutlich 1833) vom Verleger August Robert Friese als „ächtes Tiroler Lied“ publiziert. Gedichtet, komponiert und uraufgeführt wurde „Stille Nacht“ aber in Oberndorf bei Salzburg. Die eigentlichen Urheber, Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber, waren für einige Zeit in Vergessenheit geraten.
In Frankenmuth, einem knapp 5.000-Einwohner-Ort im US-Bundesstaat Michigan, wartet „Bronners Christmas Wonderland“. Hier gibt es eine detailgetreue Kopie der Kirche in Oberndorf bei Salzburg, in der „Stille Nacht“ im Jahr 1818 seine Uraufführung feierte. In der täglich geöffneten „Bronner’s Silent Night Memorial Chapel“ erklingt das Weihnachtslied rund um die Uhr in Endlosschleife. Das Publikum ist begeistert: Rund zwei Millionen Menschen besuchen das Weihnachtswunderland jährlich.
Eine oft erzählte Anekdote rund um „Stille Nacht“ ist die Begebenheit, die sich am Heiligen Abend 1914 in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges ereignet haben soll: Die verfeindeten Kriegsparteien sollen plötzlich gemeinsam das Weihnachtslied angestimmt und über die Gräben hinweg gemeinsam gesungen haben. Daraufhin hat sich – wenn auch nur kurz währender – Weihnachtsfrieden eingestellt.
Die Ur-Rainer, eine Sängerfamilie aus dem Zillertal, sollen das Weihnachtslied 1822 vor Kaiser Franz I. und Zar Alexander I. von Russland gesungen haben. Angeblich stand die Familie dabei hinter einem Vorhang, der sie vom kaiserlichen Publikum trennte: Sie sollen zu nervös gewesen sein, um von Angesicht zu Angesicht zu singen. Die Geschichte wird oft erzählt, historisch belegt ist sie aber nicht. Der Auftritt vor dem Zaren soll auch der Grundstein für die Karriere der Ur-Rainer gewesen sein: Sie tourten – mit Empfehlungsschreiben ausgestattet – durch Europa und von Hof zu Hof.
Neben der Familie Rainer gab es noch eine Gruppe, die an der Verbreitung von „Stille Nacht“ in Europa beteiligt war: die Familie Strasser aus Laimach im Zillertal. Der Vater, Lorenz Strasser, war ein fahrender Handschuhhändler und seine Kinder, allesamt musikalisch talentiert, begleiteten ihn dabei. Sie merkten schnell: Wenn sie in Tracht auftraten und Tiroler Lieder sangen, steigerte das die Verkäufe. Nachdem sie bereits 1831 während der Weihnachtsmette in der königlich-sächsischen Hofkapelle der Pleißenburg „Stille Nacht“ sangen, gaben die Geschwister Strasser ihr erstes offizielles Konzert im Jahr 1832 im Hotel de Pologne.
Weil die Ur-Rainer als Sängergruppe so erfolgreich waren, wurde die zweite Generation der Rainer professionell gecastet. Im Mittelpunkt: Ludwig Rainer. Die Mitwirkenden waren seine Cousine Helene Rainer, Simon Holaus und Margarete Sprenger. Sie sollten die volkstümliche Musik in die USA bringen. Als „The Rainer Family“ 1839 nach New York aufbrach, war Ludwig Rainer gerade 18 Jahre, Helene erst 15 Jahre alt. Ihre Reise war nicht nur ein Abenteuer, sie war auch sehr beschwerlich: Allein die Überfahrt mit dem Schiff dauerte mindestens 30 Tage, zehn Stürme inklusive.
Kaum in den USA angekommen, rührte „The Rainer Family“ schon die Werbetrommel: Eine erste Werbeeinschaltung für das Konzert der Gruppe erschien 1839 im Morning Courier and New York Enquirer. Die Eintrittspreise damals: 1 Dollar pro Person. Für einen Herren in Begleitung zweier Damen gab es einen Spezialpreis von 2 Dollar, Kinder bezahlten 50 Cents. Der Legende nach hat die Rainer Family am Weihnachtsabend 1839 zum ersten Mal „Stille Nacht“ auf amerikanischem Boden angestimmt.
Die Marke Tirol bürgte schon früh für Qualität: Weil Tiroler Gesangsgruppen so große Erfolge feierten, gaben sich auch Chöre aus Wien, der Steiermark und Bayern als Tiroler aus. Eine Zeitlang wurde sogar ein junger Ire als „Original Rainer“ auf Konzerte mitgenommen, denn Ludwig Rainers Cousine Helene war mit dem Tourmanager durchgebrannt und so schnell konnte kein Tiroler Ersatz gefunden werden.
„Stille Nacht“ wurde von Joseph Mohr mit 6 Strophen gedichtet. Im Kirchenliederbuch des Waidringer Organisten und Lehrers Blasius Wimmer findet sich jedoch noch eine siebte Strophe. Das auf 1819 datierte Buch ist mittlerweile verschollen, der Text der siebten Strophe wurde dennoch überliefert:
„Heiliger Tag, stille Nacht! Kön’gen auch kundgemacht
durch denselben glänzenden Stern, tönt es laut in Nähe und Fern’
Jesus, der Retter ist da! Jesus der Retter ist da!“