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Aktualisiert am 17.03.2022 in Magazin, Fotos: Sebastian Gabriel

Nirgendwo lernt man Menschen so schnell so gut kennen wie beim Kochen. Wir machen eine kulinarische Entdeckungsreise vom Tiroler Unterland ins Außerferner Gamsgebirg und lassen uns von Menschen, die sich dem Thema Genuss verschrieben haben, regionale Spezialitäten und ihre Zubereitungstipps zeigen. Sobald es in der Küche zischt und brutzelt, erfährt man viel über Land und Leute.

            Früher handelte es sich bei Stockfisch meist um Kabeljau aus dem Atlantik. Aber auch Hecht und Schleie kann man auf diese Art konservieren.

          Früher handelte es sich bei Stockfisch meist um Kabeljau aus dem Atlantik. Aber auch Hecht und Schleie kann man auf diese Art konservieren.

Gang 1: Alpensee statt Norwegen

Der Stockfisch hat einen fixen Platz in der kulinarischen Geschichte des Alpenraums und damit auch Tirols. Allerdings ist er von den Speisekarten der Tiroler Wirtshäuser weitgehend verschwunden: Stockfischsuppe oder Stockfischgröstl sind eben Gerichte aus einer Zeit, in der es keine schnelle globale Logistik und keine geschlossenen Kühlketten gab. Um die Menschen in den Tälern Tirols mit ausreichend Proteinen zu versorgen, wurde die Haltbarkeit von Fisch verlängert, indem man ihm Wasser entzog und ihn so trocknete – meist handelte es sich um Kabeljau von den Lofoten. Ähnliche Rezepte kennt man in Portugal (Bacalhau), Griechenland (Bakaliaros), Schweden (tørrfisk) und Japan (himono).

Genau hier kommen Claudia Kogler und Christoph Zingerle ins Spiel. Claudia betreibt mit ihrem Bruder Michael das Restaurant „die Wilderin“ in Innsbruck, Claudia führt das Geschäft, Christoph Zingerle ist der Chefkoch am Herd. Ein traditionelles, fast vergessenes Tiroler Gericht wiederbeleben? Das ist genau ihr Ding. Aber Kabeljau? Von den Lofoten? Das geht gar nicht. Denn Claudia Kogler und ihr Team legen Wert darauf, die Produzenten der Lebensmittel, die sie verwenden, genau zu kennen: kurze Wege, kleine Schlachthöfe. Handwerk. Also gerne das Stockfischgröstl neu interpretieren, aber sicher nicht mit einem gefährdeten Meeresfisch aus Norwegen.

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Dieser Artikel ist aus dem meinTirol Magazin. Unter www.tirol.at/abo können Sie das Magazin abonnieren und bekommen jede Ausgabe kostenfrei nachhause in den Briefkasten.

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Nachdem sie die Sache mit ihren Fischlieferanten durchgegangen sind, fiel die Wahl auf Hecht und Schleie. Getrocknet wurde im Garten, ein Fliegennetz schützte den trocknenden Fisch. Nach etwa einer Woche ist der Fisch steinhart. Um aus diesen „Fischbrettern“ ein schmackhaftes Gericht zu machen, muss der Trockenfisch wieder gewässert werden. Dann wird er in mundgerechte Stücke geschnitten und mit Kartoffeln, Salz, Majoran und anderen Gewürzen in der Pfanne zum Gröstl gebraten – mit einem herrlich aromatischen Fisch vom Bergsee. Bei der ersten Verkostung des Gerichts strahlen Koch und Wirtin. Das Experiment ist gelungen, den Gästen schmeckt es.

            Zu gut, um vergessen zu werden: Im Stockfischgröstl von Christoph Zingerle wird der aromatische Fisch mit Majoran und anderen Gewürzen kombiniert.

          Zu gut, um vergessen zu werden: Im Stockfischgröstl von Christoph Zingerle wird der aromatische Fisch mit Majoran und anderen Gewürzen kombiniert.

            Guten Appetit! Küchenchef Christoph Zingerle kocht Traditionelles, das es nicht an jeder Ecke gibt.

          Guten Appetit! Küchenchef Christoph Zingerle kocht Traditionelles, das es nicht an jeder Ecke gibt.

