Stadt mit Geschichte: Ein Tag in Rattenberg mit den besten Sehenswürdigkeiten
Eines war für mich bisher klar: Eine Stadt – und auch ein Städtchen – ist zumindest größer als mein Heimatdorf. Das beschauliche Rattenberg hat diese These auf den Kopf gestellt: 440 Einwohner auf knapp 10 Hektar, das sind die Eckdaten von Tirols kleinster Stadt. Doch: Davon sollte man sich nicht täuschen lassen! In den verwinkelten Gassen und hinter alten Mauern gibt es richtig viel zu entdecken. Schließlich hat das Städtchen eine lange Geschichte vorzuweisen: 1254 wird Rattenberg das erste Mal urkundlich erwähnt. Im Mittelalter war Rattenberg ein regionaler Verkehrsknotenpunkt und erlangte dadurch wirtschaftliche und politische Bedeutung. Zusätzlich gab es eine eigene Anlegestelle für die Innschifffahrt und die Stadt diente als wichtige Zollstation.
Im Handwerkskunstmuseum: Die Nagelschmiedhäuser
Am Tag meines Rattenberg-Besuches liegt die Stadt noch im Schatten, als ich in der Früh dort ankomme. Lange kann es aber nicht mehr dauern, bis die Sonne sich in der Fußgängerzone ausbreitet. Bis es soweit ist, schaue ich mir die Nagelschmiedhäuser an. Das doppelgiebelige, in den Felsen gebaute Haus am West-Eingang von Rattenberg ist nicht nur ein schönes – und beliebtes – Fotomotiv: In den Häusern aus dem 12. Jahrhundert wurden bis 1912 tatsächlich Nägel geschmiedet. Rund 2000 Nägel am Tag mussten es sein, damit der Nagelschmied davon leben konnte. Statt Nägeln findet man heute das Handwerkskunstmuseum in den Nagelschmiedhäusern: Krippen, Holzstuben und original eingerichtete Schlafräume, Antiquitäten, Informationen zur Innschifffahrt und Bilder entführen in eine andere Zeit.
Nagelschmiedhäuser Rattenberg
Das Zentrum der Glaskunst
Mit den ersten Sonnenstrahlen streife ich weiter durch die mittelalterliche Fußgängerzone. Da zeigt sich auch, dass Rattenberg nicht umsonst als Glaszentrum und Glasstadt bekannt ist: Glasfiguren, Glasvasen in allen Formen, Glaskrüge und mundgeblasene Weingläser gibt es hier zu kaufen. Zahlreiche Betriebe bieten Glaskunst in höchster Qualität an. Ich schaue mich bei Kisslinger Kristallglas um, dem bekanntesten Glashersteller und Veredler der Stadt. Auf drei Stockwerken gibt es hier alles, was man sich aus Glas vorstellen kann: Vom Riesenkelch bis zu feinsten Gläsern, von Schmuck bis zu Glastellern. Außerdem kann man den Glasbläsern bei der Arbeit zuschauen und erleben, wie das Glas aus dem glühend heißen Ofen seine endgültige Form erhält. „Faszinierend, was man da alles machen kann“, sagt eine Besucherin neben mir. Ich kann nur zustimmen.
Kisslinger Shop
Zwei Häuser weiter schaue ich – im zweiten Betrieb von Kisslinger Kristallglas – noch der Graveurin über die Schulter. Sie graviert individuell jeden Wunsch in Glas. „Vor allem Namen sind beliebt als Mitbringsel. Ein Buchstabe kostet ab 10 Cent und für wenig Geld hat man dann schon ein sehr spezielles Geschenk,“ verrät man mir im Shop.
Glasgravur bei Kisslinger
Erstmal Pause: Torte zum Frühstück im Cafè Hacker
Nach so viel Handwerkskunst brauche ich eine Pause. Die macht man am besten im Cafe Hacker, habe ich mir sagen lassen. Das Cafe, in dem seit 200 Jahren Süßes hergestellt wird, ist für seine Torten und Kuchen berühmt. Das muss ich natürlich testen: Zwetschkenkuchen und Cappuccino sind ausgezeichnet.
