Hütten in Nahaufnahme: Die Pfeishütte im Karwendel
Heuer ist alles ein bisschen anders, als es die Wirtsleute und Gäste auf der Pfeishütte in den vergangenen Jahren gewohnt waren. Oder eigentlich ganz anders: Denn zu Vroni und Michl Kirchmayer sowie Hund L’Anouk gesellt sich neuerdings Flora, das jüngste Ergebnis der bayerisch-tirolerischen Karwendel-Kooperation.
„Ich muss Flora stillen und wickeln, dann können wir reden“, sagt Vroni, die ihre gerade einmal zwei Wochen alte Tochter heute zum allerersten Mal mit auf die Pfeishütte gebracht hat – mit dem Geländewagen. Der Anstieg auf 1.922 Metern Seehöhe am Ende des Samertals im südlichen Karwendel wäre für die junge Mama und ihren Säugling dann doch noch etwas zu beschwerlich, auch wenn sie die Gegend um die Pfeishütte wie ihr Wohnzimmer in Seefeld kennt und bis zum Tag von Floras Geburt auf der Hütte war. „Ganz so geplant war das nicht“, lacht Vroni, „eigentlich wollte ich eine Woche vor dem Geburtstermin ins Tal. Aber Flora hatte es eilig und kam zwei Wochen zu früh.“
Michl Kirchmayer führt die Pfeishütte seit sechs Jahren gemeinsam mit seiner Ehefrau Vroni. Seit einigen Wochen sind sie stolze Eltern der kleinen Flora.
Michl und Vroni sind begeisterte Berggeher und kennen die Touren rund um die Hütte in- und auswendig.
Die gemeinsame Geschichte von Veronika und Michael Kirchmayer begann vor acht Jahren. Sie, Jahrgang 1982 und gebürtige Tegernseerin, hatte in München Kommunikationswissenschaften studiert und bei Sony im internationalen Musikmarketing gearbeitet. „Aber das war letztlich nichts für mich“, erzählt Vroni, „ich habe nebenbei die Ausbildung zur Erlebnispädagogin und alle möglichen anderen Outdoor-Ausbildungen gemacht.“ Er, 1975 geboren und „ein echter Tiroler“, arbeitete 16 Jahre lang in seinem erlernten Beruf als Elektrotechniker, bevor er an den Punkt kam zu sagen: „Jetzt oder nie mache ich etwas ganz anderes.“
Michl hatte erste Hüttenerfahrungen gesammelt, indem er bei einem befreundeten Hüttenwirt am Taschachferner im Pitztal aushalf. Vroni hatte „den größten Teil meiner Kindheit auf der privaten Alm meiner Großeltern verbracht“. Zusammen kamen die beiden in Innsbruck, wo sie beide die Ausbildung zum Skitoureninstruktor absolvierten. Was dann geschah, klingt in der Kurzform so: „Wir haben eine Hütte gesucht, der Innsbrucker Alpenverein hat uns engagiert. Wir waren sofort Feuer und Flamme.“
Begeisterte Hüttenwirte sind die beiden auch in ihrer sechsten Saison noch, auch wenn sie vor allem in den ersten Jahren nicht nur viel Zeit, Geld und Energie in die Hütte gesteckt, sondern auch jede Menge Lehrgeld gezahlt haben. „Es sind unglaubliche viele kleine und größere Herausforderungen aufgetreten, die wir so nicht erwartet hätten“, erinnert sich Vroni. „Allein in der ersten Saison hat es uns acht Mal die Fahrstraße übermurt bzw. weggeschwemmt. Und man weiß zwar vorher, wie lange die Tage werden – aber wenn man die Arbeit dann wirklich macht, spürt man es auch.“
Bei den meisten technischen Problemen – „Stell dir vor, es ist Samstag und Schönwetter, und dann funktioniert die Spülmaschine nicht…!“ – weiß sich Michl selbst bestens zu helfen. Zu diesem praktischen Aspekt gesellt sich noch eine andere Ebene: „Unsere Philosophie ist: Die Gäste sollen nicht auf die Pfeishütte, sondern zu Vroni und Michl kommen. Deshalb finden sich bei uns jede Menge liebevoll gestalteter Dekorationsdetails bis hin zu selbstgestrickten Besteckkörben. Deshalb geizen wir auch nicht mit privaten Informationen über uns und unsere Mitarbeiter. Und deshalb haben wir uns auch dafür entschieden, dass keiner von uns in der Küche steht, sondern dass wir beide bei den Gästen sind.“
Aufmerksame Gäste finden auf der Pfeishütte jede Menge liebevoll gestaltete Dekorationsdetails: Sogar die Kleiderbügel sind selbstgestrickt.
