Hütten in Nahaufnahme: Die Bayreuther Hütte im Rofangebirge
Auf einer Tiroler Berghütte vom Panorama zu schwärmen, mag einem zunächst vorkommen wie Eulen nach Athen zu tragen (oder auf gut Österreichisch gesagt: „No na ned!“). Was die Bayreuther Hütte in Sachen Aus- und Rundblick zu bieten hat, verdient allerdings zweifellos eine gesonderte Erwähnung. So etwas bekommt man selbst hierzulande nicht überall zu sehen: Die urige Hütte im Rofangebirge schmiegt sich auf knapp 1.600 Metern Seehöhe an einen Sonnenhang am Schnittpunkt von Inn-, Alpbach- und Zillertal. Da kann, wer nach einem langen, befriedigenden Wander- oder Mountainbiketag abends auf der Terrasse sitzt, schon ins Schwärmen geraten. Vorausgesetzt natürlich, der Gast vermag seinen hungrigen Blick von einem Teller duftender, deftiger Kaspressknödel loszureißen, die der Hüttenpächter Anton Herrmann gerade serviert hat.
Strahlend helle Augen und eine nahezu unerschütterlich gute Laune: Beim Blick aus dem Fenster weiß Hüttenwirt Anton Herrmann, warum er sich die harte Arbeit auf der Bayreuther Hütte antut.
Diese Kaspressknödel sind definitiv die Spezialität des Hauses. Als Anton, ein gebürtiger Tübinger, vor elf Jahren die Bayreuther Hütte übernahm, hatte er dasselbe Problem wie seine deutschen Gäste heute: Der Schwabe kannte diese Spezialität, die es nur in Tirol, Salzburg und Vorarlberg gibt, nicht. Da eine Tiroler Berghütte ohne Kaspressknödel auf der Karte allerdings fast denkunmöglich ist, begann Anton selbst zu experimentieren, vorhandene Knödelrezepte zu verändern und zu verfeinern und war nach drei Jahren endlich zufrieden: „Heute sagen die Leute, dass wir die besten Kaspressknödel in der ganzen Gegend haben.“ Woran das liegt? Alle Details mag Anton aus verständlichen Gründen nicht preisgeben, aber „vielleicht ist ein Punkt, dass in unseren Knödeln vier verschiedene Käsesorten sind“.
Doch zurück zum Panorama. Wer andächtig den abendlichen Blick genossen hat, bevor er sich in eines der Mehrbettzimmer oder ins Matratzenlager zurückgezogen hat, der möge erst recht am nächsten Morgen einen Blick aus dem Fenster riskieren. Aus dem wabernden Nebelmeer ragen nur noch einzelne Gipfel hervor, über dem Wilden Kaiser schiebt sich die Sonne als blassgelbe Scheibe durch die grauen Schwaden, die die in der schnell wärmer werdenden Luft aufsteigen, loslassen, sich auflösen… Das sind auch die Momente, aus denen Anton Herrmann seine Kraft zieht. „Wenn ich morgens ganz allein draußen auf der Terrasse stehe und die Sonne geht auf, dann weiß ich: Das wird ein Toptag!“ Klar ist für Anton nämlich: „Im Tal unten, in der Gastronomie oder in einem Hotel, könnte ich diesen Job nie machen. Nie!“
Vorbereitungen für den Ansturm hungriger Gäste: An den Wochenenden zwischen Pfingsten und Mitte Oktober sind 16- bis 18-stündige Arbeitstage die Regel.
Sich selbst zu motivieren, ist essenziell auf einer Hütte, die Anton allein mit einer Angestellten bewirtschaftet. Das bedeutet 16- bis 18-stündige Arbeitstage und keinen Ruhetag zwischen Pfingsten und dem zweiten Oktoberwochenende. An den Wochenenden und in ihren Ferien kommt auch Antons Freundin, eine Lehrerin, und hilft mit. Außerhalb der Hüttensaison leben die beiden in Garmisch; im Winter verdingt sich Anton dort als Skilehrer.
Mit seinem erlernten Beruf Heilpraktiker hat Anton abgeschlossen. In jungen Jahren führte er eine eigene Praxis, aber die Idee, einmal selbst eine Berghütte zu bewirtschaften, trieb ihn jahrelang um und setzte sich irgendwann durch. „Meine Eltern haben mich als Kind immer schon in die Berge gezwungen“, erzählt Anton. „Das Gehen mochte ich gar nicht. Aber Hütten bedeuteten sich ausruhen, etwas essen und etwas trinken.“ Spätestens mit 40, so war der Plan, wollte Anton seinen Hüttentraum verwirklicht haben, „weil mit 50 fängst du so was nicht mehr an“. Über den Umweg eines Jobs in einer Hütte in Garmisch übernahm Anton schließlich mit 39 Jahren die Bayreuther Hütte.
