Edle Überraschung: Schokolade aus Tirol
Die Innsbruckerin Therese Fiegl hat viele gute Ideen, hohe Qualitätsansprüche und das wertvolle Talent, ihre persönliche Leidenschaft in Einklang mit den ganz großen Herausforderungen der Welt zu bringen.
Nachhaltigkeit. Eines dieser Schlagwörter, die häufig verwendet und selten gemeint werden. Therese Fiegl dachte und lebte dieses Prinzip lange bevor das Wort erfunden, geschweige denn in den allgemeinen Sprachgebrauch eingesickert war. Da ist zum Einen die „Bauernkiste“, eine Form von abonnementgesteuerter Direktvermarktung, die seit mehr als 20 Jahren Menschen in Tirol mit bäuerlichen Lebensmitteln aus Tirol versorgt. Und da ist eine Reihe von anderen visionären Projekten, die, um im agrarischen Bild zu bleiben, ebenfalls auf Fiegls Mist gewachsen sind.
Therese Fiegl in ihrem „Tiroler Edles“-Laden mitten in der Innsbrucker Altstadt
Wir haben uns in ihrem „Tiroler Edles“-Laden in bester Innsbrucker Altstadtlage verabredet. Es duftet verführerisch nach „Tiroler Reine“-Seifen mit natürlichen Aromen aus Österreichs ältester Seifensiederei Walde. Das Sortiment der „Tiroler Edle“-Schokoladen harrt genießerischer Abnehmer. Neben diesen von ihr selbst entwickelten Marken bietet Fiegl auch ausgewählte Schätze anderer Produzenten an, die ihren Ansprüchen genügen. Beim Streifzug durch das Geschäft und die Biographie der Gründerin wird schnell klar: Das oberste Kriterium ist Qualität. Die Qualität der Produkte, für die Fiegl steht, sowieso. Aber auch die Qualität der Arbeitsbeziehungen zwischen ihr und ihren Partnern.
Der hohe Preis für billigen Überfluss
Wie das bei bestechenden Ideen und Erfolgsgeschichten häufig ist, stand auch am Anfang von Fiegls Arbeit in und für Tirol ein persönliches, aber eben nur vermeintlich rein privates Bedürfnis. Die Arzttochter und studierte Agrarökonomin hatte Mitte der Neunzigerjahre drei kleine Kinder und die kühne Absicht, ihre Familie mit hochwertigen Lebensmitteln aus der eigenen Umgebung zu versorgen. Ein schwieriges bis unmögliches Unterfangen zu einer Zeit, in der das Stichwort Regionalität noch weit davon entfernt war, auch Supermarktketten als werblich verwertbares Argument zu dienen.
Wie bringen wir die Bauern und die Kundschaft zusammen?
Deutlich über die höchstpersönliche Entscheidung für einen bestimmten Lebensstil hinaus weist ein zweiter Gedanke, der Fiegl schon während ihres Studiums an der Universität für Bodenkultur in Wien umtrieb und heute drängender ist denn je: „Die kleinen Tiroler Bauern kämpfen ums Überleben. Wie bringen wir die Bauern und die Kundschaft zusammen? Und was können wir dazu beitragen, dass die Bauern anständig bezahlt werden?“ Das war 1997 der Beginn der „Bauernkiste“.
Heute ist das Projekt für mehr als 50 Produzentinnen und Produzenten entweder ein Standbein oder gar die tragende Säule ihres Wirtschaftens. Rund 700 Haushalte beziehen wöchentlich frische Nahrungsmittel und Convenience-Produkte, etliche Kunden mehr ordern gelegentlich, was sie brauchen: Obst und Gemüse der Saison, Fisch und Fleisch, Joghurt und Käse, Brot und Knödel, Schnaps und Schokolade…
Die Tiroler Edle Schokolade mit Tiroler Preiselbeeren
Therese nimmt ein Täfelchen „Tiroler Edle“ zur Hand, streift die Schleife, die der skizzierte Kopf einer Kuh ziert, ab, bietet ein Stück an: „Kennst du die Dunkle mit den Preiselbeeren? Das ist schon ein Klassiker und immer noch eine meiner persönlichen Lieblingssorten!“ Im Konditor Hansjörg Haag, mit seinem traditionsreichen Familienbetrieb in der kleinen Westtiroler Bezirksstadt Landeck zu Hause, hat Therese einen Partner gefunden, der ihre Ansprüche und Ziele teilt.
Fairness global gedacht
Die Idee, Schokolade zu machen, kam Therese Fiegl vor ungefähr 17 Jahren, als sie mit ihrem vierten Kind schwanger war: „Clara ist mein Schokoladekind.“ Nun ist Edelschokolade nichts, was man automatisch mit Tirol verbindet. Doch für Schokolade gilt, was auch für alle anderen Lebens- und Genussmittel gilt: Binnen weniger Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir uns an einen industriell produzierten Überfluss gewöhnt — und gleichzeitig eine Ahnung, im besten Fall ein Bewusstsein, dafür entwickelt, dass die exaltierte Marktlogik „alles, jederzeit und billig“ vielleicht doch nicht alles sein kann. Und außerdem unterm Strich alles andere billig ist. Für Konsumenten billig geht nur, wenn jemand anderer einen hohen, mitunter zu hohen Preis für die verschwenderische Überfülle an Schokoladen und sonstigen Süßigkeiten in unseren Supermarktregalen zahlt. Stichwort: Palmölplantagen. Und ein weiteres Stichwort, das die prekäre Situation der Tiroler Bauern ebenso beschreibt wie jene von Rohstoffproduzenten in Afrika, Südamerika und Asien: ausbeuterische Preise.
Ich verarbeite nur, was ich von meinem Fenster aus sehen kann.
Doch zurück nach Tirol: Die Milch, die in „Tiroler Edle“ verarbeitet wird, kommt vom Tiroler Grauvieh. Diese rund 3000 Jahre alte autochthone Rinderrasse gilt als robust und geländegängig, was sie ideal für die Haltung auf Tiroler Bergbauernhöfen und deren Fleisch wie Milch besonders hochwertig macht. Auch sämtliche anderen Zutaten, die der Schokolade Aroma verleihen, stammen aus Tirol: Nüsse, Kräuter, Honig, diverse Beeren, Edelbrände… Hansjörg Haag, der Chocolatier, formuliert es anschaulich: „Ich verarbeite nur, was ich von meinem Fenster aus sehen kann.“
Was das Klima in Tirol nicht hergibt, ist Kakao. Und plötzlich sind wir wieder bei einem dieser Schlagwörter, hinter denen die großen, komplexen Herausforderungen unserer Zeit stehen. Was für die heimischen Produzenten ihrer „Bauernkiste“ gilt, hat für Therese Fiegl nämlich selbstverständlich auch gegenüber den Kakaobauern in Ghana, die den Grundstoff für die „Tiroler Edle“ anbauen, Bestand: „Der Handel mit unseren afrikanischen Partnern muss fair und auf Augenhöhe stattfinden. Ich weiß schon, dass die Welt nicht ganz so einfach funktioniert. Aber klar ist: Wer in seiner Heimat von seiner Arbeit anständig leben kann, hat keinen Grund, nach Europa zu flüchten.“