Die Küche

„Die Wilderin“ ist ein sicherer Hafen für Freunde des guten Geschmacks und des guten Gewissens. Inhaberin Claudia Kogler und Küchenchef Christoph Zingerle präsentieren Gerichte aus der traditionellen Tiroler Küche. Und hin und wieder auch Dinge, die zwar in Tirol verwurzelt sind, die es aber nicht an jeder Ecke gibt. Fohlengulasch zum Beispiel. 

www.diewilderin.at
Seilergasse 5
6020 Innsbruck
info@diewilderin.at

Gang 2: Alles muss in den Topf

Ernst Rieser wirkt entspannt, als wir ihn treffen. Er lehnt lässig an einem Holzzaun, hinter ihm drei dunkle Schweine, die die letzten Strahlen der Abendsonne genießen. Für eines der drei Tiere wird es allerdings auch der letzte Sonnenuntergang sein. Denn Ernst Rieser ist Selbst- und Nahversorger und braucht für das Gericht, das er nun kochen wird, noch Fleisch und ein paar Innereien.

Die Zillertaler Ofenleber ist ein deftiger Fleischklassiker aus dem Zillertal. Im Originalrezept, das dort vor ein paar Hundert Jahren in den bäuerlichen Stuben entstanden ist, dominieren die Leber, fetter Schweinebauch und Herz und Lunge: ein festliches Restemahl, bei dem möglichst viel vom Schwein verwertet wurde. Selbst das Schweinsnetz ist Teil des Rezepts. „Was im Bauch des Schweins den Darm zusammenhält, kann im Ofen auch den Braten zusammenhalten“, sagt Rieser. Ernst Rieser ist ein kulinarischer Tüftler und hat mit seiner Partnerin Mirjam Trattner auf weiten Reisen studiert, wie man Tiere schlachtet und verwertet. Es ist gar nicht lange her, da besuchten sie die Stara Planina, das gebirgige Hochland im Süden Serbiens, um den Bauern in ihren Hinterhöfen bei der Arbeit über die Schulter zu sehen. In seiner Küche werden Salz und Gewürze aufs Gramm genau abgewogen, Art und Menge der Innereien sind exakt dokumentiert. Das Bratenthermometer ist das wichtigste Werkzeug – die Daten werden ihm direkt auf dem Smartphone angezeigt: „74 Grad. Alles bestens.“

Im Stall des Selbstversorgerhofs „Innland“ im Tiroler Unterland geht es bunt zu: Neben Quessant- und Gotlandschafen, Mechelner Hühnern, einem frechen Vierhorn-Ziegenbock und kleinen, lustigen Kunekuneschweinen haben Rieser und Trattner auch ein paar Schwarze Alpenschweine. Eine alte, regionale Rasse, für deren Erhalt sie sich starkmachen. Mit den langen, stets zum Zopf gebundenen Haaren sieht Ernst Rieser ein wenig wie ein Revoluzzer aus. Dabei geht er seinem bürgerlichen Beruf als Facility Manager in einem Pharmakonzern nach und betreibt die Landwirtschaft nur als Nebenerwerb – noch.

Die Ofenleber wurde früher im Zillertal ins Rohr geschoben, wenn ein Schwein geschlachtet oder Hochzeit gefeiert wurde – und obwohl sich das Gericht mittlerweile zum Tiroler Wirts-hausklassiker entwickelt hat, bleibt es ein Festmahl. Und es passt auch gut zum aktuellen Foodtrend „nose to tail“, bei dem so viele Teile eines Tieres verwendet werden wie möglich. Deshalb verwenden Rieser und Trattner für dieses Gericht neben Leber, Lunge, Herz und Bauch auch die Milz, was dem Braten eine leichte Süße verleiht, und die Nieren – ein spannender Akzent im Biss.

Hightech und oldschool: Ernst Rieser ist Facility Manager in einem Pharmakonzern und betreibt einen Selbstversorgerhof im Inntal.Hightech und oldschool: Ernst Rieser ist Facility Manager in einem Pharmakonzern und betreibt einen Selbstversorgerhof im Inntal.

