Nightlife in Innsbruck: From Dusk till Dawn
Unsere Autorin möchte ein ausgelassenes Feierwochenende in Innsbruck verbringen – mit dem festen Vorhaben, nicht vor Sonnenaufgang ins Bett zu gehen.
In meinem Freundeskreis nennt man mich „die Sternschnuppe”. Was zunächst nach einem süßen Spitznamen klingt, ist eine Anspielung auf meine Unfähigkeit, an einem Freitag länger als bis zwei Uhr auf den Beinen zu bleiben. Meist bin ich diejenige, die nach dem ersten Wein den Tisch unterhält, bevor die anderen den Alkohol überhaupt spüren. Wenn wir dann endlich im Club angekommen sind, schleiche ich mich schon bald durch die Hintertür wieder hinaus. Egal, wie cool der Club, wie gut die Gespräche, wie lecker die Drinks: Um spätestens zwei Uhr liege ich im Bett. Keine Ausnahmen.
Ein Wochenende in Innsbruck feiern zu gehen, mit dem Clou, „bis zum Morgengrauen” aufzubleiben, ist deshalb eine echte Herausforderung für mich. Wann war ich das letzte Mal feiern, bis die Sonne aufging? Bilder von meiner Abi-Fahrt, auf der Rückbank eines Taxis in Cala Ratjada, schießen mir durch den Kopf. Lange her. Irgendwo in mir muss doch noch die 16-Jährige schlummern, die ihre Eltern am Telefon anflehte, noch länger auf der Party unserer Dorfdisco bleiben zu dürfen. Dieses Wochenende sollte ich sie wieder heraufbeschwören.
Allein stehe ich das nicht durch. Deshalb nehme ich meine beste Freundin Hannah mit. Sie ist mein perfektes Gegenstück: Wenn ich mich mal wieder um halb zwei aus dem Club schleichen möchte, ist sie diejenige, die mir einen brennenden Vortrag darüber hält, dass man nur einmal jung ist.
Let’s get this party started
Los geht’s im Stage12 Hotel. Hinter der Fassade eines traditionellen Innsbrucker Stadthauses erstreckt sich ein Neubau, an dem sich Architekten austoben durften: Bodentiefe Fenster, Balkone, die sich an der Seite des Gebäudes Richtung Sonne auffächern, das Logo prangt in gebürsteten goldenen Lettern über dem Eingang. Hier wohnen wir.
Die weichen Boxspringbetten auf unserem Zimmer laden zu einem Power-Nap ein, aber dafür fehlt uns die Zeit. Wir beraten kurz, was wir anziehen sollen, was sich schwieriger als gedacht herausstellt – denn heute Abend wollen wir unter anderem in eine Luxus-Cocktailbar und auf einen Rave gehen. Unser Kompromiss: Schickes Oberteil, aber bequeme Schuhe.
Unser erster Stopp ist die „Elfriede“: Grundlage schaffen mit Tiroler Hausmannskost. Die Elfriede ist die coole junge Schwester der klassischen Wirtschaft. Statt Hirschgeweihen hängen getrocknete Blumen, Kräuter und Gräser an der Wand, lässig mit buntem Klebeband befestigt. Wir bekommen einen Vorgeschmack auf das Innsbrucker Klientel: Snowboarder mischen sich mit Studierenden, hippe T-Shirts mit hochgerollten Beanies.
In einer der Holzboxen in der Nähe des Eingangs bestellen wir das Knödeltrio mit Sauerkraut. Wir checken die Wetter-App, um zu sehen, um wieviel Uhr die Sonne aufgeht. Sechs Uhr. Das kann lustig werden.
Wir ziehen weiter ins Liquid Diary, das Kontrastprogramm zur entspannten Elfriede. Schon von außen wird klar, dass das ein schicker Laden ist: Die Bar ist mit einem roten Samtband abgesperrt, es ist sogar ein kleiner Teppich ausgerollt. Tisch für zwei? Wir haben Glück. Drinnen erwartet uns dunkles Holz, die Wände sind waldgrün gestrichen, schwummriges Licht wirft seine Kegel auf die Hochtische, es riecht nach Holz und Gewürzen.
Unser Kellner reicht uns die Karte: Ein ledergebundenes Buch, mit Polaroid-Bildern von den Drinks. Er erklärt uns: „Hier geht es um Erinnerungen, um alle Sinne, nicht nur den Geschmack.“ Die Karte fungiert gleichzeitig als Gästebuch: Hier kann man Erinnerungen und Gedanken im hinteren Teil des Buches aufschreiben. Wir hinterlassen eine Liebeserklärung an den Barkeeper, denn unsere Cocktails sind phänomenal: „Mumbai Noice“ ist unser Favorit, ein Espresso Martini, der nach Nelke und geräucherten Hölzern schmeckt.
