Familienglück am Berg?
Text: Christian Thiele, Fotos: Verena Kathrein
Lektion 1: Zeit zum Spielen
„Komm, Stella, gleich da oben ist die Alm, lass uns weitergehen …“ Normalerweise bekommt meine Tochter diesen Satz alle paar Minuten zu hören, wenn wir am Berg unterwegs sind. Heute habe ich mir vorgenommen, diesen Satz einfach gar nicht auszusprechen. Denn heute machen wir ein Spiel nach dem anderen, Monster finden, Salzbrezeln-mit-Strohalm-Rennen, Klammerspiel, und und und. Wo und wie lange wir wohin wandern, das ist heute völlig egal. Im Vordergrund steht hier und heute das Spielen.
Wenn wir mit den Kindern am Berg unterwegs sind, dann begleiten wir sie – und nicht sie uns
Wir, das sind Christiane (seit einiger Zeit 28), ich (seit einiger Zeit nicht mehr 28), Stella, 9, und Maxi, 8. Maxi ist unser Nachbar, Christianes Patenkind und unser Quasi-Sohn, denn unser richtiger Sohn fühlte sich zu alt und zu cool für diesen Urlaub – selbst schuld. Hier, das ist am Hintersteiner See, oberhalb von Scheffau und unterhalb der Felszacken des Wilden Kaisers. Und heute ist ein gemischt gut angesagter Tag, morgens sonnig, nachmittags gewittrig, also perfekt für eine Familienwanderung, wie sie das Tourismusbüro Scheffau anbietet. Genauer gesagt: Sabrina vom Tourismusbüro, die schon im Bus gute Laune verbreitet.
Spaß beim Wandern, denn im Vordergrund steht das Spielen.
„Eins, zwei, drei / Rudi komm herbei“, hat Sabrina uns vorgerufen. Fünfzehn Kinder brüllen hinterher, die Erwachsenen gleich mit – und schon kommt eine Spur von Rudi Rucksack zum Vorschein, den müssen wir nämlich heute finden. Wer die meisten Wäscheklammern bei Sabrina anklammert, wer die meisten Salzbrezeln per Strohhalm auf die andere Seite bringt, wer die meisten Kronkorken in Unterwäsche, Schuhen und Zopf an den Grenzkontrolleuren vorbeischmuggelt, der bekommt jeweils Ratepunkte. Zwischendurch wird mit kindersicheren Messern geschnitzt, die Kinder basteln Figuren aus Pappmaché, eine Slackline bauen wir auch noch auf: Wahnsinn, was Sabrina so alles aus ihrem Rucksack zaubert. Und Wahnsinn, wie die Zeit vergehen kann, ohne dass man groß vom Fleck kommt!
Beim Spielen und Entdecken vergeht die Zeit wie im Flug.
Irgendwann kommt der angekündigte Regen, wir flüchten uns gerade noch ins Eiscafé in Scheffau – und die Kinder sind glücklich! „Wir haben die ganze Zeit gespielt und sind dabei auf den Wilden Kaiser gewandert“, sagt Maxi. Da hat er mit der Geographie zwar ein bisserl was durcheinandergebracht, aber sei’s drum …
Lektion 2: Keine Erwachsenenziele
„Wenn wir mit den Kindern am Berg unterwegs sind, dann begleiten wir sie – und nicht sie uns“, hat Sabrina gesagt, Wanderführerin und selbst Mutter von zwei Buben. Und recht hat sie: Viel zu oft nimmt man sich ja eine Alm, ein Joch, einen Gipfel oder gar „die schöne Aussicht“ von Punkt X vor – aber Kinder motivieren solche Erwachsenenziele natürlich null. Heute sind wir mit Elfie unterwegs, vom Goinger Badesee geht es zur Aschinger Kapelle und weiter ins Hüttlmoos.
Die Kinder stehen beim Wandern im Vordergrund.