Hüttengäste suchen und finden urige Gemütlichkeit. Allerdings merkt Anton Herrmann kritisch an: „Die Zahl der völlig Ahnungslosen, die mit einer Plastiktüte in der Hand hier ankommen, wächst.“
Mittlerweile hat Anton Herrmann den ominösen Fünfziger erreicht und zieht eine durchwachsene Bilanz: „Es ist wirklich schön, hier oben zu arbeiten. Aber halt auch wahnsinnig anstrengend. Und man fragt sich schon, wie lange man noch Fässer schleppen und sonstige schwere körperliche Arbeiten machen kann.“
Vorläufig macht dem Pächter jedoch vor allem zu schaffen, dass mit der Schließung des uralten Sonnwendjochliftes in Kramsach im Jahr 2015 abrupt ein guter Teil potenzieller Gäste der Bayreuther Hütte weggefallen ist. „Am Wochenende sind wir immer voll. Aber das Tagesgeschäft ist komplett eingebrochen“, berichtet Anton. „Für Kaffee und Kuchen mindestens drei Stunden lang zu gehen, ist den meisten Leuten einfach zu weit. Früher war das anders, aber mittlerweile ist die Gegend etwas für Leute, die Einsamkeit suchen und eigentlich niemanden treffen wollen.“
Die Alpenvereinssektion Bayreuth, der die Hütte gehört, ist ihrem Pächter zwar finanziell entgegengekommen, „anders ginge es einfach nicht mehr“, aber prekär bleibt die Lage allemal. Anton, eher skeptisch als optimistisch: „Ich hoffe ja immer noch, dass sich da in Sachen Reaktivierung oder Neubau des Liftes etwas tut.“
Der Lohn der bergsteigerischen Mühe: Die Spezialität der Bayreuther Hütte sind Anton Herrmanns Kaspressknödel. Der gebürtige Schwabe hat viel ausprobiert und lang experimentiert, bis er sein eigenes Spezialrezept mit vier verschiedenen Käsesorten fand.
Daran, dass Anton Herrmann bei seinen Hüttengästen den Ruf genießt, stets freundlich und immer gut gelaunt zu sein, ändern seine Sorgen nichts. „Immer geht’s natürlich nicht, aber ich versuch’s“, sagt er. „Auch wenn einen die Leute manchmal zur Weißglut treiben.“ Hohes Weißglutpotenzial haben Gäste, die die Hütte und ihre Umgebung mit einer Müllhalde verwechseln, statt ihren Abfall vorschriftsmäßig selbst wieder mit ins Tal zu nehmen, oder solche, die es für angemessen halten, ihre Bergschuhe auf den Tischen und nasse Unterhosen auf dem Kachelofen in der Stube zu lagern.
Überhaupt, weiß Anton aus mittlerweile schon langjähriger Erfahrung, haben sich in den letzten Jahren große Verschiebungen in der Gästestruktur ergeben, und keineswegs nur negative. „Aus Wettergründen sagt heute kaum jemand mehr einen geplanten Besuch ab“, berichtet der Hüttenwirt. „Echte Bergsteiger kommen auch bei Regen.“ Möglicherweise sei die unsichere Lage in klassischen Urlaubsdestinationen wie der Türkei ein Grund dafür, dass die Bewohner der Alpen und der angrenzenden Regionen vermehrt in der eigenen Umgebung Urlaub machten, vermutet Anton. Das zeigt allerdings auch kuriose Phänomene: „Die Zahl der völlig Ahnungslosen wächst. Es gibt heutzutage nicht wenige, die nicht einmal mit einem Rucksack, sondern mit einer Plastiktüte in der Hand hier ankommen und sich dann wundern, wieso sie keine Dusche im Zimmer haben. Die suchen im Internet halt nach Übernachtungsmöglichkeiten in der Region und kommen gar nicht auf die Idee, sich bei der Buchung zu erkundigen, wie es auf einer Berghütte so läuft.“
Hoffnung gibt dem Hüttenwirt, dass unter jungen Menschen das Abenteuer Berghütte geradezu boomt. Der Anteil an Mittzwanzigern, Studierenden zum Beispiel, die gruppenweise Wochenenden oder ganze Urlaube auf der Bayreuther und anderen Hütten verbringen, steigt massiv. Das freut den Hüttenwirt: „Die jungen Leut’ sind immer gut drauf, die sind echt super!“
Ein Idyll im Nebelmeer: nicht minder bezaubernde Augenblicke, auch wenn man das berühmte Panorama der Bayreuther Hütte ausnahmsweise nur erahnen kann. Fotos: Tirol Werbung/Jens Schwarz ©
Die Bayreuther Hütte ist sowohl von Münster als auch von Kramsach aus in rund 3 Stunden Gehzeit erreichbar: www.tirol.at
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Von der Stüdlhütte am Fuße des Großglockers über die Berliner Hütte in den Zillertaler Alpen bis hin zur Pfeishütte im Karwendel: In der achtteiligen Serie „Hütten in Nahaufnahme“ erzählen wir diesen Sommer die Geschichten von Tiroler Alpenvereinshütten und den Menschen, die sie bewirtschaften.