Echte Hingucker: Unterkünfte, die besonders auf gutes Design setzen.
Boutique-Hotel kontor: Neues Hotel in altem Gemäuer in Hall
Der Boden des Frühstücksraumes besteht aus Holzeinlagen aus Ebenholz – einst so wertvoll wie Gold.
Mit Mut und Naivität haben sich Ursula und Marek Basny ihren Traum erfüllt. In Eigenregie haben sie ein 500 Jahre altes Gebäude in Hall in Tirol zu einem kleinen, feinen Boutique-Hotel umgebaut.
Ein Skalpell. Wahrlich kein Werkzeug, das einem automatisch in den Sinn kommt, wenn man an die Renovierung eines Hauses denkt. Marek Basny hat in zwei Jahren hunderte Stunden mit dem Skalpell in der Hand verbracht, um behutsam, Zentimeter für Zentimeter, Wände freizulegen, denen im Laufe von Jahrhunderten unzählige Schichten von Farbe, Tapeten und Verputz gewachsen sind. Sicher ebenso viel Zeit verbrachte Marek mit dem schweren Schremmhammer im Anschlag. 15 Tonnen Bauschutt produziert man nicht mit einem Skalpell.
Marek legte die barocke Stuckdecke mit einem Skalpell frei.
Wir sitzen im Frühstückssaal des Haller Boutique-Hotels kontor. Das Haus ist alt, mehr als 500 Jahre alt und direkt an die mittelalterliche Stadtmauer der einst berühmten Salzstadt östlich von Innsbruck gebaut. Der Blick schweift von einer original barocken Stuckdecke über moderne Stilmöbel in ruhigen Farbtönen bis zum ebenfalls im Original erhaltenen Holzboden. Ursula Jud-Basny serviert Kaffee. Theo, der kleine Sohn der Besitzer, flitzt durch den Raum und schnappt sich ein Stück Kuchen, den seine Mama für die Hotelgäste gebacken hat. Die Basnys haben im Dezember 2018 ihr Hotel eröffnet und eine Geschichte von vielen Mühen zu erzählen, die sich im Rückblick schon in beinahe amüsante Anekdoten zu verwandeln beginnen.
„Ein Haus, das nur noch aus Gewohnheit steht
Ursula, 1988 geboren und in Hall aufgewachsen, ist studierte Mathematikerin. Marek wurde in Tschechien geboren, ist jedoch in Korsika aufgewachsen, wo die beiden einander auch kennenlernten und einige Jahre zusammen lebten. Was die Tirolerin und den tschechischen Korsen verbindet, war von Anfang an auch die Leidenschaft für alte Häuser. Ursula erzählt: „Wir haben uns schon auf Korsika oft halbverfallene Häuser angeschaut und phantasiert, was man damit anfangen könnte. Ich habe gesagt: Kaufen wir uns eine Ruine und machen eine Frühstückspension daraus!“ Mareks Reaktion: „Du bist ja verrückt!“
Das Stiegenhaus im Boutiquehotel kontor.
Das Boutiquehotel kontor ist mit viel Liebe zum Detail eingerichtet.
Die Ruine am Rande der Haller Altstadt, aus der die beiden schließlich ein schmuckes Boutique-Hotel zauberten, fanden sie 2014 während eines Weihnachtsurlaubs bei Ursulas Eltern. Das Gemäuer, dessen Geschichte seit etwa 1450 lückenlos belegt ist, war über lange Zeit ein Handelshaus (daher der Hotelname kontor). Etliche Besitzerwechsel und verschiedenste Nutzungen später erzählte das Haus vor allem von einem über die Jahrhunderte vollkommen sorglosen Umgang mit dem baulichen Erbe. Vor allem die Statik, durch zahlreiche dilettantisch bis fahrlässig ausgeführte Umbauten arg auf die Probe gestellt, barg eine unliebsame Überraschung nach der anderen. Abgeschnittene Trägerbalken, einsturzgefährdete Decken, absturzgefährdete Erker… Ursula zitiert das Urteil des Statikers: „Dieses Haus steht nur noch aus Gewohnheit.“
Von Mut, Naivität und Vernunftentscheidungen
Braucht man mehr Mut oder mehr Naivität, um so ein Vorhaben überhaupt anzufangen? Marek ist sich sicher: „Extrem viel Mut. Naiv darf man nicht sein.“ Ursula hingegen sagt: „Ich glaube, ich war total naiv. So sehr, dass ich während der Umbauphase nie Angst hatte, dass sich das nicht ausgehen könnte. Wir haben zwar ein Vierfaches des Kaufpreises in die Renovierung und Einrichtung des Hauses gesteckt, aber Marek hat so viel selbst gemacht, dass er uns auch sehr viel Geld erspart hat.“
Abgesehen von Mut und/oder Naivität erfordert ein Projekt wie das kontor auch enormen Fleiß, Durchhaltevermögen und vor allem Flexibilität: Aus der Ursprungsidee Frühstückspension wurde bald das Konzept Boutique-Hotel. Der Kredit, der eigentlich für sieben Zimmer reichen sollte, ließ vorläufig nur den Ausbau von fünf Zimmern zu, aber „jedes davon, hat seinen eigenen Charakter, eine eigene Seele“, sagt Marek.
Die historischen Gemäuer werden durch zeitgemäße Möbel und Bäder komplettiert.
Wenn es sich irgendwann finanziell ausgeht, harren die Räume im dritten Stock ihrer Fertigstellung. Und ein 50 Quadratmeter großes Gewölbe im Erdgeschoß schreit regelrecht danach, eine Bar hinein zu bauen. Aber das hat Zeit, bis sich die Basnys auf ein Konzept einigen können, das dem exklusiven Stil ihres Hotels gerecht wird.
„Ich liebe meine Wände!
Apropos Mut oder Naivität: Während der Umbauphase ihres Hotels wurden die Basnys auch noch Eltern. „Das“, lacht Ursula, „war tatsächlich eine Vernunftentscheidung: Wir wussten, dass ich, sobald unser Hotel eröffnet ist, nicht länger ausfallen kann, weil wir uns in der ersten Zeit sicher kein Personal leisten können. Und Marek ist nicht zum Hotelier geboren.“ Marek sagt dazu schlicht: „Ich liebe meine Wände!“ An denen im dritten Stock arbeitet er jetzt auch weiter, aber nicht mehr unter dem Druck der letzten zwei Jahre. Er genießt es, Zeit mit seinem kleinen Sohn zu verbringen, während Ursula sich um Gäste kümmert. Unter der Woche sind es vorwiegend Geschäftsreisende, am Wochenende auch Städtetouristen, die den Weg ins kontor finden, weil sie die ganz spezielle Atmosphäre des Hauses schätzen.