Die Küche

„Innland“ liegt in Langkampfen im Tiroler Unterland. Es ist zwar ein Selbstversorgerbetrieb. Man kann den beiden Neo-Landwirten Ernst Rieser und Mirjam Trattner aber gern „über die Schulter“ schauen und „unter die Arme greifen“. Sprich mithelfen. Dann teilen Trattner und Rieser auch, was sie ernten.

www.innland.at 
Innstraße 27
6336 Langkampfen
info@innland.at

Gang 3: Krapfen „wia vom Nadl g’lernt“

Freitag ist Krapfentag. Dass die Krapfen in der „Bauernkuchl“ von Anni und Andreas Ritter besonders köstlich sind, hat sich im Tal längst herumgesprochen. Gegen Ende der Arbeitswoche wird es in dem kleinen Wirtshaus in Buch eng, immer wieder kommen neue Kunden und stellen sich brav für ihre Portion an. Wir sprechen hier nicht von Faschingskrapfen. Wir sprechen von echten, hausgemachten Zillertaler Krapfen, manchmal auch Zillertaler Bauernkrapfen genannt. Die Teigtaschen haben in Tirol eine lange Tradition, weil sie aus einfachen (und wenigen) Zutaten bestehen und ein stärkendes Mahl für die ganze Bauernfamilie waren. Eine große Schüssel mit einem ordentlichen Berg Krapfen kam in die Mitte des Tisches, und während alle zulangten, brutzelte bereits die nächste Portion in der großen Pfanne. Heute findet man in Tirol auf den Wochen- und Bauernmärkten noch ein stattliches Angebot an Bauernkrapfen. Aus der Alltagsküche sind sie indes fast verschwunden.

            Das Wichtigste beim Zillertaler Krapfen ist seit jeher die Verwendung von Butterschmalz! Nur so geraten die Teigtaschen goldbraun, knusprig – und von feinstem Geschmack.

          Das Wichtigste beim Zillertaler Krapfen ist seit jeher die Verwendung von Butterschmalz! Nur so geraten die Teigtaschen goldbraun, knusprig – und von feinstem Geschmack.

In der Bauernkuchl hat die Anni das Krapfenmachen von ihrer Oma gelernt. Und die wiederum von ihrem „Nadl“. Also ihrer Großmutter, der Bäuerin „z’Hachtler“ am Stummerberg. Das Rezept ist überliefertes Wissen und wird jahrzehntelang von einer Generation an die nächste oder übernächste weitergereicht. Dabei ist es weniger das Rezept selbst. Vielmehr geht es ums Handwerk. „Es funktioniert nur mit Butterschmalz. Mit keinem anderen Fett bringt man Geschmack, Farbe und Knusprigkeit so hin, wie es gehört“, ist sich Anni Ritter sicher. „Außerdem muss die Temperatur passen. Richtig heiß muss es sein, wenn man die Krapfen ‚außapresst‘.“ „Außapressen“ ist der Zillertaler Ausdruck fürs Braten in der Pfanne. In der Bauernkuchl sind es allerdings immer gleich mehrere Pfannen. An Freitagen geht es in der kleinen Küche groß zur Sache. Die „Blattln“, also die hauchdünnen Roggenteigfladen, werden schon am Vortag „getrieben“ (ausgewalzt), am Krapfentag selbst wird nur noch die Graukäse- und Topfenfüllung aufgestrichen, die Zillertaler Krapfen geformt und schließlich – genau – außapresst.

Anni und Andreas Ritter haben ihren Hof bereits in den 1980er-Jahren auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Zu einer Zeit, in der „bio“ alles andere als selbstverständlich war. Heute kommen die Zutaten für ihre berühmten Krapfen ent-weder aus der eigenen Biolandwirtschaft oder von befreundeten Betrieben aus der Region.

Der Hof wird mittlerweile von Anni und Andreas’ Sohn Christoph und seiner Frau Christine geführt. Langweilig wird den beiden „Alten“ aber mit Sicherheit nicht. Erstens, weil es in der Bauernkuchl nicht nur Zillertaler Krapfen, sondern eine eindrucksvolle, bodenständige Küche gibt, die es wert ist, besucht zu werden. Und zweitens, weil die beiden schon längst über ihr nächstes kulinarisches Projekt nachdenken: Schlutzkrapfen.

            Andreas und Anni Ritter betreiben die Bauernkuchl in Buch – und kochen nach den Rezepten ihrer Großeltern.

          Andreas und Anni Ritter betreiben die Bauernkuchl in Buch – und kochen nach den Rezepten ihrer Großeltern.

