Steigeisen und Rosmarin: Die Kaunergrathütte im Pitztal
Der Gletscher, oder „Ferner“ wie man hier sagt, streckt seine kalte Zunge beinahe bis vor die Haustür, rundherum nichts als grauer Fels. Nach vier Stunden haben wir den Aufstieg zur höchstgelegenen Alpenvereinshütte des Pitztals geschafft. „Bisch du da Fotografi?“, begrüßt mich der kleine Leo, während ich nach Atem ringe. Der Dreijährige verbringt den Sommer auf 2.800 Metern und stellt das Empfangskomitee für müde Bergsteiger.
Noch bevor ich verneinen kann, drückt mir Leos Mama einen Schnaps in die Hand. „Proscht!“, sagt sie und lacht. Als Julia Dobler hier angeheuert hat, war sie 21 und damit die jüngste Hüttenwirtin Österreichs. 10 Jahre ist das nun her und Journalistenbesuche sind nichts Neues für sie. Sonntags-Wanderer hingegen verirren sich selten herauf, vielmehr ist die Kaunergrathütte ein beliebtes Basislager für Alpinisten der härteren Sorte.
Julia vor „ihrer“ Kaunergrathütte
Die Kaunergrathütte wird ausschließlich mit erneuerbaren Energien betrieben.
Audio: Julia Dobler über ihre Anfänge als Hüttenwirtin.
Sommer in extremer Lage
„Man arbeitet 12 Stunden am Tag, den ganzen Sommer lang“, erzählt die Gastronomin, während wir auf der Terrasse sitzen. Plötzlich rumpelt unterhalb der Watzespitze ein Steinbrocken ins Tal. „Der Klimawandel“, sagt sie und runzelt die Stirn. Der Gletscher schmilzt und spuckt immer öfter Geröll nach unten. Es ist ein rauer Ort, den sich Julia als Arbeitsplatz ausgesucht hat. Die Hütte ist nur zu Fuß zu erreichen und wird alle drei Wochen per Hubschrauber mit Lebensmitteln versorgt.
„Alles ist ein bisschen extrem, auch das Wetter. Fürs Gemüt ist es nicht einfach, wenn es mal eine ganze Woche lang nebelig ist“, erzählt die Hüttenwirtin. Leo scheinen diese Dinge nicht zu kümmern, er interessiert sich mehr für die Kamera meines Begleiters. Bald hüpft er wieder vergnügt auf den Steinen vor der Hütte herum und Familienhund Aisha leistet ihm dabei Gesellschaft.
Leo und Familienhund Aisha.
„Steinmandl“ weisen den Weg zur Kaunergrathütte.
Der gute Geist vom Kaunergrat
„Ich mache das aber nach wie vor mit Leib und Seele“, sagt die Pitztalerin. Julia ist der „gute Geist“ vom Kaunergrat. Hier ein Beet mit frischem Rosmarin, dort ein paar Hängematten. Auf der Kreidetafel stehen Aperol Spritz und Apfelstrudel – lauter Dinge, die man sich in dieser Höhe nicht erwarten würde. „Ich brauche schon mal eine Hubschrauberladung Blumen. Ohne das wäre ich nicht glücklich“, gesteht die Wirtin.
Eine Gruppe Bergsteiger fachsimpelt am Nebentisch und genießt sichtlich das gute Essen. „Die Kaunergrathütte ist etwas Besonderes, weil sie mit viel Liebe bewirtschaftet wird“, sagt Andreas Nothdurfter. Er ist staatlich geprüfter Bergführer und kennt so ziemlich jede Hütte zwischen Zugspitze und Großglockner. Julias Bruder Michael kümmert sich um das leibliche Wohl der Gäste und setzt in der Küche – so gut wie eben möglich – auf regionale Produkte.
Michael Dobler verwöhnt die Bergsteiger mit leckeren Gerichten.
Die Kaunergrathütte
Die Kaunergrathütte liegt auf 2.817 Metern unterhalb der Watzespitze im Naturpark Kaunergrat. Der einfachste Aufstieg startet in Plangeroß, dauert etwa dreieinhalb Stunden und ist auch für Durchschnitts-Wanderer gut zu bewältigen. Die Familie Dobler ist von Mitte Juni bis Ende September vor Ort, im Frühjahr können sich Skibergsteiger im Winterrraum ausruhen. Alpenvereinsmitglieder mit gültigem Ausweis übernachten ermäßigt, die Zahlung ist nur mit Bargeld möglich. Es empfiehlt sich, online einen Schlafplatz zu reservieren.
Julia Dobler bringt liebevolle Details in eine raue Gegend.
Umweltfreundliches Zentrum für Alpinisten
Bei all der Liebe zum Detail ist der Kaunergrat doch ein Treffpunkt für Menschen, deren Gedanken sich hauptsächlich um Pickel, Steigeisen und Kletterseillängen drehen. Mehr als 60 Bergsteiger finden in der Schutzhütte Platz, ein Großteil davon im Matratzenlager. Nur einen Steinwurf von der Unterkunft entfernt, befindet sich ein Klettergarten.
Die Kaunergratütte dient auch als Basislager für hochalpine Ausbildungen, sogar ein kleiner Schulungsraum mit Internetanschluss ist vorhanden. Versorgt wird die Hütte ausschließlich mit erneuerbarer Energie, weshalb sie mit dem Umweltgütesiegel der Alpenvereine ausgezeichnet wurde. Der Strom stammt aus einer Photovoltaikanlage, die Heizung läuft mit Rapsöl und eine UV-Behandlung macht das Gletscherwasser trinkbar.
Frühmorgendliches Matratzenlager.
Übungsklettersteig bei der Kaunergrathütte.
Bis zum nächsten Jahr, Kaunergrat
Schon früh am nächsten Morgen machen sich die Bergsteiger für ihre Touren bereit. Kaffeeduft erfüllt die Gaststube und ein üppiges Buffet lädt zur Stärkung ein. Auch Leo ist schon wach und unterhält sich prächtig mit einer Runde gut gelaunter Bergführer. Für uns ist es an der Zeit, wieder ins Tal zu marschieren. Wehmut kommt auf.
Wie muss es Julia ergehen, wenn sie sich nach einem langen und arbeitsreichen Sommer von hier verabschiedet? „Leo darf dann mit dem Hubschrauber runterfliegen und ich gehe immer zu Fuß. Unten bei der Moräne schaue ich dann noch mal zur Hütte rauf und sage »Bis zum nächsten Jahr, Kaunergrat«“.
Fotos: Bert Heinzlmeier / Klaus Brunner