Die Preise sind ähnlich opulent wie die Einrichtung: Knapp 60 Euro für drei Drinks, allerdings stimmen wir überein, dass wir selten so gute Cocktails getrunken haben. Ins Liquid Diary würden wir jemanden mitnehmen, den wir beeindrucken wollen.
Der bunte Mix an Alkoholsorten kommt in unserem Blut an und wir bekommen Lust zu tanzen. Als erstes wollen wir in den Dachsbau (Hinweis: Aktuell sucht sich der Dachs einen neuen Bau und ist deswegen geschlossen). Kurzer check auf Google Maps: Sieben Minuten zu Fuß entfernt. Innsbrucks Partyszene ist wunderbar kompakt.
Der Dachsbau liegt in einem Betongebäude, aus dem Keller dringen Hip-Hop-Beats. Der Club ist laut Locals der Fixstern in Innsbruck, wenn es um Hip Hop geht, denn ansonsten geht man hier wohl auf Techno-Sounds feiern. Nachdem wir einen Drink bestellt und uns auf die Tanzfläche gewagt haben, taste ich erfolglos nach meinem Handy. Bitte nicht, nicht heute. Nach zwei panischen Runden durch den Club frage ich an der Theke nach meinem Handy und tatsächlich – jemand hat es gefunden und abgegeben. In meiner Fotomediathek finde ich vier Selfies von meinen Helden, die ihre Rettung mit Grimassen dokumentiert haben. Ich muss lachen und bin dankbar, dass in Innsbruck Handys abgegeben und nicht eingesteckt werden.
Trotzdem hat mich die Panik stocknüchtern gemacht, es ist Zeit weiterzuziehen. Unser Ziel: die Partymeile Innsbrucks – die Bögen. Irgendwann landet man angeblich immer hier. Die Bögen finden sich unter einem Viadukt, über das heute Zuggleise führen, und hier gibt es eine ganze Bandbreite an Clubs, von Absturzlokal bis Kulteinrichtungen wie dem P.M.K.
Wir gehen in die Tante eMma – eine wenig dezente Anspielung auf die Feierdroge. Als wir eintreten fühlen wir uns auch ohne Pillen wie bei Alice im Wunderland. In einem Raum hängt ein Sofa von der Decke, in dem anderen ein Klavier, neben dem Eingang begrüßt uns ein Bild von Jesus mit aufgeklebten Kulleraugen. Die Musik im Hauptraum ist ein Stück Berlin in Innsbruck, Elektro-Sounds lassen den Boden erzittern.
Und obwohl die Zeit hier schnell vergeht, ist es gegen drei Uhr dann so weit: Eine Stunde nach meiner üblichen Feiergrenze werden meine Beine schwerer, ich verkneife mir die Gähner und erwische mich dabei, wie ich auf die Uhrzeit schiele. „Ich hab’ Hunger“, sagt Hannah. Das kommt mir gerade recht.
Wir suchen vergeblich nach einem geöffneten Dönerladen, bis wir das „Chilis“ finden, ein Auffangort für alle verlorenen Geister nach drei Uhr morgens. Mit Döner und Pommes setzen wir uns auf die roten Lederbänke neben einen Weihnachtsbaum, der offenbar ganzjährig fröhlich blinkt. Mit schweren Augenlidern drücken wir die Ketchup-Tuben über unseren Pommes aus und schwören uns, noch wach zu bleiben.
Doch nach dem fettigen Essen weiß ich – das wird heute nichts mehr. Kaum haben unsere Köpfe die Kissen im Hotel berührt, sind wir eingeschlafen.
Neuer Tag, neues Glück
Unser Wecker reißt uns aus dem Schlaf und mein Kopf pocht wütend, als ich mich aufsetze. Beim phänomenalen Frühstück im Stage12 diskutieren wir unser Versagen und schlussfolgern, dass wir zu schnell zu viel wollten und dann ausgebrannt sind. Eine klassische Sternschnuppe.
Heute Abend ist Kampfansage: Wir wollen wach bleiben. Komme, was wolle.
Unser erster Stopp des Abends ist das L’Arc, eine Brasserie mit mediterraner Küche. An Hochtischen gibt es hier Essen und Cocktails der Extraklasse. Smoother Jazz läuft im Hintergrund, die Ventilatoren an der Decke verteilen den Duft von frisch geriebener Orange aus unserem Drink, das Licht aus den Hängelampen ist gedimmt. Das L’Arc hat drei Hauben (das österreichische Äquivalent zu Sternen) – und das schmeckt man. Ricotta-Bärlauch-Gnocchi mit Trüffelschaum, weißer Spargel mit Kartoffeln und Prosciutto, Blätterteig-Tarte mit Burrata, Basilikum und Minze – alles schmeckt hervorragend. Für uns ist das L’Arc der perfekte Ort für besondere Anlässe.