Die Küche

Die Bauernkuchl in Buch bei Jenbach ist ein kleines, an eine Biolandwirtschaft angeschlossenes Restaurant. Die Gerichte sind bodenständig und absolut köstlich. Reservierung ist nicht nötig, die Zillertaler Bauernkrapfen sollte man aber vorbestellen.

www.bauernkuchl.at
St. Margarethen 113a 
6220 Buch in Tirol
ritter.anni@gmail.com

Gang 4: Fleisch von ganz oben

Vor zehn Jahren war das Gasthaus von Ralf Morent am äußersten westlichen Zipfel Tirols die Entdeckung des Jahres im Slow-Food-Wirtshausführer – und stand bald auch in allen anderen Wirtshaus- und Gastronomieführern des Landes. Manche Küchen verlieren durch solche Auszeichnungen den Fokus, das Gasthaus Morent aus dem Jahr 1764 steht da wie eh und je – als Dorfwirtschaft. Die Zutaten, Schweine, Kälber, Pilze, Fisch und Wild, kommen aus der Region, wobei Ralf Morent einen transalpinen Ansatz verfolgt, das (deutsche) Allgäu ist ihm näher als das Inntal, und auch die eigene (Südtiroler) Herkunft spielt eine größere Rolle. Dass ihm diese Wurzeln wichtig sind, zeigt er auch. Er ist nicht nur ein herausragender Wirt und Gastgeber, sondern auch leidenschaftlicher Jäger.

Schnell war klar, dass er uns ein Gamsgericht zubereiten wird, vielleicht, weil es eine kulinarische Herausforderung ist und recht selten. Wenn Ralf Morent über die Gams zu erzählen beginnt, kommt er schnell ins Schwärmen. Als Jäger erzählt er, dass die Gamsjagd eine Art Königsdisziplin ist, weil man im felsigen, unwegsamen Revier unterwegs ist. Und dass Zeit eine wesentliche Rolle spielt. Vor allem für die richtige Reifung des Gamsfleisches. Als Koch muss er beim Zerlegen der Gams ebenfalls einiges anders machen als beim Schwein oder Rind. „Beim Parieren, dem ‚Putzen‘ des Fleisches, sollte man eher mehr als weniger wegschneiden. Eine Spur zu viel vom wilden Fett und die ganze Wurst ist im Eimer“, warnt Morent.

            Normalerweise wird das Bergwild als Ragout oder Braten serviert. Im Morent macht Küchenchefin Lisa aus dem Fleisch der Gämse eine grobe Salsiccia mit mediterranen Gewürzen.

          Normalerweise wird das Bergwild als Ragout oder Braten serviert. Im Morent macht Küchenchefin Lisa aus dem Fleisch der Gämse eine grobe Salsiccia mit mediterranen Gewürzen.

Am Herd steht im Gasthaus mittlerweile die Tochter Lisa. Eine junge Frau, die bereits mit den besten Köchinnen und Köchen des Landes gearbeitet hat und motiviert ist, aus Altem neue Eindrücke zu generieren. Aus der vom Vater geschossenen Gams macht sie weder Gamsragout oder Gamsrücken (was die Klassiker wären). Wir bekommen Gams-Salsiccia. Eine grobe, gebratene Wurst, hauptsächlich aus der Schulter, dem Hals und dem Bauch der Gams, dazu etwas durchwachsener Schweinebauch. Gewürzt wird sie mit Pfeffer und Salz, Kümmel, Wacholderbeeren, Majoran und Piment. Und ein wenig Muskatblüten.

Der Geschmack ist wild, würzig und einzigartig. Als könnte man vom Alpenhauptkamm das Mittelmeer sehen.

            Die nächste Generation: Lisa Morent hat in Toprestaurants gelernt und nun die Küche des Familienbetriebs Morent übernommen.

          Die nächste Generation: Lisa Morent hat in Toprestaurants gelernt und nun die Küche des Familienbetriebs Morent übernommen.

Die Küche

2004 hat die Familie Morent das stattliche Bergbauernhaus in Zöblen im Tannheimer Tal erworben. Das Haus wurde saniert und beherbergt seither eine ordentliche Dorfwirtschaft und ein paar Zimmer. Für den Fall, dass der Abend etwas länger wird – was schon einmal passieren kann.

www.morent.at 
Hausnummer 14
6677 Zöblen 
feinschmecker@morent.at

Jürgen Schmücking ist Journalist und Fotograf mit den Schwerpunkten Kulinarik, Gastronomie und Landwirtschaft. Seine Reportagen erscheinen in österreichischen und deutschen Magazinen. Jürgen Schmücking lebt mit seiner Familie in Tirol.

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