Café Hacker
Wenig später kommt auch Besitzer Reinhard Hacker am Tisch vorbei und gibt mir gleich einen Tipp: „Warst schon oben bei der Burg? Beim neuen Egon Schiele-Aussichtspunkt?“ Da muss ich auf jeden Fall noch hin.
Außergewöhnlich: Der Malerwinkel
Auf dem Weg zur Burgruine Rattenberg spaziere ich noch beim Malerwinkel vorbei, einem außergewöhnlichen „Haus der Vielfalt“. Bis 1920 war das ein Haus schnörkelloser Zweckbau und das dahinter liegende Haus wurde bis 1960 sogar als Turnsaal genutzt. Heute ist der Malerwinkel ein modernes Veranstaltungs- und Seminarzentrum und beherbergt außerdem ein fantastisches Restaurant mit einzigartigem Ambiente durch den gotischen Gewölbekeller. Die Verbindung von mittelalterlichem Charme und moderner Architektur ist hier perfekt geglückt.
Das zeigt sich auch, als ich den Glasaufzug auf die Dachterrasse des Restaurant Malerwinkel nutzen darf: In Windeseile bin ich über den Dächern der Stadt. Was für eine Aussicht!
Aussicht von der Malerwinkel Dachterasse
Ein Stück Geschichte: Die Burgruine
Von der Dachterrasse aus ist es nicht mehr weit zur Burgruine am Schlossberg. Unterwegs komme ich an der großen Freilichtbühne für die Schlossbergspiele Rattenberg vorbei: Jeden Sommer wird die Burgruine zur Bühne für das engagierte Laienensemble. Seit 1951 wurde – oft auch mit Unterstützung professionieller Regisseure und vieler freiwilliger Helfer – jährlich ein neues Stück gespielt. Das muss ich mir im nächsten Jahr ansehen.
Von der Burgruine aus hat man einen tollen Blick auf die Stadt – und man sieht, wie klein Rattenberg wirklich ist. In der bewegten Geschichte Rattenbergs war die Burg ursprünglich als reine Militäranlage geplant und entwickelte sich nach und nach zum Verwaltungszentrum der Stadt. Sie war unter anderem Sitz der Stadtverwaltung und der Ort, wo die Zölle zu entrichten waren. Mehrmals wurde die Burg, die unter bayrischer Herrschaft stand, an Tirol verpfändet, bevor sie unter Kaiser Maximilian I. 1504 endgültig zu Tirol kam. Heute ist von der Burg nur noch die Ruine übrig.
Beim Rundgang entdecke ich auch das Egon Schiele-Bild, von dem ich im Cafe Hacker erfahren habe: Mit den Augen des Malermeisters kann man hier Rattenberg betrachten. Ein Kunstdruck Schieles wurde auf Glas gepresst und durch eine besondere Konstruktion kann man die Zeichnung direkt mit dem Original, den Dächern Rattenbergs – vergleichen. Das Erstaunliche daran: Die detailgetreue Ansicht von Egon Schiele hat sich auch 100 Jahre später kaum verändert.
Egon Schiele Aussichtspunkt in Rattenberg
Rattenberg von oben: im Augustinermuseum
Nach einem entspannten Spaziergang zurück in die Stadt ist es noch einmal Zeit für Kultur: Ich besuche das Augustinermuseum in den Gebäuden des ehemaligen Augustiner und späteren Serviten-Klosters. Das Sakral-Museum wurde erst 1993 eröffnet und zeigt Tiroler Kunstschätze aus neun Jahrhunderten, aber auch religiöse Volkskunst. Außerdem kann man den Kirchturm des Klosters besteigen – als einzigen Kirchturm in Tirol. Eine schmale Holztreppe führt bis ganz nach oben, an massiven und jahrhundertealten Glocken vorbei. Oben angekommen, ist die Aussicht fantastisch.
Der Weg zur Spitze
Bis bald!
Zum Abschluss spaziere ich nochmal durch die Gassen: Fast die ganze Stadt ist eine Fußgängerzone, ich fühle mich ein bisschen als würde ich durch ein italienisches Dörfchen spazieren. Insgesamt, das habe ich gelesen, gibt es nur sieben Straßen in Rattenberg. Klein, aber fein, das stimmt in diesem Städtchen genau.
Fußgängerzone Rattenberg