Denn es gibt sie natürlich, diese Augenblicke, „die dir schon kurz die Nerven rauben“. Aber dem gegenüber stehen „so viele schöne Momente… Normalerweise machen wir zum Beispiel selbst den Frühstücksdienst. Man steht um 5 Uhr auf, richtet in aller Ruhe das Frühstück her, dann bleibt einer von uns da und der andere läuft schnell auf einen Gipfel. Die Sonne geht auf und taucht die Berggipfel in Gold. Die Ruhe, die Atmosphäre, die frische Luft – das ist gigantisch, wie viel Kraft und Motivation einem das gibt“, schwärmt Vroni.
Die Kirchmayers legen Wert darauf, jedem Gast Wertschätzung und Respekt zu zollen. Sie und Michl unternähmen privat zwar schon gern alpinistisch und konditionell anspruchsvolle Touren. Es komme aber, sagt Vroni, nicht darauf an, wie fit jemand sei und ob er eine extreme Tour oder nur einen kleinen Ausflug mache – „was jemand im Rahmen seiner Möglichkeiten geleistet hat, ist immer super“.
Ihr Lebensmotto haben die Wirtsleute an der Kreidetafel über der Schank notiert.
An der Kreidetafel über der Schank haben die Wirtsleute in einer leicht unregelmäßigen Schönschrift ihr Lebensmotto notiert, das sie bei dem aufklärerischen französischen Philosophen Voltaire entlehnt haben: „Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“ So glücklich sind Vroni und Michl, dass sie in der Silvesternacht 2016/17 – allein zu zweit bzw. eigentlich schon zu dritt auf der Pfeishütte, wo sonst! – beschlossen, zu heiraten. Der standesamtlichen Hochzeit im März sollte eigentlich ein großes Hüttenfest für Familie und Freunde im Juni folgen. „Da kam uns allerdings Floras Geburt dazwischen“, berichtet Vroni. „Aber wir holen das Hüttenhochzeitsfest 2018 nach.“
Im kommenden Jahr werden die Kirchmayers auf ihren Streifzügen durchs Karwendel dann auch an Hund und Baby erkennbar sein – bisher war der weiße Schweizer Schäferhund allein eine Art Markenzeichen der Pfeishütten-Wirte. Die Ankunft eines neuen Familienmitglieds stört L’Anouk, der vor einigen Jahren als Welpe zu den Kirchmayers kam, übrigens nicht: „Er genießt das Hüttenleben, liegt meistens auf der Terrasse und beobachtet das Geschehen. Zwischendurch dreht er seine Runden und schaut, dass jeder da ist, wo er hingehört. Und er bewacht und behütet auch schon unsere Tochter.“
Alle Fotos: Tirol Werbung/Jens Schwarz
Viele Wege führen auf die Pfeishütte: von Scharnitz durchs Gleirsch- und Samertal (leicht, ca. 5 Stunden, auch mit Mountainbike befahrbar), vom Halltal über Herrenhäuser und Stempeljoch (mittelschwierig, ca. 3 Stunden), von der Station Hafelekar der Nordkettenbahn über den Goetheweg (leicht, ca. 1, 5 Stunden), von Arzl oder Hungerburg bei Innsbruck über Arzler Scharte (mittelschwierig, ca. 4,5 Stunden) oder von Rum oder Thaur über Vintlalm und Kreuzjöchl (mittelschwierig, ca. 5 Stunden). Mehr Infos zur Hütte: www.tirol.at
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Von der Stüdlhütte am Fuße des Großglockers über die Berliner Hütte in den Zillertaler Alpen bis hin zur Pfeishütte im Karwendel: In der achtteiligen Serie „Hütten in Nahaufnahme“ erzählen wir diesen Sommer die Geschichten von Tiroler Alpenvereinshütten und den Menschen, die sie bewirtschaften.