Wir kommen mit dem Chefbarkeeper ins Gespräch, der uns die Bar Kater Noster nebenan empfiehlt. Ein unangestrengt hipper Laden, mit den attraktivsten Menschen. Einige von ihnen drängen sich an die Bar, um einen Whiskey-Cola zu bestellen, andere fläzen auf den Sofas, die in Ecken kleine Inseln bilden. Hannah und ich sind uns einig: Würden wir in Innsbruck wohnen, wäre das unser Stammlokal.
Als nächstes steht das Highlight des Wochenendes auf unserer Liste: Im P.M.K. findet heute die Gender-Bender Party statt, eine queere Party gegen „Tristesse und Heteronormativität”. Wir wissen, dass wir richtig sind, als uns in einer Nebenstraße vor dem P.M.K. ein Typ mit Ledergeschirr auf nackter Brust entgegenkommt. Die Schlange vor dem Club ist lang, wir sehen silberne Lider mit Kristallsteinen in den Augenwinkeln, geflochtenen Dutts auf den Hinterköpfen, messerscharfe Eyeliner in kobaltblau.
In uns kribbelt die Vorfreude, doch nach zehn Minuten Wartezeit ist Einlassstopp. Nach vierzig Minuten ist unsere Stimmung auf dem Tiefpunkt und der Gedanke ans Hotelbett ist verlockender denn je. Doch dann gesellt sich ein Mädchen zu uns. Ihre Freunde wollen schon nach Hause, erzählt sie, doch sie will unbedingt auf diese Party, also fragt sie, ob sie sich uns anschließen kann. Ihre Motivation gibt uns neuen Wind und kurze Zeit später winkt uns der Türsteher zu sich. Er stellt uns ein paar Fragen, um sicher zu gehen, dass die Party ein sicherer Ort für die queere Community bleibt. Man merkt sofort: Hier wird aufeinander Acht gegeben.
Die Tunes von DJ Philippa Pacho aus Berlin ziehen uns nach unten auf die Tanzfläche. Am Kopf des Raumes tanzen einige Gäste auf einem Podest, im Strobo-Licht zucken ihre Leiber zur Musik. Ich werde von dem Sog aufgenommen, die Menschen um mich herum schwingen die Arme um ihre Körper, die meisten haben die Augen geschlossen. Hier herrscht Ekstase, pure Hingabe an die Musik. Ich fühle mich frei, unbeobachtet. Ich verliere komplett das Zeitgefühl, ich denke nicht mehr daran, dass ich wach bleiben muss – ich will wach bleiben.
Unbestimmte Zeit später sind Hannah und ich wieder im Chilis und bestellen versehentlich eine Döner-Pizza, die wir durch die Straßen schlendernd essen. Plötzlich sagt Hannah: „Warte mal: Hörst du das?“ Wir halten inne und tatsächlich. Ist das – Vogelgezwitscher? Ich gucke auf mein Handy: 5.45! Die Sonne geht in 15 Minuten auf.
Uns packt die Euphorie, denn tatsächlich: Der Himmel sieht nicht mehr ganz so dunkel aus, am Horizont klettern die ersten Schattierungen von Blau über den Himmel. Unter dem Triumphbogen beobachten wir, wie die Sonne zwischen den Bergen aufgeht. Wir haben es geschafft!
Als wir zurück ins Hotel schlendern, werden wir mit einem fröhlichen „Guten Morgen“ begrüßt. Oh ja, ein guter Morgen, das ist er tatsächlich.
Zugegeben: Die Innsbruck Partyszene ist kleiner als in anderen Städten. Trotzdem waren wir von seiner Bandbreite überrascht: Von Luxus-Cocktails im Liquid Diary bis Techno Sounds im P.M.K, von den Hip-Hop Nächten im Dachsbau bis zum Rock-Sound im Prometheus. Wir würden uns höchstens noch eine Alternative zum Chilis wünschen.
Außerdem gefällt uns die enggeknüpften Partyszene: Hier werden verlorene Handys noch beim Barkeeper abgegeben, hier gesellt man sich noch spontan zu einer fremden Gruppe Mädels und feiert gemeinsam bis zum Morgengrauen. Manchmal passieren die lustigsten Dinge eben doch nach zwei Uhr morgens.