Zwölf Familien sind gekommen, die einen kommen wie wir aus dem südlichen Oberbayern, die wir jeden Tag Berge vor der Nase haben – aber eben andere. Die nächsten sind aus Niedersachsen, fahren sonst immer an die Nordsee und sind nun zur Abwechslung mal in die Alpen gereist. Und dann ist da eine Familie aus Leipzig, die schauen immer gerne „Bergdoktor“ und wollen mal sehen, wo der so herkommt. Stella und Maxi sind die ältesten unter den Kindern – aber heute mit Abstand die langsamsten der Langsamengruppe. Dafür finden wir die meisten Walderdbeeren, Brombeeren und vor allem Heidelbeeren, beim blaue-Zungen-Wettbewerb schlagen wir alle um Längen! Ist doch wurscht, ob wir ein paar Höhenmeter mehr oder weniger machen, ob wir die zwei nächsten Kehren noch mitnehmen oder schon vorher umdrehen!
Stella und Maxi finden die meisten Beeren und gewinnen beim blaue-Zungen-Wettbewerb um Längen!
Lektion 3: Über die Natur staunen
„Schaut’s mal, Kinder, das sind Schachtelhalme, uralte Pflanzen sind das – das waren praktisch die Manner-Schnitten der Dinosaurier“, erklärt Elfie. Was es mit der Witwenblume auf sich hat, warum die Pestwurz so riesige Blätter trägt, all das erklärt Elfie, anschaulich, geduldig, witzig, so wie das eine Tiroler Großmutter, die im Nebenberuf Wanderführerin ist – oder vielleicht auch andersherum – eben so macht. „Papa, die Elfie weiß einfach alles, ich will auch Wanderführerin werden“, sagt Stella.
Elfie erklärt den Kindern alles über Schachtelhalme, Witwenblume und Pestwurze.
Am Moorsee packt Elfie ihr Arsenal aus: Becherlupen, Kescher, Naturforscherpässe, Bestimmungsbücher. Wir schauen Libellen beim Hochzeitstanz zu. Wir inspizieren einen Kaulquappenschwarm. Wir lernen über das Leben des Holzbockkäfers. Immerhin wissen Stella und Maxi recht gut Bescheid, was Fichten von Tannen unterscheidet, damit können sie glänzen.
Was die Natur so alles eingerichtet hat, wer sich vor wem wie schützt, wer wen frisst, dazu serviert uns Elfie eine große Portion „Ahas“ und „Öhas“. Wir staunen den ganzen Tag lang über Pflanzen und Tiere, wann macht man das schon? Viel zu oft ist die Natur doch nur der Erlebnisraum, durch den wir hasten – heute hat sie die Hauptrolle. Zumindest, so lange uns die Manner-Schnitten nicht ausgehen … Und so lange zwischendurch auch mal FlyingFox und Rutschen drin ist.
Maxi ist erstaunt darüber, was es in der Natur alles zu entdecken gibt.
„Mir hat am besten gefallen, dass wir so viele Pausen im Schatten gemacht haben“, sagt Maxi abends. „Mir hat am besten gefallen, dass Elfie auf alles eine Antwort wusste“, sagt Christiane. „Mir hat am besten gefallen, dass wir so oft mit dem Flying Fox fahren durften“, sagt Stella.
Lektion 4: Selbst zum Kind werden
Kopf, Schulter, Hüfte, Knie? Oder war es Kopf, Hüfte, Schulter, Knie? Für ihr Mitmach-Lied „Ritter Rüdiger“ hat sich die Band eine komplizierte Choreographie ausgedacht, die sich kein Mensch merken kann – sofern er älter als sechzehn Jahre ist. Die Kinder allerdings glucksen, hüpfen, lachen und brüllen aus voller Kehle. Und klatschen sich auf Kopf, Knie, Schulter, Hüfte. Rasch, schnell, schneller.
Die Kurkonzertkugel in Going ist voll, ein paar der Kinder scheinen die Gruppe aus dem Lechtal zu kennen, denn sie singen, nein: brüllen mit, jede Silbe jeder Strophe in jedem Lied. „Bluatschink“, benannt nach einem Fabelwesen, das im Lech hausen soll, hat früher vor allem kritische Heimatlieder geschrieben und aufgeführt, inzwischen tragen sie viel Kinder-Familien-Mitmach-Programm auf der Bühne vor. Geblieben ist das Rauh-kehlige des Lächhhhdolrrr Dialekchds, pardon: des Lechtaler Dialekts.
