Schwebende Wunderwerke – Die Vallugabahn II am Arlberg
Die Valluga II ist anders als alle bisherigen Bahnen, die wir porträtieren durften. Nicht nur, weil sie relativ alt (Baujahr 1955) und klein (zwei Kabinen für je sechs Personen) ist, sondern weil wir statt mit einem Angestellten der Seilbahngesellschaft mit einem Bergführer verabredet sind.
Die Auffahrt zur Valluga II beginnt mit der Galzigbahn – und die lenkt uns kurzzeitig von unserem eigentlichen Ziel ab: Die 2006 in Betrieb genommene Bahn fasziniert mit einer sehr seltenen Technik: dem Funitel System. Dabei sind die Kabinen auf zwei parallel laufenden Tragseilen gekoppelt. Also eine Doppel-Einseilumlaufbahn. Noch mehr beeindrucken uns aber die beiden Riesenräder, die die Kabine etwa acht Meter weit absenken, damit wir bequem ebenerdig einsteigen können. Danach wird die Kabine wieder angehoben, beschleunigt und auf die Seile geklemmt. So faszinierend diese aufwendige Technik auch ist, wir haben ein anderes Ziel. Mit einfacherer Technik, aber dafür eine Legende: Die Vallugabahn II mit ihren zwei winzigen, blauen Kabinen.
Und hier treffen wir auch Erich „Naggy“ Schweiger. Auf dem Kopf die Teilnehmer-Kappe des legendären Skirennens „Der Weisse Rausch“ und unterm Arm ein RedBull-Skihelm – der Mann weiß, wo es am Arlberg lang geht. Seit 38 Jahren arbeitet er als Skilehrer und Bergführer. Die Vallugabahn II bezeichnet er als sein „Büro“. Bei guten Bedingungen gondelt er mehrmals die Woche mit Freeridern auf die 2.811 Meter hohe Vallugaspitze. Er selbst ist sozusagen die Eintrittskarte. Denn nur mit einem registrierten Guide, der für seine Gäste unterschreibt, darf man mit Ski oder Snowboard die Valluga II nutzen. Für alle anderen ist oben auf der Aussichtsplattform Schluss, sie müssen mit der Bahn wieder runterfahren.
Mit Guide Erich in der kleinen Kabine der Vallugabahn II.
Gemeinsam mit Erich quetschen wir uns samt Equipment in eine der wackeligen Kabinen und fühlen uns sofort in eine andere Zeit versetzt. Es riecht nach Maschinenöl und die zerkratzen Wände lassen die vielen verschiedenen Anstriche der letzten Jahrzehnte erkennen. Erst einmal wurden die Kabinen ausgetauscht: 1979 hat man die alten Fünferkabinen durch Sechser-Kabinen ersetzt. „Die Meisten, die ich mit hinaufbegleiten, bekommen schon Respekt, wenn sie in die wackeligen Gondeln einsteigen“, erzählt uns Erich, „und das ist gut so, denn die Abfahrt ist extrem steil, exponiert und gefährlich. Je mehr Respekt die Leute im Vorfeld haben, desto besser.“
Die Auffahrt geht recht fix. In zwei Minuten erreichen wir die 161 Meter höher gelegene Bergstation mit ihrer markanten Radaranlage. Wir steigen auf die Aussichtsplattform und befinden uns exakt auf der Grenze zwischen Vorarlberg und Tirol. Egal in welche Richtung man schaut, man wird immer mit einem atemberaubenden Blick belohnt: Auf die Lechtaler und Allgäuer Alpen, die Verwallgruppe, die Ötztaler Alpen und sogar bis ins schweizerische Graubünden. Mehr als 700 Mal ist Erich sicher schon auf dem Valluga-Gipfel gewesen: „Bei Pulverschnee oder guten Firnverhältnissen wollen alle auf die Valluga. Da ist die Nordabfahrt wirklich ein Traum. Und das ist es auch, was die Bahn so legendär macht. Dass man nur noch mit Guide hoch kommt, macht die Sache natürlich noch spannender.“
Die Bergstation der Vallugabahn II mit Aussichtsplattform auf dem Dach.
Eigentlich wollten wir die Gelegenheit nutzen und zusammen mit Erich abfahren, aber dafür fehlt die Zeit. Wir haben noch einen Termin mit dem Betriebsleiter der Valluga II. Erich macht sich bereit für die Abfahrt. Wir statten ihn mit einer Action-Kamera aus und lassen die Kameradrohne steigen. So sind wir zumindest visuell mit dabei, während Erich durch freies Skigelände ins Pazieltal hinunter nach Zürs abfährt.
Die Abfahrt von der Vallugaspitze ist nur mit einem Guide erlaubt.
Nach einer kurzen Stärkung im charmanten Restaurant Valluga View – die Suppen sind ein Gedicht! – treffen wir Michael Mussak. Er ist schon seit über 20 Jahren im Skigebiet und hat die Valluga II noch mit der alten Technik kennengelernt: „Bis 1998 war noch alles Handbetrieb. Da hatten wir ein Lenkrad und wenn du nach links gedreht hast ist es rauf, nach rechts runter gegangen und je weiter du gedreht hast, desto schneller ist die Bahn gelaufen. So was findest Du heute gar nicht mehr.“ Gemeinsam gehen wir in den Maschinenraum im hinteren Teil des alten Stationsgebäudes. Trotz moderner Technik hat sich hier der Charme von über einem halben Jahrhundert Tiroler Seilbahngeschichte gehalten: Die Patina an den Wänden, der Geruch der Maschinen – ein Paradies für Seilbahn-Nostalgiker. Und auch Michael wird auf die Frage, wie er die Valluga II typisieren würde, emotional: „Die Bahn ist für mich etwas Kleines, Schnuckeliges. Fast schon niedlich.“
Im Maschinenraum des alten Stationsgebäudes mit Michael Mussak.
Wir verabschieden uns von der niedlichen Königin vom Arlberg und befinden uns nur Augenblicke später wieder in der modernen Seilbahnwelt, in den komfortablen Riesenkabinen der Valluga I Bahn. Es gibt nur wenige Dinge, die die Pionierleistung und das technische Geschick der Menschen besser demonstrieren als diese schwebenden Wunderwerke. Das war schon immer so und das wird wohl noch lange so bleiben. Mit der Valluga II und der Galzigbahn, deren Riesenräder uns eben wieder für den Ausstieg absenken, wird das in St. Anton am Arlberg besonders deutlich. Ein würdiger Abschluss der Bergbahn-Portraitserie. Jetzt noch schnell die Actionkamera von Erich abholen und dann geht es in den Schnittraum mit der angenehmen Aussicht, die spektakulären Bilder in unseren Köpfen noch einige Male auf den Monitoren anschauen zu dürfen.
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Die Erfindung von Lift und Seilbahn hat viele Gipfel auch für Nicht-Bergsteiger zugänglich gemacht. In dieser Serie zeigen wir sechs außergewöhnliche Bergbahnen, die bis heute Begeisterung wecken können.