Tirol erklärt – Wie kommt ein See zu seiner Farbe?
Obere Faselfadseen bei St. Anton am Arlberg
Wenn in Büchern steht, dass die ursprüngliche Seenfarbe blau ist, dann stimmt das nicht.
Auch wenn man es sich schwer vorstellen kann, gibt es im gebirgigen Tirol mehr als 600 Seen, Weiher und Teiche. 35 davon sind vom Land Tirol offiziell als Badegewässer klassifiziert. Wer jemals am Seestrand gelegen und versucht hat, der Wasseroberfläche eine Farbe zuzuordnen, wird gemerkt haben, dass dies oft nicht eindeutig ist. Und wer sich bereits gefragt hat, warum ein Hochgebirgssee türkis und ein Moorsee schwarz ist, wird wahrscheinlich nicht auf einen grünen Zweig gekommen, höchstens an einem vorbei geschwommen sein.
„Wenn in Büchern steht, dass die ursprüngliche Seenfarbe blau ist, dann stimmt das nicht“, weiß Ruben Sommaruga, Professor für Limnologie und Direktor des Instituts für Ökologie an der Universität Innsbruck. Sein Job ist es, Seen zu erforschen. Für einen Limnologen ist die Farbe eines Sees wichtig, um grundlegende Prozesse im Ökosystem eines Gewässers zu erkennen. „Die Farbe“, so Sommaruga, „sagt viel über den See aus“. Für die Bestimmung der Oberflächenfärbung muss man grundlegend äußere Einflüsse wie die Spiegelung der Himmelsfarbe und der Ufer-Vegetation von der tatsächlichen Farbe des Wassers unterscheiden. Ist der Himmel einmal bewölkt oder stehen dunkle Bäume am Rand des Sees, erscheint das Wasser automatisch grauer und dunkler. Neben diesen Faktoren spielt auch die Tiefe eines Sees eine Rolle.
Badeseen und ihre Farben
„Generell ist unsere Wahrnehmung einer See-Farbe abhängig von Trübstoffen, dem Algengehalt und von den Huminstoffen, auch ‚Gelbstoffe‘ genannt“, erläutert Sommaruga. Moorseen wie das Lanser Moor sind typische Beispiele für Gewässer mit hohem Gelbstoff-Gehalt. Diese Stoffe sind eine Art Überbleibsel schwer abbaubarer gelöster organischer Stoffe, ein harmloses Abfallprodukt, an dem sich Licht absorbiert. Für den See bedeutet ein höherer Gelbstoff-Gehalt eine braune Färbung. Misst man die Farbe des Wassers mit einer sogenannten Secchi-Scheibe, die im See einen weiß kontrastierenden Hintergrund bildet, sieht es gelb aus. Dass der See als Ganzes braun zu sein scheint, hat physikalische Gründe: Wie viele noch aus der Schule wissen, haben unterschiedliche Lichtfarben unterschiedliche Wellenlängen. Trifft Licht auf die Oberfläche eines Sees, wird ein Teil davon reflektiert. Das Licht der Wellenlänge, das am tiefsten eindringt, wird am stärksten zurückgeworfen und vom Wasser und seinen gelösten Substanzen und Partikeln absorbiert und gestreut. „Man spricht dabei auch von Selektiv-Streuung – selektiv, weil kürzere Wellenlängen dabei mehr gestreut oder absorbiert werden als längere“, erklärt der Limnologe. In der Praxis kann man sich das so vorstellen: Die Sonne scheint und Licht trifft auf das Lanser Moor. Gelbstoffe und sonstige Partikel sorgen dafür, dass die Farbe blau (niedrige Wellenlänge) verschluckt oder abgeschwächt, grünes und rotes Licht (höhere Wellenlänge) hingegen zurückgeworfen wird. Grün und rot vermischt ergibt braun – das Rätsel um die Farbe des Lanser Moors ist gelöst.
Der Lanser See ist als Moorsee reich an Gelbstoffen und eigentlich braun. Foto: Daniel Rohmberg
Das Problem der Nährstoffe
Gewässer wie der Piburger See oder der Berglsteiner See fallen durch ihre stellenweise grüne bis dunkelgrüne Farbe auf. Das liegt nicht nur an der üppigen Vegetation am Ufer der beiden Seen. Zusätzlich zum Gelbstoff spielt bei diesen Seen der Algengehalt eine große Rolle. Gibt es in einem See relativ hohe Nährstoff-Konzentrationen (z.B. durch Phosphor und Stickstoff), können Algen gut wachsen. Sie vermehren sich und geben dem See durch das pflanzliche Pigment Chlorophyll eine grüne Färbung.
Alle Seen in Tirol haben Badewasser-Qualität.