Etwas erschöpft aber glücklich genießen alle das Konzert.
Die Sonne geht orange-golden unter, die Felszacken des Wilden Kaisers sehen aus wie von einem Landschaftsmaler angepinselt – aber für Romantik haben die Kinder keinen Sinn, es geht noch mal um Kopf, Hüfte, Schulter, Knie – oder so. Die ersten Mitmachhemmungen der Väter sind längst über Bord geworfen, vielleicht hat auch das Bier geholfen. Wir sind jetzt alle wieder Kinder, die einen sechs, die anderen sechzig, alle betteln um „Zu!Ga!Be!“. Und ob heute irgendwer nach dieser Aktion noch einschlafen kann, will, wird? Völlig egal. Das einzige, was jetzt zählt: ob die Eisdiele noch geöffnet hat.
Lektion 5: Wasser dazu
Plitsch, platsch, erst ist die Hose, dann der Rucksack, dann das T-Shirt nass –egal, denn heute knallt erstens Hochsommersonne vom stahlblauen Himmel, und zweitens sind wir ja im „Hexenwasser“ oberhalb von Söll – und da geht’s schließlich ums Nasswerden. Ein Seilziehfloß. Ein Barfußpfad. Schier endlose Holzrohrleitungen mit Dämmen. Und, im „blauen Wunder“, das eigentlich fürs Schlechtwetterprogramm vorgesehen ist, eine matschige, kippbare Versuchsanlage, mit der man einen Bergbach simulieren kann. Im Hexenwasser jagt eine nasse Attraktion die nächste. Aber es sind Attraktionen aus Wasser, Holz und Stein, mehr Materialien gibt es hier nicht, deshalb passt dieser Rummelplatz auch ganz gut hierher. Ein wenig oberhalb die Hohe Salve, gegenüber im prächtigsten Kaiserwetter der „Koasa“, und die Kinder machen plötzlich das, was sie ja eigentlich gar nicht tun wollten: Sie wandern. Sie laufen eigentlich eher, sie eilen von, pardon für den Wortwitz: Seenswürdigkeit zu Seenswürdigkeit.
Bergerlebniswelt „Hexenwasser“ oberhalb von Söll.
Wasser lässt sich fühlen, trinken, hören, beobachten, riechen und schmecken, ein echter Sinnesrausch. Vielleicht würden Tiefenpsychologen sagen, dass wir in der Faszination für das Wasser Verbindung halten zu unseren tierischen Vorvorfahren, aber wie auch immer: Wasser begeistert Kinder. Gerade am Berg.
Unterwegs gibt’s noch eine Ausruhstation im Schatten, genauer gesagt eine Ausruhstation für die Eltern. Denn die Kinder müssen/dürfen/wollen Mehl malen, Teig zusammenrühren, diesen um einen Stock wickeln, den wiederum ins Feuer halten – und fertig ist das Stockbrot. „Das ist das beste Brot, das ich je gegessen habe“, sagt Maxi, „das will ich jetzt immer als Pausenbrot haben.“ Naja, schaumermal …
Maxi hätte am liebsten jeden Tag Stockbrot.
Die Kinder haben sich die Tage am Wilden Kaiser tapfer geschlagen, es gab kaum „Muh“ und „Mäh“ beim Aufstehen, Frühstücken, Anziehen, sie sind mehr gewandert, als sie vorhatten. Also verplanschen wir den restlichen Tag im – uups, Stella hatte mir eigentlich verboten, etwas über den Goinger Badesee zu schreiben, über die Wahnsinns-Pommes, über das Badefloß, über den Erlebnisspielpark und über die extrabreite Vater-Tochter-Nebeneinander-Wasser-Rutsche. Also sage ich dazu mal lieber nichts mehr, außer: Schee war’s!
Stella und Christian haben viel Spaß beim Rutschen.
Bergerlebniswelten am Wilden Kaiser
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