Ein Musterbeispiel für diesen Prozess ist der Piburger See im Ötztal. „Der Piburger See war ein See, der in den 1970er bis 1980er Jahren sehr nährstoffreich geworden ist“, so Sommaruga. Menschen und Landwirtschaftsbetriebe ließen ihren “Nährstoff-Eintrag“ damals, als Umweltverschmutzung noch nicht auf den gesellschaftspolitischen Agenden stand, freien Lauf und verursachen Algenblüten. Auf fachchinesisch: ein intensiver Prozess der „Eutrophierung“ fand statt. Heute hat sich der See teilweise wieder erholt. Ruben Sommaruga gibt Entwarnung: „Alle Seen in Tirol haben Badewasser-Qualität.“
Algen machen den Piburger See vor allem in Frühling und Sommer grün. Das bedeutet, dass es sich dabei um einen relativ nährstoffreichen See handelt. Foto: Mario Webhofer
Problematisch ist die Bildung von Algen und Cyanobakterien trotzdem meist für die großen Organismen, die in einem See leben. Wenn Seepflanzen und -Algen sterben, sinken sie auf den Grund, wo ihre Zersetzung Sauerstoff verbraucht. Für Fische und andere Tiere, die auch im Wasser Sauerstoff brauchen, sind sauerstoff-freie Gebiete tote Zonen. Zusätzlich erwärmt sich durch die Klimaerwärmung die Wasseroberfläche in Seen immer stärker, sodass besonders bei Hitzewellen weniger Sauerstoff-Diffusion im Wasser stattfindet. Eine Wasser-Umschichtung oder Zirkulation in Seen kann erst im kühleren Herbst stattfinden – dann, wenn das Wasser kälter wird und die natürliche Wind-Energie stark genug für diesen Prozess ist. Laut Sommaruga hat man bereits herausgefunden, dass durch die Klimaerwärmung auf der ganzen Welt die Sauerstoffkonzentration in Seen zurückgeht. Algen und Bakterien verursachen mitunter bizarre Verfärbungen auf der Wasseroberfläche. Ein kleiner See am Issboden über der Sistranser Alm zum Beispiel verfärbt sich vermutlich durch die Blüte einer Alge knallrot.
Am Issboden unter dem Patscherkofel hat sich ein Teich durch eine Algenblüte rot gefärbt. Foto: Wolfgang Cincelli
Klar und blau
Sieht man sich, wie Ruben Sommaruga, den Achensee etwas genauer an, dann stellt man fest: „Manche Seen ändern ihre Farben. Die Farbe eines Sees ist nicht konstant.“ Auch der Achensee war früher von einer Eutrophierung betroffen. Durch die Blüte von Algen war seine Farbe im blau-grün Bereich anzusiedeln. Durch die Sanierung von Seen in den 1990ern und der Kanalisierung von Einzugsgebieten erholte sich der Achensee und gilt heute sogar als „oligotroph“, also nährstoffarm. Eine blau-türkise Oberflächenfarbe charakterisiert den See, die mitunter auf das Fehlen von Calciumcarbonat (feinste Kalkkristalle, durch die die Streuung verstärkt wird) zurückzuführen ist. Nährstoffarme Seen in kalkreichen Gebieten, wie im Karwendel, sind aufgrund der „biogenen Entkalkung durch Photosynthese“ weiß-blau und ähneln vor allem in der Nähe des Ufers an Strände in der Karibik. Ein Beispiel dafür ist der bayrische Walchensee.
Von grün zu türkis hat der Achensee geschafft. Heute zählt er zu den saubersten Seen Tirols. Foto: TVB Achensee
Tiefblaue Seen findet man oft im Hochgebirge. Dort sind die Seen manchmal sogar so tief, dass das nährstoffarme Wasser schwarz erscheint. „Vor rund 10000-12000 Jahren sind viele Seen aufgrund des Rückgangs der Gletscher entstanden. Heute können wir das live beobachten“, erklärt Sommaruga die Entstehung von Hochgebirgsseen. Hier spielt vor allem ein Faktor eine große Rolle, der noch nicht angesprochen wurde: der Trübstoff. Hat ein durch Schmelzung entstehender See Kontakt mit dem Gletscher, so ist sein Wasser durch Gesteinsmehl grau gefärbt und hat damit die ursprüngliche Farbe eines Sees. Limnologen nennen dieses trübe Abflusswasser eines Gletschers „Gletschermilch“. Eindringendes Licht streut sich an Mineralien-Partikeln und lässt das Wasser grau erscheinen. Setzen sich die Partikel der Gletschermilch teilweise ab, wirkt der See türkis. Verliert der See schließlich den Kontakt zum Gletscher, ist er blau.
Wenn ein Gletscher zurückgeht, entstehen neue Seen. Dieser Hochgebirgssee ist noch mit grauer Gletschermilch gefüllt – mit einem mineralpartikelhaltigen Gletscherwasser. Foto: Ruben Sommaruga
Keine Panik
Seen sind voll von Viren, Bakterien und Lebewesen. Das ist aber völlig normal und schadet dem Menschen in der Regel nicht. In den auf der Seite des Landes Tirol aufgelisteten 35 Badeseen Tirols kann man ohne Bedenken baden gehen. In der Praxis ist es so, dass der Mensch den empfindlichen Ökosystemen von Seen schaden kann. Als Limnologe wünscht sich Ruben Sommaruga, „dass Leute nicht in einen Hochgebirgssee springen“. Große Menschengruppen in kleinen Seen sind, wie das Entsorgen von organischem Müll in Seen, ein nachvollziehbarer Frevel. Verantwortung im Umgang mit der Natur ist wichtig, damit sowohl Bewunderer und Bewohner der Tiroler Seen noch lange etwas davon haben.